„Schauen Sie nicht zu, sondern hin“
[1] Wir leben im Jahrhundert der Flüchtlinge; diese Kennzeichnung des Zustandes in unserer (Einen?) Welt dient Schriftstellern, Kommentatoren und Politikern als Beschreibung darüber, dass Millionen von Menschen aus politischen, weltanschaulichen oder ökonomischen Gründen unterwegs sind, um vom heimatlichen, nicht mehr lebenswerten und existenzgefährdeten Ort wegzuziehen, hin zu einem, der bessere und sicherere Lebensmöglichkeiten bietet oder zumindest zu bieten verspricht. Suchen wir nach den Gründen, so werden wir ganz einfach in der von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamierten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ fündig; und zwar gleich in mehreren Artikeln. Beginnend in der Präambel, in der es u. a. heißt: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“. In Artikel 1 wird dies als grundlegendes Menschenrecht formuliert: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“. In Artikel 3 wird das spezifiziert: „Jedermann hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“. In Artikel 13 wird die Freizügigkeit festgelegt: „(1) Jedermann hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. (2) Jedermann hat das Recht, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen und in sein Land zurückzukehren“. Der Asylrechtsartikel 14 legt eindeutig fest: „(1) Jedermann hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“. In Artikel 18 wird festgelegt: „Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit...“; und in Artikel 19 heißt es: „Jedermann hat das Recht auf Freiheit der Meinung und der Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die unbehinderte Meinungsfreiheit und die Freiheit, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedanken durch Mittel jeder Art sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben“. Fündig werden wir weiterhin im Artikel 25: „(1) Jedermann hat das Recht auf einen für die Gesundheit und das Wohlergehen von sich und seiner Familie angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung, Wohnung, ärztlicher Versorgung und notwendiger sozialer Leistungen...“. Schließlich in Artikel 26: „(1) Jedermann hat das Recht auf Bildung...“. Zum Schutz von Flüchtlingen hat schon der Völkerbund (1920 – 1946) Maßnahmen ergriffen mit dem Ziel, Flüchtlingen Hilfen und Rechtssicherheiten anzubieten. Die Vereinten Nationen haben dann am 28. Juli 1951 das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ beschlossen, das seitdem als „Genfer Flüchtlingskonvention“ als wichtigstes Rechtsinstrument für Flüchtlinge und Flucht gilt. In der Konvention wird festgelegt, wer als Flüchtling gilt, welchen rechtlichen Schutz ein Flüchtling beanspruchen kann und welche Hilfen und Beistand ihm gewährt werden müssen. Der „Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen“ (United Nations High Commissioner für Refugees, UNHCR) mit Sitz in Genf wird von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für jeweils drei Jahre, mit der Möglichkeit einer fünfjährigen Verlängerung, gewählt. Der derzeitige UN-Flüchtlingskommissar, der portugiesische Politiker António Guterres, stellt fest: "Flucht und Vertreibung gehören zu den globalen Herausforderungen unserer Zeit". Das Programm des UNHCR sieht sowohl vor, dass Menschen, die aus den verschiedensten, existentiellen Gründen gezwungen sind, aus ihrer Heimat zu fliehen, in einem anderen Land eine humane Aufnahme und Lebensmöglichkeiten erhalten, sondern auch, dass die Fluchtursachen beseitigt werden. Dazu bietet die Organisation humanitäre Hilfe, wie auch Entwicklungsprogramme an. Bereits zweimal, 1954 und 1981 wurde UNHCR mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die Weltstatistik weist aus, dass derzeit mehr als 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind, und zwar sowohl als so genannte „Binnenflüchtlinge“. Es sind verschiedene Ursachen und Lebensumstände, die Menschen zur Flucht zwingen: Politische, religiöse oder kulturelle Verfolgung, Kriege, Armut, Umweltzerstörung. Zwar ist Migration, nämlich die Wanderung von Menschen vom bisherigen Lebensraum in einen anderen, eine ganz normale, anthropologische Konstante - Die Menschheit ist erst zu dem geworden, was sie ist, weil sie immer in Bewegung war und sich veränderte! – doch Flüchtlinge werden von Mehrheitsgesellschaften selten willkommen geheißen, sondern eher abgelehnt. Hier also bedarf es eines emotionalen und moralischen Perspektivenwechsels dahingehend, dass Einwanderer eine Bereicherung für eine positive, humane, gesellschaftliche Weiterentwicklung sein können. Die zahlreichen, aktuellen, fremdenfeindlichen und rassistischen Vorkommnisse und Widerstände gegen Flüchtlinge in Deutschland, Europa und in der Welt sind ein Armutszeugnis und eine Schande für die Menschheit. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Alman A. Mazyek, bringt die individuellen und gesellschaftlichen Herausforderungen auf den Punkt: „Es ist ein wichtiges Zeichen, dass Vielfalt, Toleranz und auch Religionsfrieden sich gegenseitig bedingen und uns als Land stärker machen... Wir müssen keine Angst vor einer Republik haben, die etwas bunter wird. Die Offenheit und Vielfalt werden sich gewiss am Ende nicht nur wirtschaftlich auszahlen“ [2]. Der Fremde als angsterzeugendes Anderes ist in der Anthropologie und Psychologie immer schon mit einem Zweischritt belegt worden: Der eine als Abwehr, die sich in Aggression ausdrückt und den Fremden weit weg von sich selbst schieben will; und der andere, der im Fremden sich selbst erkennt. Ist aber der Fremde nicht zu verhindern, erfolgt daraus entweder die Aufforderung, dass er, will er in der Mehrheitsgesellschaft leben, so werden soll wie die anderen Eigenen [3], oder es entsteht das, was als „Willkommenskultur“ bezeichnet wird, nämlich die Willigkeit, Fähigkeit und Kompetenz, menschliche Vielfalt als Chance zum Perspektivenwechsel zu erkennen, wie dies die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ 1995 in ihrem Appell zum Ausdruck bringt: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“ [4]. Der nationale und internationale, gesellschaftliche Diskurs über Einwanderung, Migration und Flucht wird zum einen von allzu populistischen, traditionalistischen, demagogischen und fundamentalistischen Argumentationen bestimmt, die vor allem darauf zielen, die Angst vor den Fremden mit scheinbar „logischen“ Begründungen zu schüren; die andere, seriöse, politische und wissenschaftliche Auseinandersetzung hingegen kommt im allgemeinen öffentlichen Diskurs eher weniger zur Geltung. Das soll mit den folgenden, annotierten Hinweisen zu subjektiv ausgewählter, im Internet-Rezensionsdienst Socialnet besprochener Literatur geschehen.
Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“
Mit dieser bekannten, in einem Sketch von Karl Valentin und Liesl Karlstadt in charakteristischer Weise verdeutlichten Kennzeichnung des Phänomens „Fremdheit“ kommt zum Ausdruck, dass im individuellen und kulturellen Bewusstsein der Menschen der und das Fremde immer jenseits des Eigenen zu suchen ist; entweder als Sehnsucht nach dem Anderen, dem nicht Erreichten und Wünschenswerten, wenn die „Fremde lockt“, oder als Bedrängnis, wenn das Fremde allzu nahe kommt. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Topoi des Fremden kann sich auf verschiedenen Strängen bewegen: Historisch, kulturell, individuell, gesellschaftlich. In erster Linie sind dabei die Gesellschaftswissenschaften aufgerufen. Der aus der Türkei stammende Migrationswissenschaftler Yaşir Aydin setzt sich mit der europäischen Fremdheitsdebatte auseinander und vergleicht die semantischen Benennungen und Entwicklungen des deutschen und englischen Fremdheitsbegriffs. Dabei leiten ihm Fragen nach den unterschiedlichen Wahrnehmungen des „Anderen“ und „Fremden“ im gesellschaftlichen Prozess, nach den verschiedenen rechtlichen, politischen, sozialen und symbolischen Grenzziehungen, den medialen Diskursen und den veränderten politischen und ökonomischen globalen Bedingungen. Während in Großbritannien die „typischen Fremden“ eher durch die Hautfarbe („Rasse“) kenntlich sind, stellen in Deutschland eher ethnische Kategorien Fremdheitszuschreibungen dar, hier vor allem Immigranten aus Nicht-EU-Staate, vor allem aus der Türkei und Asylsuchende. In Großbritannien, so der Autor sei „die Grenze zwischen dem vorgestellten `Wir` und `den Fremden` in vieler Hinsicht durchlässiger als in Deutschland“. Es sind vor allem die „Ausschlussverhältnisse“, die Fremdheit erzeugen und festigen und Benachteiligung, Ausgrenzung und Diskriminierung schaffen; wie etwa auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, auf dem Wohnungsmarkt. Die sich für die „Fremden“ daraus ergebenden Möglichkeiten und Strategien münden dann meist in Forderungen der Mehrheitsgesellschaft nach Anpassung und Assimilation, in (nostalgische, subjektive oder ideologische) „Rückbesinnung auf die kulturellen Wurzeln“, oder in die Konstruktion von hybriden Identitäten [5].
Differenzerfahrung irritiert die eigenen kulturellen Anschauungen
Der wissenschaftliche Diskurs über die interkulturelle Entwicklung und Interkulturalitätsphänomene wird mittlerweile eher selbstverständlich als interdisziplinäre, denn fachspezifische Herausforderung verstanden. Das hat zur Folge, dass der soziologische und sozialwissenschaftliche Begriff von „Fremdheit“ sich in verschiedenen Formen artikuliert: „Das Vertraute und das Fremde“ als Spannungsfeld, der „Umgang mit Heterogenität“ als Kommunikations- und Integrationsaufforderung, „Vielfalt der Lebensformen“ als Weltbild. Es sind der Umgang mit Differenzerfahrungen und der (geforderte) Schritt hin zum Fremdverstehen, der die interkulturelle Auseinandersetzung und Begegnung zum irritierenden Erlebnis werden lässt, bei dem „das vormals Selbstverständliche plötzlich mit neuen und anderen Perspektiven konfrontiert wird“. Es ist die Frage, wie der vielfach geforderte Perspektivenwechsel vollzogen werden kann, als Stabilisator und erweitertes Bild der individuellen und kulturellen Identität. Sylke Bartmann vom Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Hochschule in Emden/Leer und Oliver Immel vom Institut für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Vechta greifen als Herausgeberteam die interdisziplinäre Diskussion um „Differenzerfahrung und Fremdverstehen“ auf, um „zur Erhellung des Übergangs von der Differenzerfahrung zum Fremdverstehen im Interkulturalitätsdiskurs“ beizutragen und damit einen Beitrag zur Interkulturalitätsforschung zu leisten. „In der Konfrontation mit einer Pluralität von Weltdeutungen scheint das Vertraute der eigenen Lebenswelt dem Fremden der Lebensformen und kulturellen Weltdeutungen in einer Weise gegenüberzustehen, die auf allen Ebenen des sozialen Lebens Differenzerfahrungen entstehen lässt“. Individuelle und gesellschaftliche Differenzerfahrung zeigt sich insbesondere im Umgang mit den Fremden, sich anders als im Selbstbild spiegelnden Darstellenden, als wertende Andersartigkeit. Die Frage, welche Auswirkungen Differenzerfahrungen, und zwar sowohl negative, als auch neue Möglichkeiten der eigenen Handlungsorientierung aufzeigend, haben können, lässt sich nicht und darf nicht allein aus den Erfahrungen der Menschen beim Umgang mit dem Anderen beantwortet werden [6].
„Fremd ist nicht einfach nur das Andere,
sondern das Andere, das als störend empfunden wird“; diese eher tautologisch anmutende Aussage bestimmt die Auseinandersetzung um Konflikt und Begegnung von Menschen, um Ablehnung und Zustimmung, wenn Menschen aufeinander treffen, die sich fremd sind in Aussehen, Auffassung und Herkunft. Die Frage nach Zusammen- oder Auseinanderleben, nach Freundschaft oder Feindschaft bestimmen seit jeher den Diskurs, wie Menschen in Gemeinschaften zusammen leben: Homogen oder heterogen; wobei die Unterscheidung eigentlich ebenfalls eine Tautologie ist darstellt, weil Menschen immer vielfältige Lebewesen sind in ihrer Einheit der Menschlichkeit. Migration, sowohl als historische Wanderungsbewegungen, wie vor allem als aktuelle Erscheinungen in der sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden (Einen?) Welt, trägt dazu bei, dass ethnozentriertes Denken und Handeln der Menschen abgelöst wird durch ein inter- und transkulturelles Bewusstsein. Das entsteht freilich nicht automatisch oder ist von vorn herein vorhanden, sondern muss sich individuell und lokal- und globalgesellschaftlich entwickeln. Die Bereitschaft zur Integration, als gegenseitiger Prozess, muss gelernt und durch Aufklärung und Information vermittelt werden, auf allen Bildungsebenen! Das Institut für Volkskunde der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität hat im Studiengang „Europäische Ethnologie“ vier Studientagungen durchgeführt, um den Themenkomplex „Fremdheit und Migration“ zu reflektieren. Die Ergebnisse der Tagungen werden im Sammelband vorgelegt, der von Max Matter, dem ehemaligen Geschäftsführenden Direktor des Instituts und von Anna Caroline Cöster, wissenschaftliche Mitarbeiterin, herausgegeben wird. Die dokumentierten Veranstaltungen bestechen dadurch, dass Freiburger Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler und Gastreferentinnen und –referenten aus dem Ausland den Bogen von den äußeren, offiziellen und offiziösen, bis hin zu den inneren, individuellen, politischen und lokal- und globalgesellschaftlichen Entwicklungen und Problemen spannen [7].
