Geduld und Beharrlichkeit - ein erfolgreiches Paar
Die HipKo (Hilfeplankonferenz) zu Familie K war besser als ich erwartet hatte. Meine Geduld hat sich gelohnt und die Beharrlichkeit auch. Entgegen der Einschätzung meiner Teamleitung hat Frau Hecht, die zuständige Sozialarbeiterin im Jugendamt, den Einsatz im Co-Team befürwortet.
Und damit nicht genug. Wir haben einen Hilfeplan, der vor Ort mit Frau K und Phil besprochen und formuliert worden ist. Also genau so, wie ich es gelernt habe und nicht so, wie ich es leider allzu oft in der Praxis erlebe. Da werden vom Jugendamt Ziele für die Familie benannt und die Eltern unterschreiben, damit sie aus der Amtsstube endlich rauskommen. Und wir, die Fachkräfte, dürfen uns dann damit herumschlagen, dass Mütter und Väter das, was sie unterschrieben haben, gar nicht wollen oder gar nicht verstehen und wir wissen überhaupt nicht, wie und womit wir anfangen sollen.
Aber so, wie Frau Hecht die Sache angeht, macht mir das Arbeiten wieder Spaß.
Phil hat wiederholt, dass er seine Depression loswerden möchte und im Hilfeplan steht bei Ziele: „Phil ist seine Depression losgeworden. Er wird mit Herrn Ilkay Deniz darüber sprechen, wie das gelingen kann.“
Mit Frau K war die Zielformulierung etwas schwieriger. Sie berichtete ausführlich über das, was sie stört und was sie belastet aber was sie möchte und wo sie hin will, das wusste sie nicht. Da hat Frau Hecht uns einen Auftrag erteilt und geschrieben: „Frau K wird mit Frau Änderlich ein „Schritt-für-Schritt-Genogramm“ erstellen und einen Zeitstrahl anlegen. In diesem Zeitstrahl werden Angaben zur Lebenssituation der Kindesmutter und zur Beziehung zum Kindesvater gemacht, beginnend mit dem Jahr 2008 (dem Jahr vor Phils Geburt).“ Frau Hecht wollte wissen, ob Frau K diesen Auftrag annimmt und Phils Mutter schien erleichtert. Sie sagte, sie wollte schon immer mal ihr Leben aufschreiben und das sei bestimmt ein guter Anfang. Und ich wurde auch gefragt, ob ich den Auftrag annehme und meine Begeisterung hat alle zum Lachen oder zumindest zum Lächeln gebracht. Biografiearbeit in der ambulanten Jugendhilfe soll ich machen - was für ein Geschenk.
Jetzt haben wir einen Familienordner angelegt. Das ist ein Ordner für Phil und Frau K. Da dürfen beide ran, Beiträge, Wünsche oder Fragen einheften und lesen. Als erstes hat Frau K den Hilfeplan darin abgelegt.
Dann gibt es noch die persönlichen Mappen, eine für Phil und eine für seine Mutter. Hier werden die Themen aus den Einzelterminen dokumentiert. Dann wird besprochen was in den gemeinsamen Ordner kann und was im Familiengespräch aufgegriffen werden soll. Ilkay sagt, dass Phil supergut zeichnen kann und seine Mutter immer meinte, er soll doch nicht solche Katastrophenbilder machen sondern mal was Schönes. Deshalb hat er ihr nichts mehr gezeigt und wenn sie dann in seinen Sachen gewühlt hat, ist er ausgerastet. Jetzt liegen einige der Zeichnungen in seiner persönlichen Mappe.
Phil hatte auch wieder Alpträume. Im März war es ganz schlimm, zuerst beim Jahrestag der Atomkatastrophe von Fokuschima und dann nochmal beim Hochwasser in Australien. Im Traum wurde sein Zimmer weggeschwemmt und er hing im Wasserstrudel und fand nirgends Halt. Solche Sachen kann er jetzt mit Ilkay besprechen. Ilkay kann das aushalten. Er sagt, er kennt diese Ängste und deshalb ist er nebenberuflich Klimaaktivist geworden. Jetzt möchte Phil auch ein Klimaaktivist werden und bei der nächsten Demo mitmachen. Und wir haben ein Thema für das nächste Familiengespräch.
Der Zeitstahl ist angelegt und befindet sich noch in der persönlichen Mappe von Frau K. Wir haben 26 Blätter vorbereitet, 13 für Schwangerschaft und bis heute und dann noch 13 für die Zukunft. Bei 2027 steht: Phil ist jetzt volljährig - und was mache ich?
Mit dem „Schritt-für-Schritt-Genogramm“ haben wir auch angefangen. Da sind Phil, sein Vater, seine Mutter und die Mutter von Frau K eingetragen und so ist es in den Familienordner eingeheftet. Schritt für Schritt wird es ergänzt, wenn Frau K soweit ist, sich ihre Familie anzuschauen und bereit, um Phils Fragen zu beantworten. Da scheint eine heftige Geschichte dahinter zu stecken, sie war mal im Heim hat sie gesagt. Ich bin total neugierig, wie es weitergeht.
Ihre Katja Änderlich