Freizeit- und Glücksspielverhalten Jugendlicher und junger Erwachsener

von Dr. Tobias Hayer
06.10.2014 | Gesundheitswesen, Kinder-/Jugendhilfe | Nachrichten

Buchrezension: Stöver, H., Kaul, O. & Kauffmann, R. (2014). Freizeit- und Glücksspielverhalten Jugendlicher und junger Erwachsener. Freiburg im Breisgau: Lambertus. 118 S. m. Abb., € 19,90. ISBN: 978-3-7841-2686-9.

Anmerkung der Redaktion:
Diese Rezension weicht von der üblichen Zielsetzung der socialnet  Rezensionen ab: sie informiert nur sehr kurz über das Buch und konzentriert sich auf die Darstellung von Einwänden gegen die Untersuchung, die der Veröffentlichung zu Gründe liegt. Die beteiligten beiden Redaktionen haben sich deshalb mit Einverständnis des Rezensenten darauf verständigt, dieses Rezension als Diskussionsbeitrag bei sozial.de zu veröffentlichen.

Inhalt

Eine unlängst veröffentlichte Buchpublikation von Stöver et al. (2014) beschäftigt sich mit dem Glücksspielverhalten Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Auf der Grundlage einer repräsentativ angelegten Online-Befragung wurde ein differenziertes Bild zur Glücksspielnachfrage sowie zu anderen Freizeitaktivitäten von 6.784 Personen gezeichnet, wobei 2,3% der Stichprobe glücksspielbezogene Probleme aufweisen (Minderjährige: 0,7%; Erwachsene: 2,7%). Im Vergleich zu den bis 2013 primär für das Erwachsenenalter vorliegenden epidemiologischen Daten (vgl. Hayer, Rumpf et al., 2014) zeigt sich ein leicht erhöhter Wert, was aufgrund der im Fokus stehenden Altersgruppe aber nicht verwundert. Weiterführende Analysen zielen unter anderem darauf ab, die Glücksspielnachfrage Jugendlicher in das breite Spektrum der verschiedenen adoleszenten Freizeitbeschäftigungen einzubetten und empirische Hinweise auf Erfolg versprechende Präventionsmaßnahmen zu finden. Erhebliche Mängel lassen jedoch grundsätzliche Zweifel an der Güte der Studie im Allgemeinen sowie der vermeintlichen Evidenzbasierung der abgeleiteten Schlussfolgerungen im Speziellen aufkommen, was insbesondere auf die Subgruppe der Minderjährigen zutrifft. Die Hauptlimitationen, die sowohl das methodische Vorgehen als auch die Interpretationslogik umfassen, sollen im Folgenden in aller Kürze dargelegt werden.