Migration interkulturell philosophieren
Migrationsprozesse sind Menschheitsphänomene! Immer schon haben sich Menschen auf den Weg gemacht, um aus existentiellen, innovatorischen, kriegerischen oder zivilisatorischen Gründen neue Lebensräume für sich zu entdecken. Sie trafen dabei auf ausgebreitete und abwehrende Arme. Wie wurden willkommen geheißen und bekämpft. Es waren Pull- und Push-Faktoren, die sie motivierten und antrieben. Sie brachten Veränderungen in ihr eigenes Leben und in das der sesshaften Bevölkerung. Sie wurden als Bedrohung und Bereicherung empfunden. Im „Jahrhundert der Migration“, im 20. und 21. Jahrhundert, erhalten die weltweiten Wanderungsbewegungen eine neue Bedeutung durch die Globalisierung, durch Klimaveränderungen und die ökonomischen Entwicklungen. Die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen im „Jahrhundert der Migration“ erfordern eine neue Aufmerksamkeit. Die Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie, Institut für Philosophie der Universität Wien, gibt die Zeitschrift „polylog“ als Diskussionsforum heraus. In ihm sollen interdisziplinäre Aspekte mit dem Anspruch zu Wort kommen, zu einer „Neuorientierung in der Praxis des Philosophierens“ beizutragen. „Wir sehen im interkulturellen Philosophieren die Bemühung, in die philosophischen Diskurse Beiträge aller Kulturen und Traditionen als gleichberechtigte einzuflechten, also nicht bloß vergleichend nebeneinander zu stellen, sondern so in einen offenen gemeinsamen Raum… zu bringen“. Mit dem Themenschwerpunkt soll „Migration als Akt des Migrierens“ in den philosophischen Diskurs eingebracht werden, wie Bianca Boteva-Richter und Nausikaa Schirilla in ihrem Einleitungsbeitrag zum Ausdruck bringen. Dabei werden Aspekte und ethische Fragestellungen zur globalen Gerechtigkeit, Theoriebildungen zu Ethnizität und Identität diskutiert und Forschungspositionen zu Rechtsfragen, Zugehörigkeit und Divergenz bezogen. Die dargestellten Studien, Analysen und Reflexionen zu Aspekten der Migration bestechen insbesondere wegen der ansonsten im Migrationsdiskurs und in der Migrationsforschung eher seltener vorfindbaren Fokussierung auf die philosophischen Fragestellungen. Wenn es so ist, dass in unserer sich immer interdependenter, entgrenzender, sichtlich und dramatisch inhuman entwickelnden (Einen?) Welt die lokale und globale soziale Gerechtigkeit auf der Strecke zu bleiben droht, bedarf es den aktiven, philosophischen Nachdenkens darüber, wie Migration umgeleitet werden kann hin zu einem „Akt des Migrierens… (hin zu) offene Grenzen…(zu) globale (r ) Gerechtigkeit (und) auf ethische Folgen der Migration“ [8].
Migration – Ein dramatischer Prozess des Wandels
Es ist die kulturelle Vielfalt, die in der sich immer interdependenter und entgrenzender sich entwickelnden (Einen?) Welt Wanderungsbewegungen bewirkt, die neue Dimensionen der Existenz der Menschheit aufzeigt. Das European Union National Institutes for Culture (EUNIC) in Berlin tritt für die europäischen Werte ein und will durch eine intensive Zusammenarbeit und Vernetzung der europäischen Kulturinstitute auf die kulturelle Vielfalt Europas innerhalb und außerhalb der EU aufmerksam machen. EUNIG gibt alljährlich einen themenbezogenen Kulturreport heraus. Das siebte Jahrbuch widmet sich dem Thema „Kultur und Migration“. Rund 30 Autorinnen und Autoren nehmen Bezug zu der europäischen und weltweiten Migrationsentwicklung und setzen sich im Sammelband mit Fragen auseinander, wie: „Wie geht eine Gesellschaft mit diesem Wandel um?“ – „Wie können wir die Akzeptanz von Einwanderern und Flüchtlingen in der Bevölkerung erhöhen?“ – „Wie kann kulturelle Vielfalt zum Vorteil der Herkunfts- und Zielländer, aber auch der Migranten genutzt werden?“. Der EUNIC-Jahresbericht 2014/2015 bietet eine Vielzahl von Informationen, Diskussionen und Perspektiven an, wie es gelingen kann, die Phänomene der Migration in Theorie und Praxis als gemeinsame, individuelle und institutionelle Herausforderung bewusst und wirksam werden zu lassen [9].
Ist Deutschland ein Einwanderungsland?
Es hat lange gedauert, und der gesellschaftliche und vor allem parteipolitische Erkenntnisprozess hat allzu viele und allzu viele Für und Widers, Pro und Contras produziert, bis sich, nach wie vor mit Einschränkungen, die Auffassung durchgesetzt hat, dass die deutsche Gesellschaft Einwanderung und damit Veränderung benötigt; vor allem auch, dass nicht Angst vor Zuwanderung angesagt ist, sondern eine gelingende Integration von Eingewanderten eine Bereicherung für eine freie, demokratische, aktive und kreative Gesellschaft darstellt. Der wissenschaftliche Diskurs über Einwanderung und Integration wird intensiv geführt [10]. Dabei wird deutlich, dass die einzelnen Fächer gut beraten sind, in ihren Forschungen und Positionsbestimmungen interdisziplinär zusammen zu arbeiten und zu vernetzen; denn der Prozess der Integration bedarf der lokalen und globalen gesamtgesellschaftlichen Aufmerksamkeit. In kaum einer anderen Lebenssituation ist die Diskrepanz zwischen „Fremdes ist schön“ und Fremdendistanz und -feindlichkeit so gravierend wie beim Umgang der Einheimischen mit den Zugewanderten. Subjektive Wahrnehmungen, Stereotype und Vorurteile überwiegen nicht nur bei den alltäglichen Begegnungen, sondern auch in den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen über Migrationsphänomene und Integrationsprozesse. Die in der Migrationsforschung aufgedeckten negativen Einstellungen von Eingesessenen gegenüber Eingewanderten besonders bei migrationsraren und -fernen Situationen machen ja deutlich, dass Ablehnungen, Feindlichkeiten und Rassismen „gemacht“ werden und nicht durch Begegnungen und eigene Erfahrungen entstehen [11]. Der in Münster ansässige Verein „Ethnologie in Schule und Erwachsenenbildung“ (ESE) nimmt die Erfahrung ernst, dass Ethnologen „den Menschen aufs Maul schauen“ und durch das Beschauen des alltäglichen Tuns Eindrücke gewinnen können, wie Menschen in bestimmten Lebenssituationen denken und handeln. Sie interessieren sich in einem interdisziplinären Diskurs dafür, wie es gelingen kann, dass Menschen interkulturelle Kompetenz erwerben können, um so in Deutschland und in der sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden Welt ein aufgeklärtes Bewusstsein von der bereichernden Vielfalt der Menschheit zu implementieren [12].
