Lehrkräfte wissen zu wenig über Traumafolgen
Die UNESCO fordert mit Blick auf die Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen eine bessere Ausbildung von Lehrer*innen. Jedes fünfte nach Deutschland geflüchtete Kind hat mit Traumafolgen zu kämpfen.
Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl von Kindern mit Migrations- und Fluchterfahrung im schulpflichtigen Alter weltweit um 26 Prozent gestiegen. Viele von ihnen haben traumatische Erfahrungen gemacht, die sich negativ auf ihre Lernfähigkeit auswirken. Die Bildungssysteme der Aufnahmeländer stellt das vor große Herausforderungen.
„Integration beginnt im Klassenzimmer“, unterstreicht Prof. Dr. Maria Böhmer, die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission. „Aber dort stoßen viele Lehrerinnen und Lehrer trotz großer Motivation an ihre Grenzen“, so Böhmer weiter. „Eine immer heterogenere Schülerschaft und Kinder, die in ihren Herkunftsländern oder auf dem Weg nach Deutschland traumatische Erfahrungen gemacht haben, stellen unsere Lehrkräfte vor neue Herausforderungen. Wir müssen sie in Zukunft noch besser unterstützen und den Erwerb interkultureller Kompetenz fest in der Lehrerbildung verankern.“
Jedes fünfte geflüchtete Kind in Deutschland traumatisiert
In Deutschland leidet etwa jedes fünfte Flüchtlingskind unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Weltweit zeigt sich, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge besonders gefährdet sind. In Norwegen litt rund ein Drittel von 160 untersuchten unbegleiteten Kinder aus Afghanistan, dem Iran und Somalia an PTBS. In Belgien zeigten von 166 unbegleiteten Minderjährigen bis zu 47 Prozent schwere oder sehr schwere Zeichen von Angstzuständen, Depressionen und PTBS. Auch in Ländern mit mittlerem oder geringem Einkommen sind viele Flüchtlingskinder traumatisiert. So wurde bei einer Untersuchung unter Binnenflüchtlingen in Süd-Darfur, Sudan, festgestellt, dass drei Viertel der 331 untersuchten Kinder unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung litten und 38 Prozent an einer Depression erkrankt waren.
Lehrer*innen und Erzieher*innen nicht ausreichend vorbereitet
Besonders wenn es an einer adäquaten Gesundheitsversorgung mangelt, kommt Schulen eine besondere Rolle dabei zu, Kindern und Jugendlichen ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität zurückzugeben. Aber um Traumasymptome richtig zu deuten, benötigen Lehrkräfte das nötige Grundlagenwissen. So fühlt sich die Mehrheit der Lehre*rinnen und Erzieher*innen in Deutschland nicht ausreichend vorbereitet, um auf die besonderen Bedürfnisse von Flüchtlingskindern einzugehen.
„Lehrerinnen und Lehrer sind keine Experten für psychische Erkrankungen. Aber mit der richtigen Ausbildung können sie eine wichtige Stütze für Kinder sein, die an einem Trauma leiden“, sagt Manos Antoninis, Direktor des UNESCO-Weltbildungsberichts. „Konflikte und Vertreibung werden nicht verschwinden. Wir müssen die Unterrichtspraxis ändern und Lehrkräften einen anderen Zugang zu diesen Kindern geben“, so Antoninis weiter. „Wenn sie ihnen helfen, sich auszudrücken und Selbstvertrauen aufzubauen, kann das ihr Rettungsanker sein.“
Um allen Beteiligten Anhaltspunkte für den Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen zu geben, hat die UNESCO wesentliche Eckpunkte zusammengefasst:
- Lernumgebungen müssen sicher, unterstützend und bedarfsorientiert sein.
- Lehrerinnen und Lehrer, deren Schülerinnen und Schüler während Flucht oder Migration traumatische Erfahrungen gemacht haben, sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Sie müssen geschult werden, um mit dieser Herausforderung umzugehen.
- Psychosoziale Interventionen erfordern die Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen, Gesundheits- und Sozialdiensten.
- Soziales und emotionales Lernen muss kultursensibel und dem Kontext angepasst sein. Es sollte auch durch außerschulische Aktivitäten vermittelt werden.
- Die Einbindung von Umfeld und Eltern darf nicht vernachlässigt werden.
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen UNESCO-Kommission vom 19.6.2019