Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt: Kompetenzen für Fachkräfte in der Sozialen Arbeit
Die biologische Ausstattung der Menschen ist sehr vielfältig, wie auch das deutsche Personenstandsrecht widerspiegelt: Seit 2018 kann in der Geburtsurkunde statt „weiblich" oder „männlich" auch die dritte Bezeichnung „divers" angegeben werden. Zum Thema Geschlechtervielfalt lehrt und forscht Prof. Dr. Birgit Möller-Kallista von der FH Münster seit vielen Jahren. Anlässlich des Deutschen Diversity-Tags (DDT) am 18. Mai erläutert sie im Interview, warum sie das Thema für wichtig hält.
Frau Möller-Kallista, warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt?
Intergeschlechtlichkeit, Transidentität und Geschlechtervielfalt sind Querschnittsthemen von hoher Aktualität und sehr großer gesellschaftlicher Relevanz. An jeder größeren weiterführenden Schule gibt es sicher drei bis vier Kinder, die sich nicht binär verorten oder nicht allein binäre, sondern sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale aufweisen. In der für alle schwierigen Phase der Pubertät sind diese Kinder einem besonders großen Leidensdruck ausgesetzt, wenn etwa die Diskrepanz zwischen gefühltem Geschlecht und körperlichen Merkmalen immer weiter auseinandergeht. Ich möchte durch meine Arbeit dazu beitragen, dass sich die psychosoziale Situation von geschlechtsvarianten Kindern und Jugendlichen verbessert. Geschlechtliche Vielfalt muss in der Öffentlichkeit bekannter werden, damit sie nicht mehr pathologisiert, sondern als natürliche Variation wahrgenommen wird. Nur so können beispielsweise intergeschlechtliche und transidente Menschen in unserer Gesellschaft akzeptiert werden und ohne Diskriminierung und Anfeindungen leben.
Welche Rolle spielt dabei die Soziale Arbeit?
Menschen, die sich nicht binär oder in Übereinstimmung mit ihrem bei Geburt zu gewiesenen Geschlecht erleben, sind nach wie vor Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. So hat sich die Anzahl der im Säuglingsalter durchgeführten „geschlechtsangleichenden" Operationen an intergeschlechtlichen Kindern, wie Studien gezeigt haben, nicht signifikant verringert, obwohl die medizinischen Leitlinien solche chirurgischen Eingriffe seit 2016 ausdrücklich nicht mehr empfehlen. Im Erwachsenenalter leiden viele Betroffene unter massiven körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen. Die Soziale Arbeit ist für mich eine Menschenrechtsprofession, die auch dazu verpflichtet ist, auf Dinge hinzuweisen, die gesellschaftlich relevant und schwierig sind und sich für soziale Gerechtigkeit und die Grundrechte benachteiligter Menschen einzusetzen. Und die den unheimlich wichtigen Auftrag hat, Menschen in schwierigen Lebenslagen zu unterstützen.
Deshalb bieten Sie auch das Seminar „Sozialarbeiterisches Arbeiten angesichts geschlechtlicher und sexueller Vielfalt" an. Was ist das Ziel?
In dem von mir gemeinsam mit meinem Kollegen Prof. Dr. Agostino Mazziotta konzipierten Seminar haben wir unter anderem versucht, den zukünftigen Fachkräften Sozialer Arbeit sogenannte „Regenbogenkompetenzen" zu vermitteln. Diese sollen sie dazu befähigen, mit dem Thema der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität professionell, vorurteilsbewusst und möglichst diskriminierungsfrei umzugehen. Dies ist insbesondere für künftige Schulsozialarbeiter:innen wichtig, denn sie kommen sehr häufig mit dieser Problematik in Kontakt. Ich habe jahrelang Sprechstunden für Geschlechtsdysphorie angeboten − zunächst am Universitätsklinikum Hamburg und dann am Universitätsklinikum Münster − und bin dort zahlreichen ratsuchenden Schulsozialarbeiter:innen begegnet. Sie müssen oft ganz praktische Probleme lösen, wie etwa die Frage, welche Toiletten oder Umkleiden trans*idente Kinder benutzen oder welchen Schlafräumen sie bei Klassenfahrten zugeteilt werden.
Welche weiteren Aktivitäten planen Sie?
Ich werde auf jeden Fall weiterhin zu diesem spannenden Thema forschen und auch weitere Seminare für Studierende anbieten, eventuell sogar fachbereichsübergeifend − es gibt sicher Anknüpfungspunkte etwa zu den Fachbereichen Gesundheit oder Design. Zudem plane ich, zukünftig Weiterbildungen für Fachkräfte der Sozialen Arbeit konzipieren. Als Privatdozentin an der Westfälischen Wilhems-Universität Münster betreue ich aktuell auch mehrere Promotionen, die sich verschiedenen spannenden Fragestellungen der Geschlechtsdysphorie widmen. Außerdem bin ich bei Gericht als Gutachterin für Personenstands- und Namensänderungen tätig. Ich halte ich es für notwendig, die Gesellschaft insgesamt breiter für das Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt zu sensibilisieren und möchte durch meine Arbeit dazu beitragen.
Zum Thema: An der FH Münster ist Vielfalt ein wichtiges Thema und im Leitbild der Hochschule fest verankert. Seit Jahren engagiert sich die Hochschule dafür, allen Menschen − unabhängig von Geschlecht, ethnischer oder sozialer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität − eine umfassende Teilhabe an ihren Angeboten zu ermöglichen. Vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. hat die FH Münster 2019 das Zertifikat für den erfolgreichen Abschluss des Diversity Audits erhalten.
Quelle: Pressemitteilung der FH Münster vom 12.05.2021