Kritische Bewertung der Inhalte, Methodik und Befundinterpretationen

Im gesamten Buch fällt die genuine Tendenz auf, die mit dem gewerblichen Automatenspiel assoziierten Suchtgefahren zu verharmlosen. So wird bereits in der Einleitung fälschlicherweise der Eindruck erweckt, dass das kindliche Spiel („playing“) und die Teilnahme am Glücksspiel („gambling“) derselben Erlebniskategorie angehören (vgl. kritisch hierzu mit Hayer & von Meduna, 2014). Auch verzichten die Autoren darauf, die zahlreichen Erkenntnisse der epidemiologischen und Versorgungsforschung aus Deutschland zu zitieren, die in konsistenter Weise für ein hohes Suchtpotenzial von Geldspielautomaten sprechen (vgl. für die zahlreichen Primärquellen mit Hayer & von Meduna, 2014; Hayer, Rumpf et al., 2014). Auffallend ist zudem die lückenhafte Aufbereitung der vorhandenen Literatur zum Thema „Jugendliche und Glücksspiele“. Stöver et al. (2014) konstatieren, dass „wenig über relevante Persönlichkeitsfaktoren bei problematischen bzw. pathologischen Spielern bekannt“ sei (S. 21). Diese Aussage missachtet zum einen Befunde aus Deutschland (z.B. Walther et al., 2012), zum anderen wird ein gefestigter internationaler Forschungszweig in Gänze ignoriert. Zum Beispiel hat Hayer (2012) im Rahmen eines systematischen Reviews ein differenziertes Profil eines adoleszenten Problemspielers vorgelegt. Warum dieser Sachverhalt überhaupt keine Erwähnung findet (oder aus Sicht der Autoren womöglich nicht auf Deutschland übertragen werden kann), bleibt offen. Unter methodischen Gesichtspunkten sind ebenfalls einige zum Teil gravierende Defizite anzumerken. Darunter fällt die Erfassung glücksspielbezogener Probleme im Jugendalter in Anlehnung an die DSM-IV-Kriterien. Diese – übrigens seit Mai 2013 veraltete Merkmalsliste (vgl. Hayer, Rumpf et al., 2014) – ist ursprünglich für Erwachsene formuliert worden; eine Anwendung im Jugendalter widerspricht in vielerlei Hinsicht der gängigen wissenschaftlichen Praxis (vgl. Hayer, 2012). Eine Einbindung von jugendgemäßen Screening-Instrumenten (z.B. SOGS-RA oder das DSM-IV-MR-J) wäre in diesem Kontext somit zielführender, wenngleich immer noch suboptimal gewesen (Hayer, Meyer et al., 2014). Sehr verwunderlich mutet zudem die Filterführung an, nach der lediglich diejenigen Probanden „gescreent“ wurden, die im vergangenen Monat mindestens 50 Euro für Glücksspiele ausgegeben hatten. Stöver (2009) selbst verwies mittels einer Reanalyse eines epidemiologischen Datensatzes bezogen auf Erwachsene im Alter von 18 bis 65 Jahren darauf, dass die Einbindung eines derartig strengen Einschlusskriteriums zu einer spürbaren Verringerung des Anteils pathologischer Spieler führt. Folglich dürfte dieser Effekt in der vorliegenden Studie ebenso zum Tragen kommen, zumal Jugendliche in der Regel über weitaus geringere finanzielle Mittel verfügen als Erwachsene. Ein weiterer zentraler Kritikpunkt bezieht sich auf den aus fachlicher Sicht vollkommen unangebrachten Versuch, die für Minderjährige verbotene Teilnahme am kommerziellen Glücksspiel mit anderen (normativen) Freizeitaktivitäten wie etwa „Shoppen“, „Chillen“ oder „Ausgehen“ zu vergleichen. Die direkte Gegenüberstellung von risikokonnotativen Verhaltensweisen, die mit einer potenziellen Gefährdung für Heranwachsende einhergehen (hier sollten aus guten Gründen die Bestimmungen des Jugendschutzes greifen) und an sich unproblematischen Varianten der Freizeitgestaltung wird spätestens dann obsolet, wenn die Autoren selbstkonstruierte, nicht-validierte Items als Indikatoren einer bereichsspezifischen „schwierigkeitsstiftenden Wirkung“ (S. 46) heranziehen. Um ein konkretes Beispiel zu benennen: Während 44% der Minderjährigen angeben, durch Chillen „manchmal Dinge vernachlässigt zu haben, die sie eigentlich tun sollten“, liegt dieser Wert bei einzelnen Glücksspielformen bei maximal 1% (und beim Rauchen übrigens bei 3%). Hieraus eine Gefahrenhierarchie abzuleiten oder sogar die Schlussfolgerung zu ziehen, dass sich Probleme primär durch andere Freizeitaktivitäten