Du kommst anders zurück, als du gegangen bist
In der abendländischen, anthropologischen, aristotelischen Auffassung steht der anthrôpos, der homo sapiens, auf der obersten Stufe der scala naturae, als Bindeglied zwischen theos (Gott) und zôon (Tier). Er hat Anteil am unvergänglichen und göttlichen Geist. Kraft seiner Vernunft ist er in der Lage, Allgemeinurteile zu bilden und zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Er will ein gutes, glückliches und gelingendes Leben führen. Er ist fähig, sich mit Sprache auszudrücken, sich zu erinnern, Zukunft zu denken und zu planen. Er ist darauf angewiesen, in Gemeinschaft mit Mitmenschen zu leben, und er kann seine Lebenserfahrungen und die seiner Gemeinschaft kulturell nutzen. Seine „Behausung“ zeigt sich darin, dass er in seinem individuellen und kollektiven Denken ein Leben unter Seinesgleichen führen will, aber auch offen und neugierig ist, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen. Deshalb ist der Mensch ein zôon politikon, der nach Werten und Normen lebt und strebt [i].
Anthropisches und mundanes Denken
Wenn du mit deinem Leben und deinem Denken nicht zufrieden bist, musst du philosophieren; wenn du im Einklang mit dir und der Welt bist, erst recht![ii]. Denn die Frage: „Wie bin ich geworden, wie und was ich bin?“ ist eine philosophische, die sich jeder Mensch stellen soll, will er mehr sein als ein Vegetierer. Fundstellen und Aha-Erlebnisse sind dabei gewiss! Es kommt darauf an, das Denken so einzurichten, dass es dem eigenen, existentiellen entspricht, und gleichzeitig die Tür hinter sich nicht zu verriegeln, sondern zu öffnen für die Welt. „Lokal denken und global handeln“, diese Aufforderung hat in den Zeiten der sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden (Einen?) Welt Konjunktur. Das bedeutet zum einen, sich seiner individuellen und kulturellen Identität bewusst zu sein, also zu wissen, wie das abendländische Bewusstsein sich entwickelt hat[iii]; zum anderen aber auch, sich neues Denken zu erlauben, das darauf beruht, dass sich menschlicher Geist evolutionär entwickelt hat, also zu hinterfragen, ob menschliches Denken als Alleinstellungsmerkmal angesehen werden könne und ob es wirklich stimmt, dass menschliches Denken und Tun auf „einer grundsätzlichen Andersheit der menschlichen Seinsweise gegenüber allem Weltlichen“ beruht, Menschen also alles nur nach menschlichem Maß erfahren, erkennen und bestimmen können. Die Konsequenz daraus würde bedeuten zu akzeptieren: „Wir sind von dieser Welt“ und zu begreifen, der Mensch „ist grundlegend nicht ein weltfremdes, sondern ein welthaftes Wesen“[iv]. Diese Auffassung hätte zur Folge, dass wir Menschen mit den Gütern und Wirklichkeiten unseres Lebensraumes verantwortungsvoller, humaner und nachhaltiger umgehen würden als wir dies tun!
Zur Lage der Welt
Nicht erst seit dem ersten Bericht an den Club of Rome, mit dem 1972 von den ökonomischen „Grenzen des Wachstums“ gewarnt wurde[v], sondern bereits vorher sollte sich im Bewusstsein der Menschen etabliert haben, dass wir unser wirtschaftliches Handeln nicht mehr weiterhin nach „business as usual“ fortsetzen können; vielmehr komme es für eine humane Weiterexistenz der Menschheit darauf an, dem „throghput growth“ (Durchflusswachstum) „sustainable development“, ein neues Denken für eine tragfähige Entwicklung entgegen zu setzen[vi], und die Aufforderung ernst zu nehmen, die die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ 1995 in eindringlicher Weise formuliert hat: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“[vii]. Die Vereinten Nationen haben mit der „Agenda 21“ (1992) und den „Millennium Development Goals“ (2000) das Menschheitsgewissen wachzurütteln versucht, dass es nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist, eine humane, gerechte, soziale und friedliche Welt zu schaffen. Der wissenschaftliche Diskurs darüber reicht von historischen Analysen über die Bedeutung des Guten HIER und HEUTE[viii], über Fragen zur politischen Kultur[ix], bis hin zu den Auseinandersetzungen, wie in der Zeiten der Globalisierung Global Health entstehen kann[x].
