Studie zur Intersexualität: Kinder und Eltern besser beraten und behandeln
Ein Kind, das weder Mädchen noch Junge ist: Für manche Eltern ist das ein Schock. Für andere ist es viel schwieriger, wie das Medizinsystem reagiert. Anike Krämer und Prof. Dr. Katja Sabisch vom Lehrstuhl Gender Studies der Ruhr-Universität Bochum haben mit Eltern sowie Medizinerinnen und Medizinern gesprochen. Sie zeichnen in ihrer jetzt erschienenen Studie ein Bild des Schicksals der Familien intersexueller Kinder in Nordrhein-Westfalen und machen Vorschläge, um deren Situation zu verbessern. Dazu gehören neben dem Verbot kosmetischer Operationen die Einrichtung von Kompetenzzentren, die Behandlung des Themas im Schulunterricht und eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit.
Lotsensystem für Organisation und Kommunikation
Wenn ein Kind nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann, steht zunächst eine Vielzahl an Untersuchungen und Tests an. Je nachdem, wo das Kind geboren wurde, bedeutet das für die Eltern viel Fahrerei, viel Bürokratie und ständig wechselnde Ansprechpartner. Zwei bis drei inoffizielle Kompetenzzentren haben die Forscherinnen in Nordrhein-Westfalen ausgemacht, ein offizielles gibt es nicht. Mitunter wurden Eltern zwischen Tür und Angel im Krankenhaus über die Diagnose ihres Kindes informiert.
„Ein Lotsensystem wäre wünschenswert, denn so läge es in der Hand einer Person, die Termine zu koordinieren und Informationen zu sammeln", so die Forscherinnen. „Durch eine feste Ansprechperson könnten Wartezeiten verkürzt und die Unsicherheit der Eltern bezüglich der komplexen Abläufe verringert werden. Auch die Kommunikation innerhalb des Krankenhauses und die zwischen Medizin und Eltern würde sich verbessern."
Häufig wird operiert
Die Forscherinnen sprechen sich außerdem für ein striktes Verbot kosmetischer Operationen wie die Schaffung einer Vagina aus. Zwar hat sich die Medizin inzwischen von der früher gängigen Praxis abgewandt, Kleinkinder möglichst früh zu operieren, um sie einem Geschlecht anzugleichen. Dennoch gibt es häufig Eingriffe. Im Gespräch mit den Eltern erfuhren die Forscherinnen von einem Fall, bei dem einem Kind ohne Einwilligung der Eltern im Bauchraum befindliche Hoden entfernt wurden. „Dass die Operateure damit geltendes Recht verletzen, ist ihnen offenbar nicht bewusst", so Katja Sabisch.
In einem Verbot kosmetischer Operationen sehen die Forscherinnen auch eine Entlastung der Mediziner von schwierigen Entscheidungen. Eltern intersexueller Kinder wünschen sich psychosoziale Beratung und Unterstützung. Besonders der Austausch mit anderen Betroffenen scheint gewinnbringend. Alle Interviewten wünschen sich zudem mehr Öffentlichkeitsarbeit. Sie soll zu einem toleranteren und offeneren gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema führen, ebenso wie eine Behandlung des Themas Intersexualität im Schulunterricht.
Weitere Informationen zur Studie unter http://www.netzwerk-fgf.nrw.de
Quelle: Presseinformation der Ruhr-Universität Bochum vom 20. Oktober 2017