Es geht mir gut!
„Also wenn ich mir nur meine kleine Welt anschaue und die große Welt um mich herum ausblende, dann geht es mir gerade richtig gut“, sage ich, und bei dem Zusatz „wenn ich die große Welt ausblende“ nicken die Menschen und stimmen mir zu.
Die Kriege, die Naturzerstörung, der Hass in den Äußerungen vieler Menschen bremst meine Lebensfreude. Da tut es mir gut, wenn mir Hoffnungsträger:innen begegnen und ich auch die anderen, die freundlichen, die menschlichen Stimmen hören kann.
Eher zufällig bin ich an einem Sonntagnachmittag bei einer Veranstaltung in einer großen Bibliothek gelandet. Da waren vier junge Menschen auf dem Podium. Sie sprachen miteinander und mit dem Publikum. Sie stellten ihre Strategien zum Umgang mit Gewalt und Hass in der Sprache und in den Medien vor. Sie diskutierten über radikale Höflichkeit und die klare Positionierung gegen menschenverachtende Reden und wie wir dem kleinen Rassismus in uns selbst auf die Spur kommen können. Das tat mir so gut, und es war, als ob meine eigenen Gedanken durch diese jungen Menschen in die Öffentlichkeit kommen. Ich war so begeistert, dass ich am nächsten Tag gleich einen Antrag auf Mitgliedschaft stellte, bei der Organisation, die diese Podiumsdiskussion veranstaltet hatte. Den Jahresbeitrag kann ich mir leisten, dachte ich mir, und über den monatlichen Newsletter werde ich fortlaufend über hoffnungstragende Veranstaltungen und hoffnungstragende junge Menschen informiert.
Mit meiner Arbeit bin ich auch sehr zufrieden. „Auf zwei Hochzeiten tanzen“ nennt man das wohl, was ich gerade mache. Bei Arian habe ich meine erste kleine Kinderschutzschulung für sein Vier-Personen-Team vorbereitet und erfolgreich durchgeführt. Wir haben anhand eines realen Falles die Materialien zur Gefährdungseinschätzung geübt und die Fachkraft konnte mit einer klaren Orientierung aus der Veranstaltung gehen. Sein umfangreiches Kinderschutzkonzept, das er für die Trägerzulassung einreichen musste, habe ich ihm etwas zerpflückt. Nun muss noch der trägerinterne Ablaufplan aktualisiert werden. Ich frage mich, warum diese Schutzkonzepte immer so viele Seiten – er hatte 38 – lang sein müssen. Ich werde einfach eine Kurzfassung dazu machen. Höchstens 9 Seiten. Es wird leicht verständlich sein, praxisnah und auf den Bereich der ambulanten Hilfen zur Erziehung fokussieren, damit auch unerfahrene Fachkräfte die Inhalte in ihren konkreten Arbeitsalltag einordnen können.
Bei dem anderen, dem großen Träger, bei dem ich nun doch nicht gekündigt habe, weil die Gründe, die mir dort die Arbeit vermiest haben, beseitigt sind, wird es auch wieder interessant. Die Interimsgeschäftsführung konnte ich nun zum zweiten Mal bei der Betriebsversammlung erleben. Dass die Stimmung zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung entspannt ist und sogar kooperativ war deutlich zu hören und zu sehen. Fragen der Mitarbeitenden wurden gehört und sogar beantwortet, Veränderungswünsche und Kritik wohlwollend aufgenommen und ich habe den Eindruck, dass sich da bald einiges ändern wird. Zu unserer großen Freude hat der vorübergehend tätige Geschäftsführer versprochen, dass er so lange bleibt, bis zwei neue Personen für die Geschäftsführung gefunden sind.
Was meine konkrete Fallarbeit angeht, bin ich auch sehr zufrieden. Daniel lebt wieder überwiegend bei einem Freund und taucht manchmal bei Papa und manchmal bei Mama auf. Inzwischen ist er bereit, sich über betreute Wohnformen zu informieren. Bald findet eine Hilfekonferenz statt, bei der ich meinen Kollegen als Vertretung vorstellen möchte. Denn ich werde demnächst ein paar kleine Urlaube machen.
Ihre Katja Änderlich*
*Name von der Autorin pseudonymisiert