abseits des Glücksspiels manifestieren, geht am Kern der Thematik komplett vorbei, impliziert eine Bagatellisierung der glücksspielinhärenten (Sucht-)Gefahren und verkörpert ein leicht durchschaubares Ablenkungsmanöver. In ähnlicher Weise sind die Ausführungen von Stöver et al. (2014) zu den risikoerhöhenden Bedingungen problematischen Spielverhaltens zu werten. Zwar lassen sich punktuell einige spannende Befunde finden (z.B. zum Einfluss des sozialen Nahumfeldes auf die Entwicklung glücksspielbezogener Probleme oder zum mangelhaften Jugendschutz im gastronomischen Bereich). Diese zweifelsohne wichtigen Aspekte treten aufgrund der einseitigen und verzerrenden Interpretationslogik der Autoren leider jedoch schnell wieder in den Hintergrund. Stöver et al. (2014) bestätigen zum wiederholten Male und infolgedessen wenig überraschend den hohen Belastungsgrad von adoleszenten und erwachsenen Problemspielern (vgl. für Jugendliche mit Hayer, 2012, und für Erwachsene mit Hayer, Rumpf et al., 2014). Allerdings wird das problematische Spielverhalten im nächsten Schritt als „ein Symptom kognitiver, lebensweltlicher/sozialer und seelischer Probleme und Defizite“ verortet, so dass Erfolg versprechende Präventionsansätze „primär an der betroffenen bzw. gefährdeten Person und ihrem sozialen Umfeld“ ansetzen sollten (S. 81). Diese Ansicht verschiebt die Verantwortung für die Krankheitsentstehung weitestgehend in Richtung Individuum (und damit weg von der Anbieterseite bzw. dem Produkt). Ein empirisches Argument greift in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Tatsache auf, dass Problemspieler üblicherweise ein multiples Spielverhalten zeigen (d.h. parallel eine Vielzahl an unterschiedlichen Spielformen nachfragen bzw. eine generell hohe Affinität zu Glücksspielen aufweisen). Den Autoren zufolge wären zu starke Restriktionen in einem Marktsegment daher nicht zielführend, da es zwangsläufig zu einem Ausweichverhalten käme. Jedoch verkennt diese Sichtweise, dass Betroffene tatsächlich in der Lage sind (wenn sie denn explizit danach gefragt werden), den relativen Einfluss unterschiedlicher Spielformen auf die individuelle Fehlentwicklung zu benennen (vgl. ausführlich zu diesem Punkt mit Hayer & von Meduna, 2014, sowie für aktuelle empirische Befunde mit Buth, Milin, Mollenhauer & Kalke, 2014). Implikationen wie die Attestierung einer grundsätzlichen Nutzlosigkeit von Präventionsansätzen, die „einseitig die Angebotsseite (und dabei auch noch bestimmte Glücksspielformen) fokussieren“ (S. 99), wirken wie ein Rückschritt in längst vergessene Zeiten. Natürlich stellt eine angemessene Suchtpräventionspolitik immer eine multidimensionale Aufgabe dar, die sich aus einer sinnvollen Kombination aus unterschiedlichen verhältnis- und verhaltenspräventiven Maßnahmen zusammensetzt. Hierzu zählen aber eben auch – nicht zuletzt im Interesse der Jugendlichen – segmentspezifische Ansätze wie das Verbot des gewerblichen Automatenspiels außerhalb von Spielhallen, die Erhöhung der Zugangsbarrieren zum Glücksspiel (u.a. durch Ausweiskontrollen), Veränderungen einzelner Veranstaltungsmerkmale, Restriktionen in der Werbung und das Verbot jugendaffiner Themen bei der konkreten Ausgestaltung von Glücksspielen (vgl. Hayer, 2012). Bedauerlicherweise verlieren die Autoren diesbezüglich kaum ein Wort. Schließlich verletzen einzelne Versatzstücke der vorliegenden Publikation gängige wissenschaftliche Standards der Manuskriptgestaltung. Exemplarisch hierfür stehen fehlende Quellenangaben (u.a. wurde offenbar eine verkürzte Version des „Gambling Attitudes and Beliefs Survey“ von Breen & Zuckerman, 1999, zur Messung kognitiver Verzerrungen und glücksspielbezogener Einstellungsmuster verwendet, ohne dies kenntlich zu machen) oder der Verzicht auf die obligatorische Auseinandersetzung der mit dem eigenen Forschungsansatz verbundenen Limitationen (neben den oben genannten Punkten wären hier vornehmlich die Repräsentativität der Stichprobe und die psychometrische Güte der eingesetzten Messinstrumente zu diskutieren).

