Drittes Entlastungspaket wird nicht ohne Kritik begrüßt
Die Bundesregierung hat am vergangenen Sonntag die neuen Entlastungsmaßnahmen für Bürger:innen vorgestellt. Die wichtigsten Maßnahmen sowie die Kritikpunkte der Sozialverbände im Überblick.
Die Ampel-Koalition hat am Sonntag das dritte Entlastungspaket vorgestellt, das die Auswirkungen steigender Energiepreise und der Inflation auf die Bürger:innen dämpfen soll. Nach dem ersten und zweiten Entlastungspaket mit Maßnahmen, die insbesondere aus Steuerentlastungen und Soforthilfen für Empfänger:innen von Sozialleistungen oder BAföG, sowie einem Kinderbonus und dem 9-Euro-Ticket bestanden, soll das dritte Entlastungspaket deutlich umfassender wirken.
Die wichtigsten Maßnahmen für Bürger:innen im Überblick
Die Einführung einer Strompreisbremse soll Stromkund:innen in privaten Haushalten sowie kleineren Unternehmen entlasten: durch eine Basisversorgung zu billigeren Preisen. Teilweise soll dies durch die Abschöpfung von hohen Zufallsgewinnen von Stromproduzenten finanziert werden. Erste Schritte zu dieser Maßnahme hängen von der ersten Beratung der EU-Energieminister am 09. September ab.
Durch eine monatliche Erhöhung des Kindergeldes zum 01. Januar 2023 um 18 Euro für das erste und zweite Kind bis einschließlich 2024 sowie einer weiteren Erhöhung des monatlichen Kinderzuschlags ab dem 01. Januar 2023 auf 250 Euro bis zur Einführung der Kindergrundsicherungen sollen Familien entlastet werden.
Studierende und Rentner:innen sollen durch eine Einmalzahlung profitieren: Alle Studierende und Fachschüler:innen sollen 200 Euro erhalten – über eine möglichst unbürokratische Abwicklung soll mit den Ländern beraten werden. Rentner:innen erhalten zum 1. Dezember eine einmalige Energiepreispauschale über 300 Euro über die Rentenversicherung. Außerdem sollen sie durch die Abschaffung der sogenannten Doppelversteuerung profitieren.
Durch eine für den 01. Januar 2023 geplante umfassende Wohngeldreform sollen mehr Geringverdienende ein höheres Wohngeld erhalten.
Die Anhebung der Midi-Job-Grenze auf 2000 Euro monatlich ab dem 01. Januar 2023 soll Geringverdienende durch geringere Sozialversicherungsbeiträge entlasten.
Durch Einführung des Bürgergeldes ab dem 01. Januar 2023 sollen Arbeitslosengeld II und Sozialgeld abgelöst werden.
Ein bundesweit gültiges Ticket für den Öffentlichen Nahverkehr soll eine Nachfolge des 9-Euro-Tickets werden: Ein gemeinsames Konzept dafür soll noch erarbeitet werden. Ziel ist ein Ticket von etwa 49 bis 69 Euro pro Monat.
Erwartungen an die Entlastungsmaßnahmen im Vorfeld
Laut einer nicht-repräsentativen Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung mit etwa 9000 Teilnehmenden wünschten sich die meisten Beschäftigten im Vorfeld insbesondere Entlastungen für Geringverdienende und einen Preisdeckel für den Grundbedarf von Energie. Weniger Zuspruch erhielten die Vorschläge einer vollständigen Subventionierung von Energie oder eine vorwiegende Unterstützung von Berufspendler:innen.
Reaktionen der Sozialverbände: Erleichterung sowie Kritik
Sowohl die Diakonie als auch die Caritas zeigen sich in erster Linie erleichtert über die geplanten Maßnahmen und fordern eine zügige Umsetzung. Während sie sich für mehr Zusammenhalt und Solidarität aussprechen, sehen andere Verbände die Maßnahmen als nicht ausreichend.
