Kleinkindbetreuung: Deutschland macht Fortschritte, bleibt aber Mittelmaß in Europa
Neue Zahlen zur Betreuungssituation
Die Betreuungssituation von Kleinkindern in Deutschland hat sich in letzter Zeit deutlich verbessert, bleibt aber im europäischen Vergleich mittelmäßig. Zu diesem Ergebnis kommt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Der WSI-Sozialexperte Dr. Eric Seils hat die gerade aktualisierten Daten des europäischen Statistikamts Eurostat ausgewertet. Nach den neuen Zahlen befanden sich 2011 in Deutschland 24 Prozent der Kinder unter drei Jahren in formaler Betreuung. Laut amtlicher Definition gilt der Besuch einer Vorschule oder eines Kindergartens als formale Betreuung. Ein Jahr zuvor wurde dagegen nur jedes fünfte Kind in Deutschland außerhäuslich betreut. Die Quote stieg damit in einem Jahr genauso stark wie zuvor in den Jahren zwischen 2005 und 2010 insgesamt. Trotz dieses starken Anstiegs führt der internationale Vergleich jedoch zu einem ernüchternden Ergebnis, so Seils: Deutschland hat nun erst das europäische Mittelfeld erreicht . Unterdurchschnittliche Werte weisen vor allem die osteuropäischen Länder auf. In Rumänien und Polen besuchen beispielsweise nur zwei bzw. drei Prozent der Kinder unter drei Jahren eine Vorschule oder einen Kindergarten. Die west- und südeuropäischen EU-Länder weisen zumeist höhere Betreuungsquoten auf. Nur in Irland (21 Prozent), Griechenland (19%), Österreich (14%) sowie Malta und Zypern sind die Anteile niedriger. "Nach oben ist hingegen viel Luft", sagt Seils: In den Nachbarländern Niederlande (52 Prozent), Frankreich (44%) Luxemburg (44%) und Belgien (39%) besuchen viel mehr Kinder als in Deutschland eine Vorschule oder eine Kita. Beim Spitzenreiter Dänemark beträgt die Betreuungsquote sogar 74 Prozent. Sie liegt damit 50 Prozentpunkte höher als in Deutschland. Im August dieses Jahres will die Bundesregierung für alle Kleinkinder, die zumindest ein Jahr als sind, einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz einführen. Derzeit steht jedoch in Zweifel, ob dies tatsächlich flächendeckend umgesetzt werden kann. "Und selbst wenn es gelingen sollte, die Betreuungsgarantie umzusetzen, wird das nur der Auftakt zu einem ständigen Wettrennen zwischen Angebot und Nachfrage sein. Das legen die hohen Betreuungsquoten bei unseren Nachbarn nahe", sagt Eric Seils. Aus weitergehenden Analysen in 18 westeuropäischen Ländern weiß er, dass der Bedarf an Kinderbetreuung meist mit dem Angebot wächst. Das erklärt der Forscher so: Wenn immer mehr Elternteile ganztags arbeiten und ihre Kinder betreuen lassen, verändern sich soziale Normen. Die Akzeptanz von Kitas und Tagesmüttern wächst weiter und es gilt zunehmend als normal, dass sowohl Väter als auch Mütter voll am Erwerbsleben teilnehmen. Hinzu kommen ganz praktische Faktoren. So berichten Wissenschaftler aus Dänemark, dass Kinder, die zu Hause betreut werden, immer weniger Spielkameraden finden, weil die meisten Gleichaltrigen in der Kita sind. Betreuungsgelder, die den Bedarf nach externer Betreuung grundsätzlich dämpfen können, gibt es in Schweden und in Finnland. In Schweden, wo Eltern monatlich 340 Euro erhalten, habe diese Geldleistung faktisch wenig Einfluss auf die Betreuungsquote, schreibt Seils mit Verweis auf die Forschungsliteratur. Nach den neuen Daten wurden in Schweden 2011 rund 51 Prozent der Unter-Drei-Jährigen extern betreut. In Finnland sei das Betreuungsgeld hingegen noch deutlich höher - und offensichtlich wirke es sich aus: Die Quote der externen Kinderbetreuung lag 2011 bei nur 26 Prozent. Vor allem Frauen mit niedrigen Verdienstaussichten betreuten ihre Kinder selber. "Es ist richtig, die Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren stark auszubauen", so WSI-Forscher Seils. Das müsse als langfristiges Projekt angelegt sein. "Die Länder, die heute deutlich weiter sind als wir, haben etwa zwei Jahrzehnte gebraucht, um eine leistungsfähige Betreuungsinfrastruktur aufzubauen", so Seils. "Das holt man nicht im Sprint auf."Quelle: Pressemitteilung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung vom 18.04.2013
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