Fazit

Positiv ist die Offenlegung des Auftraggebers der Studie zu würdigen, der in Deutschland zu den bekanntesten Herstellern von Geldgewinnspielgeräten zählt. Allerdings wäre dieser Schritt – abgesehen von ethischen Aspekten wissenschaftlichen Arbeitens – gar nicht nötig gewesen, da die Argumentationsweise der gewerblichen Automatenbranche vollumfänglich, zum Teil sogar im Wortlaut, übernommen wurde (vgl. auch mit Fiedler et al., 2014, sowie Hayer & von Meduna, 2014, die derartige Verharmlosungs- bzw. Relativierungsstrategien seitens der Glücksspielanbieter explizieren). Ob die eigentlich lobenswerte Intention, „aktuelle und geplante Präventionsaktivitäten wissenschaftlich abgesichert zu fundieren“ (S. 7) vor dem Hintergrund der aufgezeigten methodisch-analytischen sowie interpretatorischen Schwächen (einschließlich möglicher Interessenkonflikte) erreicht wurde, ist in der Gesamtbewertung äußert zweifelhaft. Es bleibt deswegen zu hoffen, dass die Kernaussagen dieser Studie im öffentlichen Diskurs kritisch reflektiert und gemäß ihrer sachlichen Güte eingeordnet werden.

Literatur

Breen, R.B. & Zuckerman, M. (1999). ‚Chasing’ in gambling behavior: Personality and cognitive determinants. Personality and Individual Differences, 27, 1097-1111. Buth, S., Milin, S., Mollenhauer, S. & Kalke, J. (2014). Selbstheilung bei pathologischen Glücksspielern: Eine empirische Untersuchung zu den Möglichkeiten, mit Hilfe von Spielerschutzmaßnahmen Selbstheilungsprozesse zu initiieren und zu fördern. Hamburg: Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung. Fiedler, I., Effertz, T. & Adams, M. (2014). Argumentationsstrategien der Tabak-, Alkohol- und Glücksspielindustrie – Zwischen Schein und Desinformation. In Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (Hg.), Jahrbuch Sucht 14 (S. 258-268). Lengerich: Pabst. Hayer, T. (2012). Jugendliche und glücksspielbezogene Probleme: Risikobedingungen, Entwicklungsmodelle und Implikationen für präventive Handlungsstrategien. Frankfurt/M.: Peter Lang. Hayer, T. & Meduna, M. von (2014). Was macht Geldspielautomaten gefährlich? Eine kritische suchtpsychologische Bestandsaufnahme. In T. Becker (Hg.), Der neue Glücksspielstaatsvertrag: Beiträge zum Symposium 2012 der Forschungsstelle Glücksspiel (S. 133-157). Frankfurt/M.: Peter Lang. Hayer, T., Meyer, G. & Petermann, F. (2014). Glücksspielbezogene Probleme unter Jugendlichen: Eine kritische Auseinandersetzung mit den gängigen Screening-Instrumenten. Kindheit und Entwicklung, 23, 174-183. Hayer, T., Rumpf, H.-J. & Meyer, G. (2014, in Druck). Glücksspielsucht. In K. Mann (Hg.), Verhaltenssüchte: Grundlagen – Diagnostik – Therapie – Prävention. Berlin: Springer. Stöver, H. (2009). Von der Unterschätzung verborgener Populationen. Suchttherapie, 10, 34-36. Stöver, H., Kaul, O. & Kauffmann, R. (2014). Freizeit- und Glücksspielverhalten Jugendlicher und junger Erwachsener. Freiburg im Breisgau: Lambertus. Walther, B., Morgenstern, M. & Hanewinkel, R. (2012). Co-occurrence of addictive behaviours: Personality factors related to substance use, gambling and computer gaming. European Addiction Research, 18, 167-174. Autor
Dr. Tobias Hayer
Dipl.-Psych.
Universität Bremen
Institut für Psychologie und Kognitionsforschung
E-Mail Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Buchbesprechung bestehen.

Kommentare

Anmerkung der Redaktion: Die folgende Stellungnahme von Prof. Dr. Heino Stöver zur Rezension wurde am 04.01.2015 veröffentlicht:

Für eine sinnvolle Balance von Verhaltens- und Verhältnisprävention!