Aufklärung: Migrationsgesellschaft
Schulische (und außerschulische) Bildung ist in besonderer Weise gefordert, um bewusst zu machen, , dass Migration, Veränderung und Erneuerung der Gesellschaft, keine unangemessene Zumutungen, sondern Voraussetzungen für eine humane Weiterentwicklung der menschlichen Gemeinschaft sind. Handbücher bieten dafür Anhaltspunkte und Markierungen an. Sie sind Theorie- und Praxishelfer, und sie zeichnen sich durch Vielfalt und Differenzierung des jeweiligen Themenbereichs aus. Mit dem zweibändigen Handbuch „Schule in der Migrationsgesellschaft“ legen der Sozialwissenschaftler und stellv. Direktor des Center for Migration, Education and Cultural Studies (CMC) von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Rudolf Leiprecht, und die Erziehungswissenschaftlerin Anja Steinbach die erweiterte und neu bearbeitete Ausgabe des ersten, 2005 erschienenem Handbuchs vor. Es ist ein Plädoyer dafür, dass Schule und Gesellschaft sich öffnen hin zu einem offenen, toleranten und humanen, lokalen und globalen Gemeinwesen. Das Handbuch will ein Wegweiser und Richtungsgeber für eine gesellschaftliche Entwicklung sein, um auf die kulturellen und interkulturellen Herausforderungen in einer Migrationsgesellschaft zu agieren und reagieren. Es ist somit ein Gebrauchsgegenstand. Theoretiker und Praktiker nehmen es zur Hand, um den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs vorbereiten und gestalten zu können. Gesellschaftliche Prozesse, die Veränderungen bewirken wollen, bedürfen, um wirksam und wahrhaftig sein zu können, immer des Dialogs auf Augenhöhe; und zwar sowohl zwischen den direkt Beteiligten beiden pädagogischen, individuellen und kollektiven Auseinandersetzungen, als auch bei den nationalen und internationalen, kulturellen und interkulturellen Verläufen. Es kommt also darauf an, „die Dinge beim Namen zu nennen“ und weder Wolkenkuckucksheime noch Potemkinsche Dörfer zu errichten. Die einzelnen Bestandsaufnahmen und Analysen über die differenzierten Bereiche und Zusammenhänge, wie sie im Handbuch „Schule in der Migrationsgesellschaft“ zur Sprache kommen, zeugen von Sachkenntnis, intellektueller Souveränität und wissenschaftlicher Seriosität [13].
Humanität und Universalität: Eine europäische Vision?
Die Klagen, wie sie bereits im „Manifest der 60“ (1994) zum Ausdruck kommen, dass in Deutschland und in den anderen europäischen Ländern langfristig tragende, humane Konzepte zur Migrationspolitik fehlen und Abschottung, Abgrenzung und nationalzentrierte und neoliberale Zuwanderungskalküle individuell und kollektiv das politische Denken und Handeln bestimmen, sind längst Faktum geworden und zeigen sich nicht zuletzt in den aktuellen Auseinandersetzungen um Flüchtlingspolitik. Am Institut für Sozialforschung an der Universität Marburg, hat von 2009 bis 2013 eine interdisziplinäre Forschergruppe das „Staatsprojekt Europa“ bearbeitet. In mehreren Forschungsvorhaben und Analysen ging es darum, Alternativen zur (ver-)schleppenden, zögerlichen, neoliberalen und hegemonialen Arbeitsmigrationspolitik in Europa anzubieten und die Entstehung und Entwicklung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex kritisch zu betrachten. Das Forscherteam benutzte dazur eine Forschungsmethode, die sie „historisch-materialistische Politikanalyse“ (HMPA) bezeichnen. Sie soll ermöglichen, Herrschaftsverhältnisse und die mit ihnen verbundenen Politiken herauszuarbeiten und zu kritisieren. Die Projektgruppe betont, dass es sich bei den im Forschungsband vorgestellten, theoretischen und empirischen Beiträgen um kollektive Ergebnisse im gemeinsamen Forschungsprozess handelt. Sie avisieren damit ein durchaus neues und bemerkenswertes Forschungsdesign und -verständnis, bei dem der politik- und hegemoniekritische Zugang zu konkreten Migrationsphänomenen grundgelegt wird. Der Titel „Kämpfe um Migrationspolitik“ signalisiert, dass die vorherrschenden Politiken zur Migrationsfrage und -kontrolle in Europa nicht unumstritten sind; vielmehr sind die sozialräumlichen, nationalen und auf der EU-Ebene fokussierten Strategien konfrontiert mit globalen und multiskalaren Wirklichkeiten, die es zu beachten und im Sinne der Schaffung und Verteidigung einer globalen Bewegungsfreiheit zu realisieren gilt: „Dazu gehört eine weitere Europäisierung des Widerstandes“. „Krise und kein Ende“, so titelt die Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ die Entwicklung in der europäischen Integrations- und Migrationspolitik. Die Diskrepanz wird deutlich: Während auf der einen Seite im europäischen Integrationsprozess ein „inkrementalistisches (Zuwachs-, J.S.) Voranschreiten des Staatsprojekts Europa“ zu verzeichnen ist, verdeutlicht sich andererseits, dass die Hegemonien innerhalb der einzelnen Staaten auf den Gebieten der Arbeitsmigrationspolitik Initiativen für eine europäische Migrationspolitik und ein Migrationsmanagement ausbremsen: „Die Migrationspolitik ist ein Kampfterrain mit eigenen Logiken“ [14]
Heimat ist, wo ich engagiert bin
Es sind gleich zwei Dilemmata zu verzeichnen: Wer seine Heimat verlässt, um anderswo eine neue Heimat zu finden, gibt Gewohnheiten, Sicherheiten, Geborgenheiten und Gewissheiten auf, um solche und bessere im Migrationsprozess wieder zu finden, stößt aber dort erst einmal auf Unsicherheiten und Ungewissheiten. Und: Die Mehrheitsgesellschaft verweigert dem Eingewanderten den Wunsch nach Zugehörigkeit und Integration. In der nationalen und transnationalen Integrationspolitik wird von der „Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration“ gesprochen [15] und in der Migrationsforschung gibt es verschiedene Analyse- und Begründungskonzepte, wie Integrationsprozesse ablaufen, aber auch verhindert werden. Die Münchner Integrationswissenschaftlerin Kathrin Düsener mischt sich ein in die Kontroverse, ob Eingewanderte in Mehrheitsgesellschaften eher „Schmarotzer“ sind, oder nicht vielmehr als Engagierte und Aktive gleichberechtigt die Gesellschaft bereichern. Sie zeigt zum einen ein deutliches „Inklusionsbegehren“ der Zugewanderten auf, das im Willen dazuzugehören erkennbar wird, zum anderen durch Anpassungstendenzen und Emanzipations- und Selbstbewusstseinsstreben als „Selbstpositionierung“ zum Ausdruck kommt, und sich schließlich in eigenen „Identitätskonstruktionen“, der Fähigkeit also, hypbride, also „Zwischen- oder Patchworkidentitäten“ zu bilden, artikuliert [16].
