Scharfe Kritik an der Streichung des Bundesprogramms Sprach-Kita
Das seit 2011 vom Bundesfamilienministerium geförderte Bundesprogramm "Sprach-Kitas" läuft nun aus, wie in der Bundeskabinettsitzung am 01.Juli 2022 beschlossen wurde. Diese Entscheidung wird von verschiedenen Seiten scharf kritisiert.
Das Bundesfamilienministerium hat Anfang Juli überraschend mitgeteilt, das Programm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ nicht fortführen zu wollen. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde hingegen die Verstetigung des Programms versprochen. Selvi Naidu, Vorstandsmitglied des AWO Bundesverbandes, führt dazu aus:
„Die Förderung von Kindern mit sprachlichem Förderbedarf unterstützt die Bildungsarbeit in den Kitas erheblich und ist ein ganz zentraler Aspekt auf dem Weg zur Chancengleichheit der Kinder. Das überraschende Aus für das Bundesprogramm Sprach-Kitas würde bedeuten, dass qualifizierte und dringend benötigte Fachkräfte in der sprachlichen Bildungsarbeit fehlen würden – und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem Förderbedarf und Benachteiligung während der Corona-Pandemie oftmals gewachsen sind. Das ist nicht zu Ende gedacht. Die AWO wird sich dafür einsetzen, dass die Sprachförderung weiterhin vom Bund gefördert wird. Es ist vollkommen unverständlich, dass gerade dieses nachweislich wirkungsvolle Programm gestrichen werden soll. Der AWO Bundesverband fordert die Bundesregierung vielmehr auf, das Programm auszubauen und in den nächsten Jahren zu verstetigen, und es auch nicht allein den Ländern zu überlassen, zusätzliche Mittel in die Sprachförderung von Kindern zu investieren.“
Nicht nur Kinder sind von der Entscheidung betroffen
Prof. Dr. Anke König von der Universität Vechta kritisiert die Professionalisierung im Projektmodus. Die doppelte Tragik werde nur dem bewusst, der sich die Mühe macht, hinter die Handlungsstrategien in der Steuerung des Systems der Kindertageseinrichtung zu blicken. Projektmittel sind befristet, im gleichen Zuge sollen damit aber Kernaufgaben in der Kita erfüllt werden. Der Verweis des Ministeriums auf die – auch weiterhin zeitlich befristeten – integrierten Finanzmittel des Bundes im Anschluss an das „Gute-Kita-Gesetz“ – in einem Qualitätsentwicklungsgesetz – sind daher nur ein schwacher Trost. Damit wird nicht nur die Qualität der Kita „befristet“ angelegt, sondern dahinter stehen persönliche Schicksale vieler sich aus eigenem Engagement heraus weitergebildeter pädagogischer Fachkräfte. Seit kurzem wird wieder über den Gender Gap in Arbeitsmärkten diskutiert. Die Kita ist ein traditioneller Frauenarbeitsmarkt. Im Fall des Programms Sprach-Kitas lassen sich diese Mechanismen idealtypisch nachzeichnen. Zwar wurde versucht, mit dem Programm einen Beitrag zur Professionalisierung zu leisten und sogenannte kurze Karriereleitern in der Kita etabliert. Damit verbunden ist die Stelle einer sogenannten Sprachkoordinator*in, die auch tariflich höher eingruppiert und besser bezahlt wurde. Die Schwachstellen zeigen sich aber in der Konstruktion: Projektabhängigkeit und nicht standardisierte Qualifikationen führen zur doppelten Tragik. Damit wird es den qualifizierten Fachkräften schwergemacht, für ihre aufgebauten Kompetenzen in Zukunft auch entsprechend entlohnt zu werden. Hier wird deutlich, wie in Organisationen ihre seit Jahrhunderten tradierten Strukturen und Mechanismen reproduziert werden. Im Fall von traditionellen Frauenarbeitsmärkten werden immer wieder Sonderwege gewählt, die Professionalisierung versprechen und zum Schluss in eine „Sackgasse“ münden. Einrichtungsträger, Kommunen, Länder und Bund sollten die große Resonanz auf das Aus des Bundesprogramms Sprach-Kita als Weckruf verstehen – Professionalisierung nicht im Projektmodus zu betreiben, sondern tatkräftig Reformen anzugehen und die Wege zu nutzen – die in der Berufsbildung schon lange angelegt sind – nämlich: Karrierewege über die Akademisierung zu beschreiten, wie in anderen sich ausdifferenzierenden Berufsfeldern üblich. Damit wird zugleich angeschlossen an die früh- und kindheitspädagogische Disziplinentwicklung im Allgemeinen. Nur mit fest verankerten Stellenprofilen im Handlungsfeld Kita kann jetzt die sich abzeichnende Fluktuation abgewendet und Karrierelaufbahnen sichtbar gemacht werden. So kann es gelingen, nachhaltig Orientierungswissen zu erhalten und pädagogische Qualität in den Einrichtungen langfristig zu stärken.
Quelle: Pressemitteilungen der Universität Vechta vom 20.07.2022 und der AWO vom 21.07.2022