Prostituiertenschutzgesetz: neue Gefahren statt Schutz

27.10.2015 | Soziale Arbeit | Nachrichten

„Prostituiertenschutz“ - der Titel des geplanten Gesetzes ist irreführend. Denn der Entwurf, der sich zurzeit in Abstimmung befindet, sieht eine Reihe von Pflichten für Prostituierte vor, mit denen sie überwacht und kontrolliert werden sollen.

Die ursprünglichen Ziele des Gesetzes, nämlich die Rechte von Prostituierten zu stärken, sie vor Gewalt, Zwang, Ausbeutung und vor gesellschaftlicher Stigmatisierung zu schützen, werden von diesem Entwurf weit verfehlt. Es drohen stattdessen neue Gefahren - bei immensen Kosten für Länder und Kommunen. Dieses Gesetz wird schaden statt zu schützen. Die unterzeichnenden Organisationen lehnen den Gesetzentwurf daher ab. Sie haben dem Bundesministerium für Familien, Frauen, Senioren und Jugend nun ausführliche Stellungnahmen vorgelegt. Prof. Dr. Maria Wersig, Deutscher Juristinnenbund, Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich, erklärt: „Der Entwurf hat gravierende Mängel und verletzt in seinem Kernelement - der Anmeldepflicht - wichtige Grundrechte (Berufsfreiheit, Recht auf informationelle Selbstbestimmung) von Frauen und Männern, die der Prostitution aus freier Entscheidung nachgehen. Weil die Themen Menschenhandel / Zwangsprostitution und die freiwillige Prostitutionsausübung vermischt werden, wird im Ergebnis die Berufsausübung von Prostituierten unzulässig erschwert. Trotzdem werden die geplanten Maßnahmen Menschenhandel nicht verhindern. Der Entwurf wählt, um seine erklärten Ziele zu erreichen, die falschen Mittel, denn er setzt einseitig und im Ergebnis unverhältnismäßig auf die Kontrolle und Überwachung von Prostituierten, besonders durch die regelmäßige verpflichtende Anmeldung und Gesundheitsberatung.“ Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, erklärt: „Oberstes Ziel des Gesetzes muss die Stärkung der Rechte von Prostituierten sein. Nur so kann ausreichend Schutz gegen Ausbeutung und Gewalt gewährleistet werden. Die Diakonie Deutschland erwartet, dass auf die Regelung zur Anmeldepflicht verzichtet wird und stattdessen die Rahmenbedingungen für die Unterstützung und Beratung verbessert werden. Der Ausbau dieser Strukturen ist eine wichtige Voraussetzung für Prostituierte und Betroffene von Menschenhandel, um selbstbestimmt Alternativen für ihre Lebensgestaltung entwickeln zu können.“ Marianne Rademacher, Frauenreferentin der Deutschen AIDS-Hilfe, erklärt: „Die Erfahrungen aus 30 Jahren HIV-Prävention sind eindeutig: Freiwillige Beratungen werden gerne angenommen. Kontrolle und Repression führen dazu, dass viele Frauen illegal arbeiten, sodass Hilfs- und Präventionsangebote sie nicht mehr erreichen. Die Anmeldepflicht wird für Länder und die Kommunen mit erheblichem organisatorischen und finanziellen Aufwand verbunden sein - teils weit über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus. Mit den dafür erforderlichen Mitteln könnten wirksame Angebote in einer völlig neuen Dimension geschaffen werden. Es ist bemerkenswert: Hier soll ein Gesetz gegen die einhellige Expertise aller Fachleute aus Prävention und Beratung - einschließlich öffentlicher Gesundheitsdienst - umgesetzt werden. Wir können davor nur eindringlich warnen!“ Andrea Hitzke, Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission, Beratungsstelle für Prostituierte, ehemalige Prostituierte und Opfer von Menschenhandel, erklärt: „Aus Sicht der Beratungspraxis lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Sehr kritisch sehen wir die Anmeldepflicht mit den damit verknüpften Anforderungen. Wir haben in Dortmund Sexarbeiterinnen den Gesetzentwurf vorgestellt und ihre Meinung dazu erfragt. Sie äußerten sich besonders zu der Anmeldepflicht sehr besorgt. Abgesehen davon, dass Menschenhändler die Anmeldepflicht nutzen können, betroffene Frauen in Abhängigkeit zu bringen, können insbesondere die Anmeldebescheinigungen leicht missbraucht werden. Gerät diese in falsche Hände, etwa durch Diebstahl, oder die Menschenhändler nehmen sie direkt an sich, kann sie hervorragend genutzt werden, um die Betroffenen zu erpressen und unter Druck zu setzen.“ Monika Nürnberger, Einrichtungsleitung des Frauentreff Olga, erklärt: „Notwendig ist auch eine explizite Trennung der Themenkomplexe "Sexarbeit" und "Menschenhandel und Zwangsprostitution". Diese ist im aktuellen Gesetzesentwurf nicht oder nur minimal erfolgt. Das neue Prostituiertenschutzgesetz muss als Adressatinnen oder Adressaten primär die selbstbestimmten, freiwillig und professionell arbeitenden Sexarbeiterinnen oder Sexarbeiterin haben, welche sich selbst nicht als Opfer sehen - und keine Opfer sind. Die von Menschenhandel und Ausbeutung betroffenen Menschen müssen unbedingt eine gesetzlich sinnvoll untermauerte Unterstützung erhalten. Doch sind wir der Ansicht, dass die entsprechenden juristischen Richtlinien  nicht über das Prostituiertenschutzgesetz festgelegt werden können, sondern Straftaten darstellen und auch entsprechend verankert werden sollen.“ Susanne Kahl-Passoth, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, erklärt: „In diesem Entwurf überwiegt ein Kontrollfuror. Prostituierte sollen einer engen behördlichen Überwachung unterworfen werden. Das läuft der bekundeten Absicht, ein praxistaugliches Prostituiertenschutzgesetz zu schaffen, diametral entgegen. Mehr als bedenklich ist auch, dass die gesamten Pflichten zur Anmeldung, Beratung und regelmäßigen Gesundheitskontrolle allein Prostituierten obliegen, während die Kunden (abgesehen von der Kondompflicht) davon unbehelligt bleiben.“ Deutsche AIDS-Hilfe
Deutscher Frauenrat e.V.
Deutscher Juristinnenbund e.V.
Diakonie Deutschland
Dortmunder Mitternachtsmission e.V.
Frauentreff Olga

Quelle: Pressemitteilung der Diakonie Deutschland - Evangelischer Bundesverband vom 21.09.2015
www.diakonie.de