Verwunderlich, dass der Rezensent die im vorliegenden Buch angedeutete nötige Balance von Verhaltens- und Verhältnisprävention übersieht und den Buchautoren eine ‚Verharmlosung‘ unterstellt. Es wird in der Studie eindeutig klargestellt, dass „Spiele mit hoher Ereignisfrequenz – wie z.B. Automatenspiele – ein höheres Suchtpotenzial aufweisen können“ (S. 51). Auch an vielen anderen Stellen wird auf die Notwendigkeit hingewiesen ausgewogen und balanciert mit den Präventionsbereichen Verhalten (Individuen und ihre Nachfrage) und Verhältnisse (Industrie und ihre Angebote) umzugehen. Das Besondere dieser Studie ist, dass sie die Lebensumwelt, Alltags- und Freizeitaktivitäten in das Risikomanagement von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in eine Risikoabschätzung mit einbezieht. Spielen muss im Kontext der Lebenswelt dieser Zielgruppen betrachtet werden, um den Stellenwert von Spielaktivitäten besser einschätzen zu können. Und hier zeigt sich, dass Spielen – in welcher Form auch immer – in bestimmten Alterssegmenten neugierig ausprobiert wird, und sich bei älteren Alterssegmenten auch wieder ‚ausschleicht‘ (maturing out-Prozesse). Nach Ansicht des Entwicklungspsychologen Rolf Oerter dient das Spielen als Selbstzweck der Funktionslust, zur Realitätstransformation (Realitätsflucht) und im Freudschen Sinne der Wiederholung. Solche Zwecke können vielfältige Formen von Spielen, eben aber auch Glücksspiele an Automaten erfüllen. Dies bedeutet aber nicht, dass Glücksspiele an Automaten eo ipso „gefährlicher“ sind als andere Spielformen. “Identitätsstabilisierend werden solche Spielrituale besonders dann, wenn in der sonstigen Umwelt keine Sicherheit mehr zu finden ist und alle Sozialbeziehungen zerrüttet sind“ (Rolf Oerter, 1998). Mit dieser Erfahrung wird das Glücksspiel benutzt, um ein inneres Gleichgewicht herzustellen. Die Übergänge vom Spielen mit dem Zweck, schlechte Laune zu überwinden, bis zum Missbrauch und schließlich zur Sucht sind fließend. Es geht am Ende um die Abhängigkeit des gesamten Wohlbefindens von der Möglichkeit, um Geld spielen zu können. Das Glücksspiel wird zum zentralen Lebensinhalt, d. h. der Gestaltung des gesamten Lebens wird der Charakter eines Glücksspiels zugeschrieben. So können Glücksspieler jede Lebenssituation wie ein Glücksspiel inszenieren oder erleben. Theoretisch kann jedoch jedes Spiel diesen zentralen Lebensinhalt bekommen. Die Kennzeichen und Merkmale des Glücksspiels an Automaten (schnelle Spielabfolge, Spiel um Geld, hohe Ereignisfrequenz etc.) weisen dabei Risikopotenziale auf, was die Entwicklung einer Spielsucht angeht - das allein macht aus dem „gambling“ aber noch nicht eine originär unterschiedliche Erlebnissituation zum „playing“. In der Publikation werden einschlägige Studien – u. a. von Bühringer et al. (2007), Meyer et al. (2011) und der BZgA (2014) zur Prävalenz von Glücksspielsucht zitiert. Die bei Stöver et al. (2014) gefundene Prävalenzrate von Glücksspielsucht (2,3%) liegt sogar noch etwas über den in den anderen Studien ermittelten Werten. Insofern kann hier keinesfalls von einer Verharmlosung der Problematik oder dem Versuch, die Problematik „klein zu reden“, gesprochen werden. Im Gegenteil, die Ergebnisse der Studie tragen zu einer weiteren Validierung bei. Zum Hintergrund und zur Einbettung in den wissenschaftlichen Kontext und aktuellen Diskurs wird durchaus auf entsprechende Studien (z. B. Hurrelmann et al., 2003) verwiesen. Die Studie von Hayer (2012) wird in der Tat nicht zitiert. Im Endergebnis kommen aber sowohl Hayer (2012) als auch Stöver et al. (2014) zu dem