Migrantinnen als Fachkräfte gewinnen – Wiedereinstiegslotsin nicht nur für Pflegeberufe
Um vor allem Frauen und Mütter mit Migrations- oder Fluchtgeschichte für Pflegeberufe zu gewinnen, kann das Modell der Wiedereinstiegslotsin ein geeigneter Baustein sein. Der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe hat das niedrigschwellige Mentoringkonzept erfolgreich erprobt und die Erfahrungen in einem Handlungsleitfaden zusammengefasst. Die Broschüre richtet sich an interessierte Arbeitgeber und Bildungseinrichtungen - nicht nur in der Pflege.
Der Handlungsbedarf ist offensichtlich, die Nachfrage nach Pflegekräften, vor allem examinierten Fachkräften, ist unverändert hoch. Zugleich sind Frauen mit Migrationsgeschichte aus der Pflege nicht mehr wegzudenken und bieten ein nicht zu unterschätzendes Fachkräftereservoir, auch weil sie trotz hoher Motivation deutlich seltener und in geringerem Stundenumfang erwerbstätig sind als etwa Mütter ohne Zuwanderungsgeschichte.
Der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe, mit über 400 Auszubildenden eines größten Fachseminare für Altenpflege in der Region, ist in beiden Feldern seit langem aktiv und hat in unterschiedlichen bundes- wie landesweiten Projekten das vielfach diskutierte Thema „Pflege und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund“ innovativ verknüpft. Unter dem Titel „Beruflicher (Wieder)Einstieg von Migrantinnen – Wie Arbeitgeber neue Fachkräfte durch Wiedereinstiegslotsinnen gewinnen können“ hat der Bonner Verein jetzt das Fachwissen gebündelt und einen praktischen Handlungsleitfaden für das Modell einer interkulturellen Wiedereinstiegslotsin vorgelegt. Auf der Basis dieses Konzepts für ein Peer-to-Peer-Mentoring hat der Verein eine Reihe von erfolgreichen Projekten umgesetzt und in der Praxis erprobt.
Enthalten sind ein ausgearbeitetes Schulungskonzept mit Curriculum, Vorschläge für die Unterrichtsplanung sowie umfangreiche Materialien für den Unterricht. Ergänzt wird die Broschüre durch ein neu entwickeltes Instrument für eine niedrigschwellige, ganzheitliche Kompetenzerfassung insbesondere von Frauen mit Fluchterfahrung, ebenfalls mit praktischen Anleitungstipps.
Konzept ist in der Pflege erprobt, aber auch auf andere Settings übertragbar
„Mit der Broschüre wollen wir einen Anstoß für die Fachöffentlichkeit geben und dazu ermutigen, das Modell der Wiedereinstiegslotsin für die Fachkräftegewinnung stärker zu nutzen“, so Edith Kühnle, Geschäftsführerin des gemeinnützigen Bonner Vereins, der staatlich anerkannte Ausbildungen im Bereich der Altenpflege und künftig zur Pflegefachfrau/Pflegefachmann durchführt.
„Unser Konzept eines Lotsinnenmodells mit berufsspezifischem Bezug ist bislang einmalig. Es enthält insgesamt sechs Komponenten und wurde für die Fachkräftegewinnung im Pflegebereich erprobt. Es ist aber in viele andere Settings übertragbar. Etwa im betrieblichen Ausbildungssetting, wenn eine ehemalige Auszubildende mit Migrationshintergrund sich als Wiedereinstiegslotsin qualifiziert und neue Auszubildende, ebenfalls mit Migrationshintergrund, begleitet. Oder in Berufsschulen, wenn fortgeschrittene Auszubildende Menschen in Orientierungsklassen als Tandempartner begleiten.“
Kühnle erläutert weiter: „Wiedereinstiegslotsinnen sind zunächst vor allem selbst die Fachkräfte für den Beruf, in den sie lotsen wollen. Sie haben nicht nur eine ähnliche Zuwanderungsgeschichte, sondern sind auch schon alle Schritte des beruflichen Wiedereinstieges gegangen. Für die Frauen, die ganz am Anfang der Berufseinstiegs stehen, ist die Begleitung durch die Lotsin ungeheuer hilfreich und ermutigt sie, den Schritt in eine qualifizierte Ausbildung zu wagen.“
Eine Wiedereinstiegslotsin ist daher vieles gleichzeitig: Vorbild, Vermittlerin, orientierende Mentorin, aber auch eine Botschafterin ihres Berufs, „die im direkten Kontakt und durch ihre eigene, oftmals ähnliche Lebenssituation und Erfahrung viel überzeugender ist als jeder Flyer“, sagt Edith Kühnle zum Ansatz dieses Peer-to-Peer-Modells. Der Bonner Verein hat inzwischen rund 30 Frauen, alle Mütter mit Migrationshintergrund und zumeist ehemalige Schüler*innen am Fachseminar, zu Wiedereinstiegslotsinnen qualifiziert. Sie beteiligen sich an Informationsveranstaltungen, bringen ihre Erfahrungen im Unterricht des Fachseminars ein oder unterstützen ihre Arbeitgeber bei der Fachkräftegewinnung, im Betrieb oder auf Berufsmessen.
Die Broschüre ist handlungsorientiert aufgebaut, damit die einzelnen Komponenten auch von anderen Institutionen und Trägern durchgeführt werden können. Neben flankierender Kinderbetreuung oder der Berücksichtigung sprachlicher Kompetenzen gehört dazu auch die Möglichkeit, den Arbeitsalltag kennenzulernen: Die Wiedereinstiegslotsinnen planen und organisieren einen „Schnuppertag“ in ihren jeweiligen Einrichtungen und vermitteln so ihren Mentees einen Einblick in die Berufswelt einer Fachkraft.
„Mit unserem Schulungsmodell sind die Wiedereinstiegslotsinnen auf die vielen Fragen der Mentees bestens vorbereitet. Und sie haben eine zusätzliche Qualifikation erworben, die ihnen auch im Beruf zugutekommt“, so Edith Kühnle. Interessierten Arbeitgebern empfiehlt sie, auf eines keineswegs zu verzichten: eine „wertschätzende Grundhaltung“, die mit einer - wie immer möglichen -Aufwandsentschädigung zum Ausdruck gebracht werden kann.
Kompetenzen von geflüchteten Frauen erfassen und sichtbar machen
Die Broschüre wird ergänzt durch ein Instrument zur Kompetenzerfassung, das der Kooperationspartner BildungsForum Lernwelten Bonn, ein anerkannter Träger von Weiterbildungs- und Integrationskursen, in Zusammenarbeit mit geflüchteten Frauen entwickelt und erprobt hat. Das Instrument „InfoKom“ bezieht bewährte Methoden ein und gibt Anleitungstipps für eine interviewbasierte Kompetenzerfassung informell erworbener Fähigkeiten. Bei der Entwicklung des Konzepts wurden Erfahrungen in der Beratung und Qualifizierung von Frauen, die weder Nachweise noch schulische oder berufliche Abschlüsse erworben haben, zugrunde gelegt.
„Uns war es wichtig, ein niedrigschwelliges Verfahren für die Praxis zu entwickeln“, so die Beraterin Angelika Klotz-Groeneveld vom BildungsForum. „Zugleich wollen wir auch potenzielle Arbeitgeber und Ausbildungsträger, deren Blick oftmals auf die mangelnden Sprachkenntnisse der Geflüchteten reduziert ist, für die Ressourcen der geflüchteten Frauen sensibilisieren.“