Migration als Chance
Die „Pathologisierung“ von Migration, die sich in den nationalen und internationalen Auseinandersetzungen um die Wanderungsbewegungen von Menschen zeigt, verdeutlicht sich darin, dass es im Argumentations- und Sprachgebrauch darum geht, Migration als einen zu überwindenden Ausnahme- und Katastrophenzustand darzustellen. „Bootsflüchtlinge“, „illegale Einwanderer“, „Schmarotzer“…, das sind Abwehrreaktionen, die aus den meist satten Mehrheitsgesellschaften kommen; und die Drohgebärden, wie „Das Boot ist voll“ sollen von der Einwanderung abschrecken. Beinahe reflexhaft wird im Migrations- und Flüchtlingsdiskurs wiederholt, dass die Fluchtbewegungen vor allem der so genannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ in Richtung Europa dadurch reduziert werden könnten, indem man die (ökonomischen) Lebensbedingungen der Menschen in den prekären Ländern der Erde verbessere; das ist sicherlich richtig und verweist darauf, dass es gelingen müsse, die Lebensbedingungen aller Menschen auf der Erde gerechter und humaner zu gestalten. Ein Blickwechsel ist angezeigt: „Der Anteil der Migrant/innen an der Weltbevölkerung ist über Jahrhunderte relativ konstant (um drei Prozent). Nur die Richtungen der Migration, die Distanz, die überwunden wird, und zum Teil auch die Motive variieren“. Ein Team des Bonner Asienhauses, der Universität Bonn und des Wuppertaler Informationsbüros Nicaragua geben einen Sammelband heraus, in dem sie die Aspekte des Gebens und Nehmens bei Migrationsprozessen thematisieren und damit den Stereotypen vom Traum bis Albtraum eine differenzierte Analyse über die je spezifischen Motive und Zustände für Auswanderung entgegen setzen. Dass dabei der Fokus auf Länder in Südostasien und Lateinamerika gerichtet ist und die Situationen z. B. in Afrika oder Osteuropa gar nicht angesprochen werden, zeigt sich zwar als Manko, bietet aber schon die Möglichkeit, die thematisierten Entwicklungen gewissermaßen als exemplarisch für die Lage in der Welt zu kennzeichnen. Der Sammelband „Das Echo der Migration“ diskutiert gewiss ein sensibles Thema, das zudem meist nicht im Migrationsforschungsdiskurs, aber auch nicht in der öffentlichen und gesellschaftlichen Diskussion präsent ist. Die vielfältigen Argumentationen und Erfahrungsberichte tragen dazu bei, die allzu einseitig auf Katastrophenszenarien ausgerichtete Auseinandersetzung um die modernen Wanderungsbewegungen von Menschen zu relativieren [17].
Interkultureller Dialog
Angesichts der beinahe schon pathologisch anmutenden Auseinandersetzung über Fremde und Fremdes in Deutschland, über „Ur-Deutsche“ und „Deutsche mit Migrationshintergrund“, über „Leit“- und „Fremd“-Kultur, bis vor kurzem auch der unselige Streit, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht, über das „Ihr“, als abwertendes und ausgrenzendes, und „Wir“, als ethno- und egozentrisches Signal, gilt es interkulturelle Position zu beziehen. Die unsäglichen rechtsradikalen und rassistischen Denk- und Handlungsparolen (nicht nur an den Biertischen), wie „Das Boot ist voll“, „Deutschland den Deutschen“ wollen wir dabei gar nicht diskutieren. Vielmehr geht es darum, im Interkulturalitätsdiskurs, der viel zu oft nicht mit den so genannten „Neu“-Deutschen, sondern von den „Ur“-Deutschen untereinander und zudem zu oft als ein „deutsches Problem“ geführt wird, von der Einbahnstraße zu einem gemeinsamen, auf beiden Seiten zu befahrenden Dialogweg auszubauen und Integration als eine natürliche, selbstverständliche, bereichernde, gesellschaftliche Entwicklungschance zu verstehen. Es muss gelingen, mit den nach Deutschland eingewanderten Menschen einen gemeinsamen gleichberechtigten und fairen Dialog über die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung zu führen und Probleme bei der Integration in die deutsche Gesellschaft als gemeinsame Herausforderung, wie als gemeinsame Chance bei der Entwicklung hin zu einer gerechteren, friedlicheren und humaneren Gesellschaft zu begreifen. Die Frage nach der „deutschen Identität“ ist heute nicht mehr mit dem Panzerhemd und dem Abwehrschild, auch nicht auf dem Podest zu stellen, sondern mit dem Bewusstsein, wie dies in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (10. 12. 1948) in der Präambel formuliert wird: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“. Es sind Lebensgeschichten, erinnerte, vielleicht sogar euphorisierte oder auch fatalistische Erzählungen, die Lebenswege bestimmen können. Der 1968 in Siegen als Sohn türkischer Gastarbeiter geborene Mehmet Gürcan Daimagüler kann als Vorzeige- und Paradebeispiel für jemand gelten, der erfolgreich Deutscher wurde: Er absolvierte erfolgreich die Schule, studierte Jura, VWL und Philosophie in Bonn, Kiel, Witten-Herdecke, Harvard und Yale; er wurde als »World Fellow« der Yale University und als »Littauer Fellow« der Harvard University ausgezeichnet; er war Mitglied des Bundesvorstandes der FDP (die er 2007 verließ), Berater der Boston Consulting Group, wurde 2005 vom „World Economic Forum“ in Davos zum „Young Global Leader“ gekürt und ist als erfolgreicher Rechtsanwalt und Strategieberater in Berlin tätig. Eine Bilderbuchkarriere, die sich mancher „Ur“-Deutscher wünschte. Interessanterweise wählt er für sein Buch als Titel das heute sentimental anmutende alte Volkslied: „Kein schöner Land in dieser Zeit“, das (fälschlich) Friedrich Sigismund (1856) zugeschrieben wird und in dem es weiter heißt: „… als hier das unsre weit und breit, / wo wir uns finden, wohl unter Linden, zur Abendzeit…“. An das Lied, das der deutsche Heimatschriftsteller und Volksliedforscher Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio, genannt Wilhelm von Waldbrühl (1803 – 1869), nachgedichtet hat, erinnert sich Daimagüler; und er wünscht sich „wie damals als kleines Kind in Niederschelden mit leuchtenden Augen und flammendem Herzen mein Lied über Deutschland singen zu können“. Daimagülers „zwischenständliche“ Lebensgeschichte trägt etwas, was bei jeder Lebensbewältigung, ob als Eingewanderter oder Eingeborener, Grundlage sein sollte: „Es geht nur mit absoluter Ehrlichkeit“, und seine Erfahrungen – „Deutschland ist eine schwierige Heimat“ – sind nicht geprägt von Enttäuschungen und Pessimismus, sondern von der Überzeugung, dass „die eigene Identität und die Identität einer ganzen Gruppe zwei grundverschiedene Dinge sind“, was ja nichts anderes bedeutet als die Anerkennung der Würde eines jeden Menschen [18].