Vertrauen ist … mehr als Kontrolle
„Vertrauen haben“, als ethische und moralische Charaktereigenschaft hat im philosophischen, gesellschaftlichen und individuell-alltäglichen Denken und Handeln einen hohen Stellenwert. „Vertrauen ist ein Phänomen, das… Komplexität reduzieren kann und Kooperation erleichtert oder überhaupt erst möglich macht“ – diese Lesart steckt in den Gewissheiten, mit denen wir eine vertrauensvolle Einstellung verbinden und einfordern für alle individuellen, lokalen und globalen Lebensbedingungen der Menschen auf der Erde[xi]. In der Charta der Vereinten Nationen (1945) wird an die Völker der Erde appelliert, „unseren Glauben an die Grundrechte der Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau…, nach Treu und Glauben…“ zu entwickeln und auszuüben. Ohne Zweifel steckt in dieser Aufforderung und Hoffnung die Erwartung, dass es der Menschheit gelingen möge, Vertrauen zueinander aufzubauen, „durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern auf den Gebieten der Erziehung, Wissenschaft und Kultur zur Wahrung des Friedens und Sicherheit beizutragen, um in der ganzen Welt die Achtung vor Recht und Gerechtigkeit, vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten zu stärken, die den Völkern der Welt ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder Religion durch die Charta der Vereinten Nationen bestätigt worden sind“, wie es in der Verfassung der UNESCO vom 16.11.1945 heißt. Die Fähigkeit, Vertrauen zu entwickeln, zu geben und zu nehmen, wirkt sich zum einen in alltäglichen, individuellen und lokal- und global-gesellschaftlichen Zusammenhängen aus, zum anderen im institutionellen, nationalen und internationalen Rahmen. Insbesondere in Krisensituationen zeigt sich, dass Vertrauen geben und empfangen eine notwendige, aber gleichzeitig problematische Vorleistung darstellt und eine breit gefächerte, kooperative Vertrauensbasis benötigt[xii]. In der konfliktreichen Welt, in der alte Hegemonien sich verfestigen und neue entstehen, kommt es darauf an, Vertrauensverhältnisse auf der Grundlage der Menschenrechte zu entwickeln und lokal und global Übereinkünfte über gemeinsame, humane Werte zu treffen[xiii].
Perspektivenwechsel
Der Blick über den eigenen Gartenzaun ist überall und von jeden Menschen möglich. Der Tourismus öffnet Türen in europäische und außereuropäische Länder. „Fremdes verstehen“[xiv], in seiner Faszination und Widersprüchlichkeit, ist heute eigentlich nicht schwer. Und doch: Ethnozentrismus, Fremdenfeindlichkeit, Vorurteile und Rassismen breiten sich überall in der Welt aus[xv]. Interkulturelles, globales Lernen kann helfen, im Fremden dem Eigenen zu begegnen und eine Kompetenz zu entwickeln, die notwendig ist, um human unter Humanen zu leben[xvi]. In der Familie[xvii], der vorschulischen Erziehung[xviii], der Grundschule[xix], der Sekundarstufe I und II[xx], der Berufsschule[xxi] und der Erwachsenenbildung[xxii], überall geht es darum, ein positives, empathisches und lebenswertes Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Leben Offenheit, Entwicklungskompetenz[xxiii] und die Fähigkeit bedeutet, „aufrecht“ zu gehen[xxiv].
In die Welt hinaus
Nur in der Begegnung auf Augenhöhe und der „Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte, (die) die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“[xxv], lässt sich das Humanum erkennen und erreichen, das den Menschen ausmacht und ihn befähigt, individuell und gesellschaftlich, lokal und global zu leben[xxvi]. Interkulturelle Begegnungen sind heute leicht herzustellen; z. B. in der Begegnung mit sich selbst und der Nachschau: „Wo komme ich her?“[xxvii], der Pflege einer Erinnerungskultur[xxviii], dem aufmerksamen Umgang mit Menschen in der eigenen Umgebung, in der Schule, Nachbarschaft, bei internationalen Schüleraustauschprogrammen und (Nord-Süd-)Schulpartnerschaften[xxix]. Eine andere, bessere und humane Eine Welt ist möglich! Aber nur dann, wenn jeder mit seinen Möglichkeiten, an seinem Platz und gemeinsam mit anderen „Weltgewillten“ das auch anpackt! AutorDr. Jos SchnurerEhemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim E-Mail Mailformular
[i] Otfried Höffe, Hrsg., Aristoteles-Lexikon, Kröner-Verlag, Stuttgart 2005, 640 S.
