Gruppenverhalten: Wie Menschen Entscheidungen treffen
Ausgrenzung ist in sozialen Interaktionen allgegenwärtig. Ebenso wie die Bevorzugung von Menschen, die man zur eigenen Gruppe zählt. WU-Forscherin Susann Fiedler (Institute for Cognition and Bahavior) deckt mit ihren neuen Studien die kognitiven Mechanismen auf, die unserem Gruppenverhalten zugrunde liegen. Dazu verwendet sie mit ihrem Team auch das aus der Zeitungsforschung bekannte Eye-Tracking.
Sei es der Fremde, der sich bemüht, eine verlorene Geldbörse seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben, oder eine Mitarbeiterin, die einem Kollegen bei einem Projekt hilft – Handlungen wie diese gestalten unser Umfeld und schaffen die Basis für Vertrauen und ein gutes Miteinander. Um solches Verhalten zu fördern und den Grad der Zusammenarbeit in einer Organisation zu maximieren, ist es wichtig zu verstehen, wie Kooperationsentscheidungen getroffen werden.
Mit Hilfe von Eye-Tracking nimmt das Team um Susann Fiedler die Blickbewegung von Studienteilnehmer:innen auf, während sie sich entscheiden, eigene Ressourcen mit einem Gegenüber zu teilen. Der Anteil der Aufmerksamkeit, der dabei den eigenen monetären Ressourcen zugedacht wird, kann hierbei als Indikator für das Gewicht, das ihnen während der Entscheidungsfindung beigemessen wird, bewertet werden. Die Experimente untersuchen so die bislang kaum verstandenen Aufmerksamkeitsmechanismen, die hinter der Intergruppendiskriminierung stecken.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
- Menschen mit stärkeren prosozialen Präferenzen, also solche, die anderen helfen wollen, sind eher bereit, ihr persönliches Wohlergehen zu verringern, um eine andere Person aus der eigenen Gruppe zu begünstigen, als eine Person aus einer anderen Gruppe.
- Stärkere prosoziale Präferenzen sind mit einem höheren Entscheidungsaufwand verbunden: Solche Menschen benötigen mehr Zeit und prüfen mehr vorliegende Informationen. Die Beobachtung steht im Widerspruch zur Annahme, dass Kooperation eine intuitive Entscheidung ist, die schnell und ohne große Überlegungen getroffen wird.
- prosoziale Personen gewichten die Ergebnisse anderer stärker und investierten mehr Zeit und Mühe in die Beschaffung von Informationen, bevor sie eine Entscheidung trafen, wenn der Partner ein Mitglied der eigenen Gruppe ist. Möglicherweise sind Menschen besonders besorgt über die Folgen ihrer Entscheidungen, wenn Mitglieder der eigenen Gruppe beteiligt und betroffen sind.
„Die Ergebnisse zeigen, dass Nutzenunterschiede von verschiedenen Handlungsoptionen nicht nur Entscheidungen und Verhalten voraussagen, sondern auch den kognitiven Aufwand für die Entscheidungsfindung“, so Fiedler. „Unsere Experimente erlauben uns einen neuen Blick auf die Intergruppenforschung, indem sie über die Bewertung des bloßen Entscheidungsverhaltens hinausgehen und die Prozesse betrachtet, die diesen Entscheidungen zugrunde liegen. Erste Erkenntnisse geben Aufschluss darüber, wie sehr sich Menschen mit unterschiedlichen sozialen Präferenzen um die Ressourcen anderer im Intergruppenkontext kümmern und wie viel sie in die Suche nach Informationen investieren, wenn sie eine Entscheidung treffen, die ihre eigenen Ressourcen maximiert, das eigene Team begünstigt oder die Kollegen eines rivalisierenden Teams unterstützt.“
Über Susann Fiedler
Die Verhaltenswissenschaftlerin Susann Fiedler promovierte 2013 in Psychologie an der Universität Erfurt und leitete seit 2014 die Gielen-Leyendecker-Forschungsgruppe „Economic Cognition“ am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. Im Laufe ihrer akademischen Karriere war sie Gastforscherin im Edmond J. Safra Center for Ethics (Harvard University) und Gastprofessorin an der Universität Hagen.
Ihre Arbeiten zu den kognitiven und affektiven Grundlagen von Bewertungs- und Handlungsprozessen wurden u.a. mit der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft ausgezeichnet.
Susann Fiedler beschäftigt sich mit Fragestellungen zur Gestaltung von Entscheidungssituationen und Organisationsumwelten. Ihre Forschung bietet Einblicke darin, wie Situationen und Probleme mental repräsentiert werden und wie sich derartige Repräsentationen verändern. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Motivation, Diskriminierung, Kooperation sowie die Reproduzierbarkeit von Forschung.
Sie publizierte in zahlreichen Journals, darunter Science, Organizational behavior and Human Decision Processes, Psychological Science, Journal of Experimental Psychology: General und PNAS.
Researcher of the Month
Mit dem „Researcher of the Month“ stellt die WU herausragende Arbeiten von Forscher:innen vor, die mit ihrer Forschung maßgeblich zur Lösung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und rechtlicher Fragen beitragen. Das monatliche Video „Researcher of the Month“ präsentiert die Arbeit der Forscher:innen und gewährt einen Blick hinter die Kulissen der vielfältigen WU-Forschung.
Quelle: Pressemitteilung der WU Wien vom 01.12.2022