Eine Welt oder keine Welt: Was ist die UNESCO und was sind UNESCO-Lehrstühle?
„Auf unserer Welt herrscht Alarmstufe Rot“. Diese 2018 vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres bei seiner Neujahrsbotschaft ausgesprochene Warnung gilt heute, in den Zeiten von Unfrieden, von Ungerechtigkeit, von Ego- und Ethnozentrismus, Nationalismus, Populismus und Fake News mehr denn je.
Es ist eine Warnung, die Menschheit vor den Geiseln des Krieges, des Unrechts, von Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit zu bewahren. Dafür wurden 1945 die Vereinten Nationen gegründet. In ihrer Verfassung werden die Ziele der UNO aufgeführt: Den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhenden Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln, internationale Zusammenarbeit zu fördern. Obwohl die meisten Staaten in der Welt Mitglieder der Vereinten Nationen sind, ist es bis heute nicht gelungen, einvernehmlich die Ziele der UNO anzuerkennen und zu verwirklichen. Die Visionen, dass sich die Vereinten Nationen zu einem „Eine-Welt-Staat und die BürgerInnen der Staaten zu „Weltbürgern“ entwickeln würden, scheinen illusionär und unmachbar zu sein. Das als „globale Ethik“ benannte Bewusstsein, dass „die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“[1], ist löcherig und wird relativiert[2].
Wichtigkeit und Wirksamkeit
Hier sollen nicht die (bekannten) Argumentationen über die institutionalisierten Bedeutungen und Tatsachen über Notwendigkeit, Frieden in der Welt zu schaffen, wiederholt werden[3]; vielmehr wird darauf aufmerksam gemacht, welche Zielsetzungen und Realisierungen die Sonderorganisation – UNESCO – unternimmt, um Frieden in die Welt zu bringen. Die „United Nations Educational, Scientific, and Cultural Organisation“ wurde am 14. Dezember 1945 von 37 Staaten in London mit Sitz in Paris gegründet. Heute gehören 93 Länder der Organisation an. In ihrer Verfassung wird formuliert: „Da Kriege im Geiste der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geiste der Menschen verankert werden“. Wie in ihrem Namen ausgewiesen, ist die UNESCO zuständig für globale Fragen der BILDUNG, der WISSENSCHAFT und der KULTUR – weil nur Erziehung, Bildung und Aufklärung, wissenschaftliches und ethisches Bewusstsein, und (inter-)kulturelle Identität ein gutes, gelingendes, menschenwürdiges Leben für alle Menschen ermöglichen können. 1972 hat die Generalkonferenz der UNESCO die „Internationale Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt „ aufgestellt mit dem Ziel, „die unersetzlichen Zeugnisse vergangener Kulturen ebenso wie Naturlandschaften von herausragender Schönheit zu bewahren[4]. 1974 hat die UNESCO die Empfehlung zur „internationalen Erziehung“ herausgebracht, in der „Erziehung“ definiert wird als „Gesamtprozess des sozialen Lebens, innerhalb dessen Einzelpersonen es lernen, in ihrer eigenen Gesellschaft und im Rahmen der gesamten Weltgemeinschaft ihre persönlichen Fähigkeiten und Einstellungen, ihr Können und ihr Wissen bewusst und bestmöglich zu entfalten“[5]. 1989 wurde in der internationalen Konferenz der UNESCO - „Peace in the mind of Men“ – eine umfassende Definition von „Frieden“ formuliert: Frieden heißt Ehrfurcht vor dem Leben – Frieden ist das kostbarste Gut der Menschheit – Frieden ist mehr als das Ende bewaffneter Konflikte – Frieden ist eine ganz menschliche Eigenschaft – Frieden verkörpert eine tiefverwurzelte Bindung an die Prinzipien der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Gleichheit und der Solidarität zwischen allen Menschen – Frieden bedeutet eine harmonische Partnerschaft von Mensch und Natur[6].
Die Universität der Vereinten Nationen
Am 11. Dezember 1972 wurde die „United Nations University“ mit Sitz in Tokyo/Japan eingerichtet. Die UNU ist keine universitäre Ausbildungsstätte, sondern hat koordinierende, kooperierende und innovative Aufgaben, wie z. B. mitzuarbeiten, dass Frieden und Sicherheit in die Welt kommen, dass Konfliktlösungen entwickelt und eingesetzt werden, dass die Weltwirtschaft humaner funktioniert, dass Hunger und Armut in der Welt eingedämmt werden, dass Ressourcen für Umweltschutz entwickelt werden, dass soziale, globale Systeme entstehen, dass im wissenschaftlichen, humanen und technologischen Diskurs ethische Prämissen eingehalten werden. Sie versteht sich als „global think tank and postgraduate teaching organisation“. Universitäre Aus- und Fortbildung wird an 13 Instituten in 12 Ländern angeboten. Am UN-Campus in Bonn sind, neben UNU-EHS (Institute for Environment and Human Security), UNU-ViE (Vice-Rectorate in Europe) und UNU-ViE SCYCLE (nachhaltige Kreisläufe), zahlreiche weitere UN-Einrichtungen tätig[7].