[ii] Jos Schnurer, Wer philosophiert – lebt! 28.01.14, zur socialnet Materialie
[iii] Hellmut Flashar, Aristoteles. Lehrer des Abendlandes, 2013, zur Rezension Arbogast Schmitt, Die Moderne und Platon. Zwei Grundformen europäischer Rationalität, 2008, zur Rezension
[iv] Wolfgang Welsch, Homo mundanus. Jenseits der anthropischen Denkform der Moderne, 2012, zur Rezension
[v] Jos Schnurer, Der Club of Rome ist 40, 01.10.2008, zur socialnet Materialie
[vi] WCED, Our Common Future / Unsere Gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, hrsg. v. Volker Hauff, Oxford / Greven 1987, 421 S.
[vii] Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt. Bericht der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ (Kurzfassung), 2., erweit. Auflage, Bonn 1997, S. 18
[viii] Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern, 2014, zur Rezension
[ix] Alexander Hensel / Roland Hiemann / Daniela Kallinich / Robert Lorenz, Katharina Rahlf, Hrsg., Politische Kultur in der Krise, 2014, zur Rezension
[x] Oliver Razum / Hajo Zeeb / Olaf Müller / Albrecht Jahn, Hrsg., Global Health. Gesundheit und Gerechtigkeit, 2014, zur Rezension
[xi] Martin Hartmann, Die Praxis des Vertrauens, 2011, zur Rezension
[xii] Markus Weingardt, Hrsg., Vertrauen in der Krise. Zugänge verschiedener Wissenschaften, 2011, zur Rezension
[xiii] Ute Frevert, Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne, 2013, zur Rezension
[xiv] „Fremdes verstehen“. Sympathie Magazin, Nr. 28, Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V., 1994, 52 S.
[xv] Jos Schnurer, Wenn ihr nicht so werdet wie wir, seid ihr unsere Feinde! 19.12.2009, zur socialnet Materialie ders., Wie Deutschland zu den Fremden kam, 20.10.2013, zur socialnet Materialie
[xvi] Gregor Lang-Wojtasik / Ulrich Klemm, Hrsg., Handlexikon Globales Lernen, 2012, zur Rezension
[xvii] Petra Völkel / Anne Wihstutz , Hrsg., Erziehungs- und Bildungspartnerschaft im Elementarbereich, 2014, zur Rezension
[xviii] Timm Albers, Das Bilderbuch-Buch. Sprache, Kreativität und Emotionen in der Kita fördern, 2015, zur Rezension
[xix] Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen, Hrsg., Die große Globalisierung für kleine Leute. Globales Lernen mit Grundschulkindern, September 2014, ca. 100 S.
[xx] VNB, Hrsg., global.patrioten. Begegnungen, Positionen und Impulse zu Klimagerechtigkeit, biologischer und kultureller Vielfalt, 2012, zur Rezension; Alfred Holzbrecher, Hrsg., Interkulturelle Schule. Eine Entwicklungsaufgabe, 2013, zur Rezension
[xxi] Anja Besand, Monitor politische Bildung an beruflichen Schulen. Probleme und Perspektiven, 2014, zur Rezension
[xxii] Till Kössler / Alexander J. Schwitanski, Hg., Frieden lernen. Friedenspädagogik und Erziehung im 20. Jahrhundert, 2014, zur Rezension
[xxiii] „Entwicklung verstehen“, SympathieMagazin, Nr. 52, 2002, 52 S.
[xxiv] Kurt Bayertz, Der aufrechte Gang. Eine Geschichte des anthropologischen Denkens, 2013, zur Rezension
[xxv] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, in: UNESCO-Kommission, Menschenrechte. Internationale Dokumente, Bonn 1981, 248 S. (S. 48)
[xxvi] Sylke Bartmann / Oliver Immel, Hrsg., Das Vertraute und das Fremde. Differenzerfahrung und Fremdverstehen im Interkulturalitätsdiskurs, 2010, zur Rezension
[xxvii] Thorsten Fuchs, Bildung und Biographie. Eine Reformulierung der bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung, 2011, in: zur Rezension
[xxviii] Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, 2011, zur Rezension
[xxix] Initiativen Partnerschaft Eine Welt e.V. (IP1), www.initiativen-partnerschaft.de