Heterogenität: Grundpfeiler einer pädagogischen Aufklärung
Die verschiedenen Phasen und Epochen von Paradigmenwechsel, die bei gesellschaftlichen Wandlungsprozessen einsetzen, verursachen bei Menschen immer auch Veränderungserlebnisse, die sich positiv, im Sinne von Weiterentwicklungserfahrungen, aber auch negativ, als belastende, das eigene Denken und Handeln (scheinbar) gefährdende Erscheinungen darstellen. Immer schon in der Menschheitsgeschichte war und ist der Ortswechsel, als Migration, verbunden mit Veränderungen von gewohnten Standpunkten und bedeutet für die Wandernden wie für die Eingesessenen Chancen und Gefahren. Wer seine angestammte Heimat verlässt, um – aus welchen Gründen auch immer – neue (bessere) Lebensmittelpunkte in der Fremde zu suchen, zeigt damit ein aktives Element der Lebensbewältigung und verlässt abwartende oder fatalistische, blockierende Einstellungen. So lässt sich sagen, entgegen der üblichen, ethnozentrischen und ethno-egoistischen Einstellungen, dass Migration eine Erfolgsgeschichte sein kann. Entscheidende Ansatzpunkte, wie ein Bewusstsein von der (normalen und bereichernden, nicht bedrohlichen) Vielfalt der Menschheit in die Köpfe und Herzen der Menschen gebracht werden kann, sind ohne Zweifel Bildungs- und Erziehungsprozesse. Für die institutionelle, schulische wie außerschulische Bildung, sind Lehrerinnen und Lehrer gewissermaßen die Agenten der Veränderung von Verhaltenseinstellungen, wie Lernen definiert wird. Die Lehreraus- und -fortbildung hat dabei ein besonderes Gewicht. Es ist deshalb nur logisch und verdienstvoll, dass die Lehrerbildnerin Elisabeth Rangosch-Schneck, die als Lehrbeauftragte an der Eberhard Karls Universität in Tübingen tätig ist, im Sammelband „Lehrer lernen Migration“ Theoretiker und Praktiker aus den unterschiedlichen Bereichen der Lehrerbildung zusammen bringt, um „Vermessungspunkte“ zu Fragen der institutionellen und didaktischen interkulturellen Lehrerbildung zu markieren, vorliegende Konzepte zu diskutieren und Erfahrungen aus Deutschland, Österreich, Luxemburg, der Schweiz und Italien auszutauschen [19].
Wenn Menschen mobil sind, werden auch Dinge, Objekte und Ideen in Bewegung gesetzt
Die Thematik „Migration“ hat in der Forschung wie im gesellschaftlichen Diskurs einen Stellenwert, der nicht selten und in unterschiedlichem Maße von subjektiven Meinungen, Emotionen, Ideologien und Höherwertigkeitsvorstellungen denn von einer rationalen und objektiven Bewertung bestimmt ist. Integrationspolitik und Identitätsbildung klaffen oft genug auseinander im Nichtverstehen(wollen) oder (-können). Die Erwartungen und Forderungen der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft an die Menschen, die als Migrantinnen und Migranten ankommen und aufgenommen werden wollen, unterscheiden sich mehr von einander als sie sich annähern. Besonders durch die sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden globalisierten Welt werden vermeintliche Gewissheiten in Frage gestellt und anthropologische Abgrenzungen und Bewertungen vorgenommen, die den universalen Gedanken der Menschheit immer wieder in Frage stellen. Kunst (Kultur) und Migration verdeutlicht einen Zusammenhang, der im Migrationsdiskurs nicht von vorn herein im Blick ist; vor allem dann nicht, wenn die künstlerischen Äußerungen und Arbeiten von Migrantinnen und Migranten aus den eher „kulturferneren“ Regionen stammen, wie etwa im europäisch-afrikanischen Kontext. Die „Annäherungen an zeitgenössische Künstler aus Afrika“ vollziehen sich eher zögerlich und nach wie vor eurozentristisch [20]. Es ist der „globale Marsch“ (Peter Opitz), der in den Zeiten der Globalisierung, der Tendenz, dass lokal und global die Reichen immer reicher und die Habenichtse immer ärmer werden und der sich rapide vollziehenden Klimaveränderungen mehr Menschen als vorher veranlasst, ihren angestammten Lebensraum zu verlassen und anderswo erträgliche Lebensbedingungen zu suchen. Die sich dabei ausprägenden Formen einer Ästhetik (Wahrnehmung) zeigen sich in vielfältigen Formen, als Flucht-, Umwelt- und Lebens-Bewältigung. Die Auseinandersetzungen über die Gründe und Gestalten der Migrationsanlässe und –vollzüge werden dabei selten von oder mit, sondern eher über die Migrantinnen und Migranten geführt, insbesondere in der deutschen Integrationsdebatte. Dass dabei Mentalitäten und Sprache als Bewertungs- und Ausdrucksformen zutage treten, ist ein Dilemma, das sich darstellt, vergleicht man die deutschen wissenschaftlichen, überwiegend disziplinär und fachorientierten Forschungsarbeiten mit denen in anderen, vor allem angelsächsischen Ländern, in denen die Inter- und Multidisziplinarität in der Migrationsforschung die Regel sind. Die beiden Herausgeberinnen der Anthologie „Die Kunst der Migration“, die Kunsthistorikerin und Medien- (Film)wissenschaftlerin, Marie-Hélène Gutberlet und die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sissy Helff, beide an der Goethe-Universität Frankfurt/M. tätig, legen die Diskussionsverläufe und Ergebnisse eines fünfjährigen Forschungsprojektes vor, das sich mit „Migration & Media“ befasste. Die Texte sollen „Einblicke in transnational sowie trans- und interkulturell argumentierende Arbeitsweisen (geben), die Bezug nehmen auf aktuelle Forschungsergebnisse in Afrika- und Europawissenschaften, Ethnologie, Kulturanthropologie, Visual Culture, Kunstgeschichte, Philosophie sowie postkoloniale und transkulturelle Literatur-, Kultur- und Filmwissenschaft“ [21].