UNESCO-Lehrstühle
Mit dem 1992 von der UNESCO eingerichteten UNITWIN-Netzwerk sollen die wissenschaftlichen Lehr- und Forschungsaktivitäten, der globale, friedfertige Dialog und globale Gerechtigkeit gefördert werden. Sie sind ausgestattet mit UNESCO-Chairs, die in 110 Ländern an Universitäten eingerichtet wurden, in Deutschland mit 16 Lehrstühlen. Exemplarisch wird über die Arbeit des UNESCO-Lehrstuhls an der Universität Hildesheim informiert. Dem Kulturwissenschaftler und Leiter des Instituts für Kulturpolitik, Wolfgang Schneider (em.) wurde aufgrund seiner zahlreichen kulturellen (politischen, theatralen, ästhetischen, dialogischen und medialen) Aktivitäten und Innovation 1992 der jeweils vierjährige Titel „UNESCO-Chair Culturell Policy for the Arts“ verliehen und immer wieder reaktiviert. In der Zeit sind vielfältige Aktivitäten und Initiativen entstanden, über die das Hildesheimer Team regelmäßig in der Publikation „Kultur – Politik – Diskurs“ informierte und mit bemerkenswerter, zukunftsweisender Literatur aufwartete[8].
Der neue Leiter des Instituts, Julius Heinicke, erhielt für den Zeitraum 2020 – 2024 den UNESCO-Lehrstuhl „Kulturpolitik für die Künste in Entwicklungsprozessen“. Die folgenden Schwerpunkte werden bearbeitet:
Über die Lehr- und Forschungstätigkeit des Hildesheimer UNESCO-Chairs wird mit der Publikation „Kultur – Politik – Diskurs“[9] informiert. Dabei stehen relevante und drängende Fragen im gesellschaftlichen, kulturpolitischen Diskurs im Vordergrund (siehe z. B. die Irritationen und Auseinandersetzungen bei der 15. Documenta 2022): „Wer entscheidet über Narrative und Diskurshoheit?“ – „Wie können Kunstfreiheit und gesellschaftliche Verantwortung zusammen gedacht werden?“ – „Welche Rolle spielen Kunst und Kultur im Zuge tiefgreifender Transformationsprozesse und in Zeiten von Krisen?“. Es ist der individuelle und kollektive, lokale und globale Perspektivenwechsel, wie ihn bereits die Weltkommission „Kultur und Entwicklung 1995 angemahnt hat: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“[10]. Es ist der interkulturelle Dialog, die Begegnung, der global-wissenschaftliche Dialog, die interdisziplinäre Kooperation, die kulturpolitische Initiativen fordern, und nicht zuletzt sind postkoloniale, restitutionsgeleitete Aktivitäten (neue) kulturpolitische Aufgabenfelder (Julius Heinicke).
Es sind Strukturen und Analysen, die Netzwerke erfordern, etwa mit der Bundesakademie für Kulturelle Bildung und Forschung im niedersächsischen Wolfenbüttel, als interdisziplinäres, mediales Forschen (Rez@Kultur), als Anstöße zur Demokratiebildung, und zu Fragen der kulturellen und ästhetischen, künstlerischen Entwicklung in urbanen und ruralen Räumen (Vanessa Reinwand-Weiss).
Fragen, wie Kulturorganisationen sich in den Transformationsprozessen verstehen, positionieren und nach Innen und Außen wirken können, werden in der „Teilhabeforschung“ thematisiert. Die professionellen Profile „Kulturvermittlung und Kulturmanagement“ haben an der Hildesheimer Hochschule einen guten Platz. Aspekte, wie KünstlerInnen und Kulturschaffende ihre Kapazitäten und Produkte in den öffentlichen Diskurs einbringen und zur Wirkung bringen können, werden kooperativ erkundet und in einem bundesweiten Forschungsprojekt dargestellt: „Künstlerische Interventionen in der kulturellen Bildung“, 2022 (Birgit Mandel).