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, kritisiert den erneuten steuerpolitischen Kurs der Bundesregierung: „Die angekündigte Ausweitung des Kreises der Wohngeldberechtigten ist absolut begrüßenswert. Hier handelt es sich um eine sozialpolitisch überfällige und wirklich wichtige Maßnahme, die allerdings erst im kommenden Jahr greifen wird. Ansonsten muss man sagen: Mit diesem Entlastungspaket werden in erster Linie Fehler und Ungerechtigkeiten aus dem letzten Paket korrigiert, aber keinerlei zusätzliche zielgerichteten Hilfen auf den Weg gebracht, die auch den Ärmsten in der Grundsicherung in diesem Herbst substantiell Unterstützung und Entlastung bringen würden. Dass Rentner*innen und Studierende jetzt auch wie alle anderen eine einmalige finanzielle Unterstützung erhalten und beim Heizkostenzuschuss im Wohngeld noch einmal nachgelegt wird, ist nur gerecht, gut und wichtig, aber ganz sicher nicht genug.“
Von der AWO sowie vom Deutschen Kinderschutzbund wird eine Verdopplung des Sofortzuschlags für arme Kinder und Jugendliche gefordert.
Mangelnde Beachtung der Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen
„Insgesamt erreichen die meisten Nachteilsausgleiche – unabhängig der momentanen Entlastungsprogramme – behinderte Menschen nicht, weil sie in der Regel unter dem Grundfreibetrag liegen und nicht steuerpflichtig sind. Menschen mit Handicap, die von der zuständigen Versorgungsbehörde entsprechend als (schwer-)behindert anerkannt sind, erhalten insbesondere Pauschbeträge in der Einkommenssteuer. Diese liegen je nach Grad der Behinderung zwischen 384 und 2.840 Euro. Auch können auch die zusätzliche Fahrtkostenpauschale von 30 Cent (bis 20 km) und 35 Cent je Kilometer (ab dem 21. km) beziehungsweise die tatsächlichen Fahrtkosten zur Arbeit für eine Reihe von eigentlich bezugsberechtigten Menschen mit einer Behinderung nicht abgesetzt werden. Diese Vorteile sind für eine große Zahl an behinderten Personen ohne Bedeutung, oftmals sind sie erwerbsgemindert und erhalten derart niedrige Bezüge, dass sie allerhöchstens dann profitieren können, wenn sie neben der Rente auch noch Transferleistungen beziehen.“ kommentiert Dennis Riehle, Sozialberater des ABiD.
Sorge um Einrichtungen der sozialen Infrastruktur
„Die steigenden Energiepreise der Pflegeeinrichtungen dürfen nicht allein auf die Eigenanteile für die Bewohnerinnen und Bewohner abgewälzt werden“, so Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes. Ähnliche Befürchtungen teilt die AWO. Sie kritisiert, dass neben der Berücksichtigung von kleinen und mittelständischen Unternehmen die gemeinnützigen Einrichtungen und Dienste vergessen wurden und fordert, dass diese nicht allein auf steigenden Energiekosten sitzen blieben.
Entlastungsmaßnahmen auf Kosten des Klimas?
Auch die geplante Strompreisbremse lässt bei vielen Fragen offen. „Anstatt das Erreichen der Klimaziele weiter zu gefährden, muss die Bundesregierung schnell ein System für eine gerechte Rückverteilung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung schaffen“, so Michael Groß, Präsident der Arbeiterwohlfahrt. Der Bundesarbeitsminister habe im Mai mit einem aus dem CO2-Preis finanzierten und sozial gestaffelten Klimageld einen richtigen Vorschlag gemacht, der dringend weiter verfolgt werden sollte. Stattdessen werden durch die beschlossene Maßnahmen nun aber insbesondere einkommensstarke Haushalte entlastet, welche nachweislich weit mehr CO2-Emissionen verursachen als einkommensschwache. Die Folgen der Klimakrise würden dann aber wieder vornehmlich arme und verletzliche Bevölkerungsgruppen treffen.
Quelle: Mit Informationen aus Pressemitteilungen der AWO und des Deutschen Kinderschutzbundes vom 05.09.2022 sowie der Caritas, der Diakonie, des Paritätischen und des ABiD vom 04.09.2022