Der Mensch ist ein homo migrare
Der an der japanischen Universität Tsukuba und der Universität in Tokyo lehrende Historiker Harald Kleinschmidt legt eine Forschungsarbeit vor, mit der er die Debatte um Migration und Integration versachlichen will „durch Blicke in die vielfältigen Geschichten von Migranten und Migrantinnen in der ferneren und näheren Vergangenheit“ und daraus Lehren für die Gegenwart und Zukunft der menschlichen Migrationsgeschichte zu ziehen. Der Blick in die Geschichte der Wanderungs- und Migrationsbewegungen, an ausgewählten historischen Beispielen dargestellt, zeigt zum einen, wie gelingende und misslingende Integration von Zugewanderten in Mehrheitsgesellschaften sich darstellt, welche äußeren Bedingungen wirken, wie gesellschaftliches Bewusstsein von Fremdheit fördert oder hemmt und welche individuellen und kollektiven Anstrengungen notwendig sind, um Integration gelingen zu lassen.; denn „Integration findet in erster Linie nicht in Staat und Gesellschaft statt, sondern dort, wo Migrantinnen und Migranten Aufnahme und Anerkennung in bestehenden Nachbarschaftsgruppen finden können, ohne in Ghettos ausweichen zu müssen“. Für eine gelingende Integration ist zwar ein rechtlicher, gesellschaftlich akzeptierter und freiheitlich-demokratischer Rahmen erforderlich; jedoch ohne ein aufgeklärtes Bewusstsein aller am Integrationsprozess Beteiligten, also aller Gesellschaftsmitglieder lokal und global, kann Eingliederung, Aufnahme und Zugehörigkeit nicht gelingen. Das könnte die Botschaft sein, die aus der Analyse von Harald Kleinschmidt „Migration und Integration“ herausgelesen werden kann [22]
Stereotypen, Klischees und andere Vorurteile
Mehrheitsgesellschaften, die sich national, völkisch, politisch oder geschichtlich als ethnische Gemeinschaften verstehen, haben sich immer schon abgegrenzt gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Eindringlingen, Zuwanderern, die sie als Fremde und nicht Dazugehörige ablehnen oder ihnen zumindest distanziert gegenüberstehen. Die philosophische, psychologische und anthropologische Auffassung, dass „der Fremde ich selbst bin“, wird nicht selten mit Stoppschildern und Tabus be- und verhindert. Die Aufklärungsprozesse, die durch Artikel 1 der von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eingefordert werden – „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ – verlaufen jedoch, wie die zahlreichen Formen von Ethnozentrismen, Höherwertigkeitsvorstellungen, Fremdenfeindlichkeit und Rassismen überall in der Welt zeigen, äußerst schleppend und schwergängig. Die Erkenntnis, dass man als Rassist nicht geboren, sondern durch individuelle und gesellschaftliche Einflüsse dazu gemacht werden kann, hat zwar in einigen Staatsverfassungen und demokratischen Ordnungssystemen zu Regelungen geführt, ethnische und andere Formen von Diskriminierungen unter Strafe zu stellen, doch das sind nach wie vor Ausnahmen. In der Vorurteilsforschung der Sozialwissenschaften herrsche, so stellt der Journalist Jürgen Kaube in der FAZ vom 1. Oktober 2011 fest, die Tendenz vor, dass die Untersuchungen und Analysen über Vorurteile überwiegend von negativen Konnotationen ausgingen; deshalb würde der Diskurs um Migration und Integration eher von Formen des hemmungslosen Moralisierens auf der einen, und von irrationaler Angstmache auf der anderen Seite bestimmt. Jost W. Kramer, der an der Hochschule in Wismar bis zu seinem Tod vom 12. Februar 2012 als Betriebswirtschaftler tätig war und der Wiener Sozialwissenschaftler Robert Schediwy setzen sich in ihrem „Argumentier“ – Buch damit auseinander, wie scheinbare, selbstverständliche und unverrückbare Gewissheiten, Befindlichkeiten und Stammtischparolen in der Auseinandersetzung mit ethnischen Minderheiten entstehen und wie diesen entgegengewirkt werden kann. Sie fokussieren dabei ihre Reflexionen und Denkanstöße auf Zugewanderte, die in den jeweiligen Mehrheitsgesellschaften heimisch werden wollen, was bedeutet, dass sie andere Arten von Minderheiten, etwa Behinderte oder sonstige Diskriminierte in ihrem Buch nicht dezidiert ansprechen. Die Autoren wollen mit ihren eher skizzenhaften Texten, bei denen sie sich überwiegend auf wissenschaftliche Abhandlungen und Forschungen zur Thematik beziehen, „Denkanstöße geben, aber dabei nicht verletzen; (sie wollen) Tabus einreißen, ohne aber dabei Verwüstungen anzurichten“. Bei den Auseinandersetzungen um Mehrheiten und Minderheiten, um Identifikationen und Identitäten kommt es darauf an zu erkennen, dass „der Fremde ich bin“ und Eigensein und Fremdsein die beiden Seiten der einen humanen Medaille sind [23].
Entgrenzung als Risiko und Chance
Der „zôon kinêseôs, der wandernde und „unterwegs“ befindliche Mensch stellt im menschlichen Bewusstsein sowohl ein Bedrängnis, aber gleichzeitig ein Selbstverständnis dar. „Migration, Mobilität, Pluralität / Hybridisierung als aufeinander bezogene Phänomene… (sind ) im zentraleuropäischen Raum keineswegs neuartig ( ) “, das ist keine neue Erkenntnis, sondern wird in der Migrationsforschung immer wieder betont; wenn auch die rapide, interdependent und entgrenzend sich entwickelnde Welt neue Formen und Zustände der Wanderungsbewegungen der Menschen hervorgebracht hat und zu Denkmustern herausfordert, die nicht allein das „Wir“ und die „Anderen“ als Maßstab des Zusammenlebens betrachten, sondern Solidarität in hybride und transkulturelle Selbstverständlichkeit und „Kultur als Pluralisierung möglicher Identitäten“ erkennen lässt. Dieses transkulturelle Bewusstsein gilt es zu befördern. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat 2009 im Rahmen der Forschungsprogramme „Orte des Gedächtnisses“ und „Translation“ eine internationale Konferenz durchgeführt, bei der insbesondere die historischen und aktuellen Fragestellungen zu den Zusammenhängen von Migration und Mobilität aus Gegenwartsperspektive diskutiert wurden. Wenn Migrationsprozesse inter-, transkulturelle und hybride Formen der Identität hervorbringen und Hybridität als angeborene, gewachsene und entwickelte Vielfalt menschlichen Zusammenlebens bezeichnet werden kann, muss endlich der Perspektivenwechsel von der Push- und Pull-Betrachtung weg und hin zu den Selbstverständlichkeit der menschlichen Vielfalten und Unterschiede vollzogen werden. Die Autorinnen und Autoren der Wiener Internationalen Konferenz vom 7. bis 9. 10. 2009 haben in differenzierter und interdisziplinärer Weise deutlich gemacht, dass Migration, Mobilität, Pluralisierung und Hybridisierung auf einander bezogene Phänomene sind, die es gilt, im Diskurs der Migrationsforschung deutlicher als bisher zu berücksichtigen, und zwar in der Theorie wie in der zivilgesellschaftlichen Praxis [24].
Das globale Zukunftsthema Migration
1994 war es, als sich 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dem „Manifest der 60“ zu Wort meldeten und ihre „gemeinsame Sorge über die mangelhafte politische Gestaltung der Migration und ihrer Folgen in Deutschland“ zum Ausdruck brachten und darauf hinwiesen. „Deutschlands Zukunft hängt auch von einer Migrations- und Integrationspolitik mit Vernunft und Augenmaß ab“. In den folgenden, mehr als zwanzig Jahren hat es zahlreiche Studien und Forschungsaktivitäten zur Migrationsthematik gegeben. Der am Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien lehrende und forschende Historiker Jochen Oltmer legt in dem schmalen Bändchen einen knappen Aufriss der komplexen globalen Migrationssituation in der Neuzeit vor. Er verweist dabei insbesondere auf die historischen und aktuellen Prozesse und verdeutlicht, dass die „wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Hintergründe, Rahmenbedingungen und Folgen“ nicht annähernd zu verstehen sind, nimmt man nicht zur Kenntnis, „dass Migration und Integration Ergebnis historischer Prozesse und staatlich verordneter Politik sind“. Die skizzenhaften Darstellungen der Geschichte der Migration in der Neuzeit vermitteln einen Überblick über Ursachen, Bedingungen und Auswirkungen von globalen Migrationsbewegungen und liefern Argumente und Entscheidungshilfen für gesellschaftliches und politisches Handeln. Mögliche Lösungsansätze werden dabei nicht als Rezepte geliefert, sondern als Grundlage für humanes, verantwortungsbewusstes Denken und Handeln angeboten. Die Literaturauswahl zu den Bereichen „Globale Migration und übergreifende Fragen“, „Inter- und transkontinentale Massenintegration im (langen) 19. Jahrhundert“, „Migration und Kolonialismus, postkoloniale Migrationen“, „Migration und Krieg“ und „Beschleunigte Globalisierung und Migration im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert“ bietet eine intensivere Auseinandersetzung an; das Länder-, Regionen- und Orte-Register erleichtert die Handhabe des Büchleins; zur Veranschaulichung werden drei Kartenskizzen angeboten [25].