In der universitären Lehre gewinnt das Bachelor-Studium „Kulturwissenschaften und künstlerische Praxis“ zunehmende Bedeutung und Interesse; das Master-Studium „Kulturvermittlung, Kulturpolitik und Transformation im Kontext der Künste“ bietet professionelle Perspektiven. Organisatorisch und kooperativ betritt das Institut neue Wege: Das Professorenteam – Julius Heinicke, Birgit Mandel, Vanessa Reinwald-Weiss – leiten jeweils zweijährig das Institut im Wechsel. Damit werden auch neue, kooperative universitäre Leitungs- und Führungsstrukturen erprobt (Daniel Gad).
Im Zusammenhang mit dem Bologna-Reform-Prozess (1999) wurde an den Universitäten Hildesheim und Aix-Marseille das deutsch-französische Doppel-Master-Studium „Kulturvermittlung / Médiation culturelle“ eingerichtet. Die berufliche Qualifizierungsmaßnahme „ermöglicht einen umfangreichen, transkulturellen und ambiguitätstoleranten Einblick in ein Fach, das sowohl kulturelle und künstlerische Realitäten als auch sich selbst zur Debatte stellt“ (Lea Frauenknecht und Maria Nese mann).
Der Forschungsblick und –gang IN SITU öffnet und erweitert sich durch Forschungskooperationen, die an der Hildesheimer Universität mit 13 Partnerinstitutionen aus 12 europäischen Ländern in einem 48monatigen Forschungsprojekt durchgeführt wird: „Forschung so interdisziplinär und dicht an der Praxis … ist ein großer Pluspunkt dieses Projekts“ (Beate Kegler / Helena D. Walther).
„Pan-European Migrant Performance“, als Blickpunkt auf das ästhetische, künstlerische Schaffen von MigrantInnen, macht einen Perspektivenwechsel erforderlich (Szaboles Musca).
Die Info- und Motivschrift des Hildesheimer Instituts für Kulturpolitik ist ein Blicköffner und Handlungsmotivator für kulturpolitisches Denken und Handeln. Es sind Themenbereiche, die dir und mir im Alltäglichen begegnen, auf der Straße liegen und als besondere Ereignisse goutiert werden, im Museum, im Theater, im Internet, vor dem Denkmal, als Gender-und Krisen-Bewusstsein, als Op4en Space (Birgit Mandel / Nele Gittermann / Volker Thiel / Nicola Scherer / Michèle Brand / Katrin Lohbeck).
[1] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (10. Dezember 1948), in: Deutsche UNESCO-Kommission, Menschenrechte. Internationale Dokumente, Bonn 1981, S. 48.
[2] Marc Engelhardt, Weltgemeinschaft am Abgrund. Warum wir eine starke UNO brauchen, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/24143.php
[3] https://www:socialnet.de/materialien/46.php, 11.12.2008; https://www,sozial.de/globale-ethik-in-der-einen-welt.html, 19.10.2020; https://www.sozial.de/sprache-und-wert-der-menschenrechte.html, 26.6.22; https://www.social.de/ein-zwischenruf-in-den-zeiten-des-unfriedens.html, 8.9.22
[4] Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Hrsg., Die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, UN-Text 35 (Klaus Hüfner), Bonn 1986, 406 S.; Klaus Hüfner, UNESCO und die Menschenrechte, 2007, www.socialnet.de/rezensionen/5543.php
[5] Deutsche UNESCO-Kommission, Empfehlung über die Erziehung zu internationaler Verständigung und Zusammenarbeit und zum Frieden in der Welt sowie die Erziehung zur Achtung der Menschenrechtte und Grundfreiheiten,2. Aufl., Bonn 1990,37 S.
[6] Deutsche UNESCO-Kommission, Internationale Verständigung, Menschenrechte und Frieden als Bildungsziel. Drei Texte der UNESCO, Bonn 1992, S. 39
[7] https://ehs-unu.edu.
[8] Wolfgang Schneider / Daniel Gad, Hrsg., Good Governance for Cultural Policy, 2014, www.socialnet.de/rezensionen17572.php; Wolfgang Schneider, Theater für Kinder und Jugendliche, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/5543.php; Mitarbeit beim „Übereinkommen über Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Magna Chartader Internationale3n Kulturpolitik, Deutsche UNESCO-Kommission, 2006, 111 S.
[9] Universität Hildesheim. Institut für Kulturpolitik, 31141 Hildesheim, Universitätsplatz 1, 11, 1, 2023, 60 S., uni-hildesheim.de/kulturpolitik
[10] Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt, 1997, S. 18