Schluss, dass bei einem ganzheitlichen Ansatz im Rahmen der Glücksspielprävention dezidierte und individuelle Vorgehensweisen notwendig sind, die eben auch Persönlichkeitsmerkmale von Nicht-Spielern, unproblematischen Spielern und Problemspielern in Betracht ziehen. Genau das geschieht bei Stöver et al. (2014). Hayer (2012) nimmt diese Unterscheidung dagegen nicht vor. Beide stimmen aber offensichtlich darin überein, dass Persönlichkeitsmerkmale Berücksichtigung finden müssen, um Präventionsaktivitäten zielgenauer planen zu können. Mit der vorgelegten Studie wissen wir sehr viel mehr über den Stellenwert und den Kontext eines überwiegend „passageren Verhaltens“. Die Anwendung der DSM-IV-Kriterien widerspricht keineswegs der gängigen wissenschaftlichen Praxis, sondern sie stellt eine mögliche Form der Diagnose von Glücksspielproblemen dar. Natürlich lässt sich über die unterschiedlichen Screening-Instrumente diskutieren, es ist aber nicht zu erwarten, dass die Ergebnisse der Studie von Stöver et al. (2014) durch den Einsatz anderer Kriterien als denen des DSM-IV grundlegend anders ausgefallen wären. Eine der zentralen Zielsetzungen der Glücksspielprävention ist die Verhinderung insbesondere von finanziellen Schäden des Spielers durch Verschuldung oder sich daraus ergebenden kriminellen Handlungen. (Glücks-) Spielsüchtiges Verhalten wird insbesondere erkennbar am sogenannten „Chasing“, also dem intensiveren Spielen zum Ausgleich erlittener Verluste, was logischerweise auch einen höheren Geldeinsatz erforderlich macht. Insofern ist im Rahmen der Glücksspielprävention eine Beschränkung der einsetzbaren finanziellen Mittel ein denkbares (und in bestimmten EU-Ländern wie z. B. Norwegen über ein Spielerkartensystem mit begrenzten finanziellen Mitteln pro Monat angewandtes) und probates Mittel zur Verminderung des Spielsuchtrisikos. Vor diesem Hintergrund macht es aber eben gerade Sinn, solche Jugendlichen zu „screenen“, die pro Monat einen substanziellen Betrag (hier > € 50,-) für Glücksspiel ausgeben. Dieser Betrag dürfte für die Jugendlichen spürbar sein und in der Regel deren finanzielle Leistungsfähigkeit massiver berühren. Werden geringere Beträge ausgegeben, kann zwar nicht per se davon ausgegangen werden, dass diese Jugendlichen nicht spielsuchtgefährdet sind. Sie haben aber das potenzielle Risiko – zumindest was ihr Ausgabeverhalten angeht – besser im Griff. Es ist eine unlautere Verallgemeinerung von Hayer, bestimmte Freizeitverhaltensweisen prinzipiell als potenziell gefährdender einzuschätzen als andere. Er führt als ein Belegmerkmal den bestehenden Jugendschutz an. Dieser gilt für das Glücksspiel, findet sich aber auch für Jugendliche in bestimmten Freizeitbereichen wie „Shoppen“ oder „Ausgehen“ ebenfalls. Somit können auch diese Bereiche nicht als „an sich unproblematisch“ bezeichnet werden. Hayer vernachlässigt völlig die subjektive Einschätzung der befragten Jugendlichen. Mehr noch, er setzt sich darüber einfach hinweg, indem er die Aussagen der Jugendlichen hinsichtlich der Freizeitverhaltensweisen, die ihnen schon einmal negative Konsequenzen eingebracht haben, einfach ignoriert. Das widerspricht einer gebotenen modernen Kontextualisierung als Hintergrund und Erklärungsmatrix potentiell riskanten Verhaltens. Wenn die Jugendlichen in großer Zahl z. B. angeben, dass ihnen durch übertriebenes „Chillen“ schon einmal negative Konsequenzen entstanden sind, dann stellt dies ein empirisches Faktum dar. Die Studie von Stöver et al. (2014) verdeutlicht, dass für die Jugendlichen das Freizeitverhalten „Glücksspiel“ keine so gravierende, mit