Ein durch und durch ungerechtes System
Die Zweiteilung der Krankenversicherung ist schon lange ein sozialpolitisches Reizthema. Neue Zahlen der Bertelsmann Stiftung zeigen, wie ungerecht die Aufteilung in ein gesetzliches und ein privates Krankenversicherungssystem ist: Privatversicherte verdienen durchschnittlich mehr als gesetzlich Versicherte, auch sind sie gesünder. Diese Ungleichheit sorgt dafür, dass gesetzlich Versicherte deutlich mehr zahlen als sie innerhalb eines einheitlichen Systems müssten.
Trotz aller Beteuerungen der Befürworter*innen des bestehenden Systems, es würden hinsichtlich der medizinischen Versorgung keine Unterschiede zwischen den Gruppen gemacht, ist allzu offensichtlich, dass Privatversicherte bevorzugt behandelt werden: Kürzere Wartezeiten, eine zuvorkommende Organisation durch die Arztpraxen und vorteilhafte Zusatzleistungen sind die Vorteile der privaten Krankenversicherung. Und dies ist übrigens gar nicht anders denkbar, denn andernfalls hätte die private Versicherungswirtschaft gar keine Verkaufsargumente, um Menschen, die zwischen privat und gesetzlich auswählen können, von ihren Vorteilen überzeugen zu können. Gleichzeitig hört man immer häufiger von Privatversicherten, dass sie sich aus moralischen Gründen eigentlich lieber gesetzlich versichern lassen würden. Einzig die Umsetzung wird den Wechselwilligen massiv erschwert, denn es gibt absurderweise keinen finanziellen Anreiz, in die Solidargemeinschaft zu wechseln.
Duales System geht zu Lasten der Solidargemeinschaft
Eine Studie des Berliner IGES Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung bestätigt nun aufs Neue das ungute Gefühl, das ein großer Teil der Bevölkerung mit dem Krankenversicherungssystem hat. Denn die Ergebnisse belegen eindrücklich, wie ungerecht die bestehende Zweiteilung ist: Das Institut hat berechnet, um wieviel der durchschnittliche Krankenversicherungsbeitrag von gesetzlich Versicherten sinken würde, wenn alle, also auch Beamt*innen, Selbständige und Gutverdiener*innen in die gesetzliche Versicherung einzahlen würden. Das Ergebnis wäre ein um bis zu 145 EUR niedrigerer Beitrag, also eine spürbare Entlastung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass gesetzlich Versicherte deutlich höhere Beiträge zahlen müssen, weil sich die privilegierte Gruppe der privat Versicherten nicht beteiligen muss. Die Zahlen zeigen also einmal mehr deutlich, dass das für die Sozialversicherungen konstitutive Solidarprinzip - die Stärkeren entlasten die Schwächeren - nicht für das System der Krankenversicherung gilt.
Privat Versicherte verdienen mehr und sind gesünder
Schaut man auf die Ursachen, wird die Ungerechtigkeit noch deutlicher sichtbar. Denn dadurch, dass privat Versicherte im Schnitt 56% mehr verdienen als gesetzlich Versichterte, gehen der Solidargemeinschaft Einnahmen in Milliardenhöhe verloren. Zudem sind wohlhabende Menschen im Durchschnitt gesünder und seltener von chronischen Erkrankungen oder einer Behinderung betroffen. Sie 'verursachen' also im Schnitt deutlich weniger Kosten als gesetzlich Versicherte. Zusammengefasst heißt das: Die Versicherungskonzerne können auf Grundlage dieser für sie günstigen Risikobilanz Gewinne erzielen, die dem Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung dann fehlen.
Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, wird in ihrer Einschätzung der Ergebnisse entsprechend deutlich: „Nur wenn sich alle Versicherten unabhängig vom Einkommen zusammentun, um die Risiken zwischen Gesunden und Kranken auszugleichen, kann eine tragfähige Solidargemeinschaft entstehen.“ Die bestehende Aufspaltung schwäche den sozialen Zusammenhalt. Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte bei der Bertelsmann Stiftung, hebt hervor, dass Deutschland das "einzige Land in Europa" sei, dass sich ein duales Krankenversicherungssystem leiste. Inwieweit die in Europa einzigartige Aufspaltung des Krankenversicherungssystems weiter Bestand haben wird, bleibt offen. Bekanntermaßen fordern SPD, Grüne und Linke schon länger den Wechsel in eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen müssten. Doch CDU und FDP sträuben sich trotz der offensichtlichen Schieflage im System massiv gegen eine Umstellung, was auch mit der in beiden Parteien traditionell mächtigen Ärzte-Lobby zu tun haben dürfte. Arztpraxen rofitieren finanziell deutlich von den Zusatzeinnahmen, die ihnen Privatversichterte bescheren. Aus Sicht der Ärzteschaft würde der Wechsel in eine Bürgerversicherung dazu führen, dass zahlreiche Arztpraxen schließen müssten.
Die vergleichende Darstellung der Einkommens- und Risikoprofile der gesetzlich und privat Versicherten im ersten Teil der Studie basiert auf den Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das SOEP ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung von Personen in privaten Haushalten in Deutschland, die seit 1984 jährlich durchgeführt wird. Es hat einen Stichprobenumfang von jährlich etwa 20.000 Erwachsenen und ihren Kindern in rund 12.000 Haushalten. Da die SOEP-Daten repräsentativ für die gesamte in Deutschland lebende Bevölkerung sind, wird davon ausgegangen, dass auch die Population der PKV-Versicherten hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Struktur und ihrer Einkommensstruktur hinreichend genau abgebildet ist.
Quelle: Mit Informationen der Bertelsmann Stiftung vom 17.2.2020
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