negativen Folgen behaftete Aktivität ist. Dies ist auch nicht verwunderlich, da die allermeisten Jugendlichen diese Aktivität erst gar nicht praktizieren. Und diejenigen, die es tun, tun es offensichtlich im Sinne eines Zeitvertreibs eher gemäßigt, kontrolliert und nicht dauerhaft. Stöver et al. (2014) plädieren hinsichtlich der Glücksspielprävention für einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die Person als auch das „Suchtmittel“ als auch Umweltfaktoren und soziale Faktoren mit einbezieht. Dies ist gute wissenschaftliche Präventionspraxis und wird auch von Hayer nicht bestritten. Diskussionspunkt ist allerdings, in welchem Ausmaß und mit welchem Erfolg Maßnahmen in den unterschiedlichen Feldern etabliert werden können/sollen. Dabei betonen Stöver et al. (2014), dass die bereits bestehenden verhältnispräventiven Maßnahmen (gesetzliche Vorschriften wie z. B. Spielverordnung, Landesspielhallengesetzen, Gestaltung von Spielgeräten/Spielstätten, Alterskontrolle etc.) ihre völlige Berechtigung haben und auch sinnvoll sind – und noch ausgebaut gehören. Diskutiert wird allerdings auch, ob ein bloßes Mehr an verhältnispräventiven Maßnahmen auch einen weiteren Erfolg in der Glücksspielprävention erbringt. Dies muss sehr genau untersucht werden - diese Studie liefert dazu wichtige Hinweise. Auf der verhaltenspräventiven Seite ist es auch zielführend gleichzeitig spezifischere, auf die „Risikogruppe der problematischen Spieler“ bezogene Maßnahmen zu konfektionieren und umzusetzen. Dies tun Stöver et al. (2014) auch vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass der Erfolg verhältnispräventiver Maßnahmen immer auch davon abhängig ist, inwieweit diese nicht nur umgesetzt, sondern auch kontrolliert werden können und inwieweit sie auch „über das Ziel hinausschießen“ und die große Gruppe der unproblematischen Spieler von einer legalen und für die allermeisten Spieler kontrollierten Freizeitverbringung abhalten. Die von Hayer in seiner Rezension aufgeführten segmentspezifischen Ansätze der Spielsuchtprävention werden von Stöver et al. (2014) u. a. auch deswegen nicht erwähnt, weil sie nicht zur Disposition stehen! Es geht also nicht um das „ob“ von verhältnispräventiven Ansätzen, sondern a) um deren Ausmaß und b) um deren Relevanz/Erfolgswahrscheinlichkeit. Auseinandersetzungen mit den Limitationen des eigenen Forschungsansatzes finden im laufenden Text durchaus an entsprechender Stelle statt, wenn auch nicht – und da ist Hayer zuzustimmen – in einem eigenen Kapitel. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die Autoren nicht den „Beschränkungen“ der Reichweite der ermittelten Ergebnisse bewusst sind. Entsprechend vorsichtig und moderat fällt auch die Darstellung der Ergebnisse und der daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen aus. Schließlich bleibt festzuhalten, dass es „Denkverbote“ v.a. in Bezug auf die Sinnhaftigkeit eher aus der Aufgeregtheit der öffentlichen und vor allem politischen Debatte geborenen Regelungsansätze nicht geben darf. Die Studie ist ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung der Diskussion um Risikopotentiale und Gefahrenabschätzung. Vor allem erlaubt sie eine Einsicht in das Alltags- und Freizeitverhalten Jugendlicher und junger Erwachsener und damit eine Abschätzung des Stellenwerts des Spielens im Vergleich zu anderen potentiell riskanten Verhaltensweisen - auch in lebensgeschichtlicher/biographischer Hinsicht. Prof. Dr. Heino Stöver
Fachhochschule Frankfurt
Institut für Suchtforschung Frankfurt am Main
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