Ordnung der Welt?
In der risikobehafteten und „unordentlichen“ Welt werden die Rufe nach einer „Weltordnung“ immer lauter. Mit dem Begriff der (neuen) Weltordnung kommt zum Ausdruck, dass die Menschheit endlich von einer „Kultur des Krieges zu einer Kultur des Friedens“ kommen (Federico Mayor) und im Bewusstsein der Menschen eine universelle Verantwortungsethik Einzug halten müsse. Dass dies im Konjunktiv formuliert wird, heißt ja nichts anderes, als dass diese Forderung längst noch nicht Wirklichkeit in der Welt ist, und die Visionen und Programme, Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit in der Welt zu schaffen, weiterhin auf die Realisierung warten. Damit sind wir bei der großen Herausforderung an die Menschheit, sich gemeinsam eine allgemeingültige, nicht relativierbare Ordnung, also eine „globale Ethik“ zu geben, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 als „Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte, (die) die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“ grundgelegt ist. Über die Entstehung von Macht, die legitime Ausübung von Ordnungsphänomenen und Machtmissbrauch wird in vielfältigen, anthropologischen, soziologischen, politischen, psychologischen und kulturellen Zusammenhängen diskutiert. Der Politikwissenschaftler und Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen und Vergleichende Regierungslehre an der TU in Braunschweig, Ulrich Menzel, legt ein umfangreiches und anspruchsvolles Buch vor, mit dem er nicht mehr und nicht weniger als „die Welt erklären“ will. „Es soll darin gezeigt werden, was die Welt im Innersten zusammenhält, wer für Ordnung sorgt in der Anarchie der Staatenwelt, in der es keine übergeordnete Instanz, keinen Weltstaat gibt, der mit einem internationalen Gewaltmonopol ausgestattet ist“. Er formuliert bereits zu Beginn: „Die Ordnung in der Anarchie der Staatenwelt resultiert aus der Hierarchie der Staatenwelt“. Er verweist auf seine jahrzehntelangen Forschungen und (Fall-)Studien zu Fragen nach einer (neuen) Weltordnung. Es sind Fragen, wie Mächte, Imperien und Reiche internationale Ordnungen bestimmen und sich Zentrismen bilden konnten und können und sich in Benennungen und Kategorisierungen wie etwa „Erste", „Zweite“, „Dritte“ und „Vierte“ Welt ausdrücken; bis hin zu der Analyse, dass die großen (Entwicklungs-) Theorien gescheitert seien. Mit seinem Gliederungsschema zur Weltordnungsgeschichte analysiert Menzel exemplarisch (Welt-)Mächte als Idealtypen, die in ihrer Zeit imperiale und hegemoniale Macht ausübten. Im historischen und aktuellen Vergleich der Wirkungsmächte vermittelt Ulrich Menzel nicht nur tiefe Einblicke in sein seit Jahrzehnten und weiter andauerndes intellektuelles und professionelles Schaffen, sondern er bietet den Leserinnen und Lesern seines umfangreichen Buches auch die Chance an, darüber nachzudenken, wie wir geworden sind, was und wie wir sind, als Individuen, Deutsche, Europäer und Planetarier, lokal und global, Hier und Heute mit dem ontologischen, anthropologischen und chronologischen Bewusstsein; und nicht zuletzt als visionäre Herausforderung zur „Überwindung der Anarchie“, wie sich die Staatenwelt seit Jahrtausenden darstellt [26].
Globale Dynamiken
Im lokalen und globalen Diskurs um den Zustand und die (Weiter-)Entwicklung der Welt wird immer wieder die Universalität der Menschheit beschworen, und an das Bewusstsein gemahnt, dass „jeder einzelne von uns tagtäglich die Verantwortung für die Zukunft der gesamten Menschheit trägt“ (Enrique Barón Crespo). Die globalen Trends, wie sie von den internationalen Weltkommissionen als Mahnung, Madrigal und Magie in den Weltdiskurs gebracht werden, zeichnen die Paradigmen zwischen Konflikt und Kooperation auf. Immer steht dabei die Herausforderung im Mittelpunkt, die lokalen und globalen Entwicklungen human durch einen Perspektivenwechsel zu bewältigen und zu realisieren, was als globale Ethik der Menschheit aufgetragen ist, dass nämlich „die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“ (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte). Es ist nicht leicht, den lokal-globalen Diskurs um eine bessere, gerechte und humane Welt zu durchschauen und gewissermaßen den Weizen von der Spreu zu trennen, oder auch Visionen von Illusionen und Phantasmen unterscheiden zu können. Die Soziologin vom Institut für neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johannes Kepler Universität in Linz/Österreich, Veronika Wittmann, bietet mit ihrer Dissertation einen Zugang dazu an. Sie benutzt dazu drei Zugänge: Die soziologische Systemtheorie, den kosmopolitischen Ansatz und die World-Polity-Forschungen. Sie fordert damit einen soziologischen und damit globalen Turn, hin zu einer „globalen Heimat der Menschheit“ [27].
Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
E-Mail Mailformular
[1] Der Fernsehmoderator Gerd Scobel in der 3sat-Wissenschaftssendung „Über das Böse“, vom 25.10.2012
[2] Dieter Wonka, Interview, in: Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 5. 9. 2015, S. 3
[3] Jos Schnurer, „Wenn ihr nicht so werdet wie wir, seid ihr unsere Feinde!“, zur socialnet Materialie
[4] Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt. Bericht der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ (Kurzfassung), 2., erweit. Ausgabe, Bonn 1997, S. 18
[5] Yaşir Aydin, Topoi des Fremden. Zur Analyse und Kritik einer sozialen Konstruktion, 2009, zur Rezension
[6] Sylke Bartmann / Oliver Immel, Hrsg., Das Vertraute und das Fremde. Differenzerfahrung und Fremdverstehen im Interkulturalitätsdiskurs, 2010, zur Rezension; sowie: Doug Saunders, Mythos Überfremdung. Eine Abrechnung, 2012, zur Rezension
[7] Max Matter / Anna Caroline Cöster, Hrsg., Fremdheit und Migration. Kulturwissenschaftliche Perspektiven für Europa, 2011, zur Rezension; sowie: Jens Wassenhoven, Europäisierung deutscher Migrationspolitik. Policy-Wandel durch Advocacy-Koalitionen, 2011, zur Rezension
[8] Arash Abizadeh / Nausikaa Schirilla / Bianca Boteva-Richter, Hrsg., Migration. Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie c/o Inst. f. Philos. Uni Wien NIG (Wien), Zeitschrift für Interkulturelles Philosophieren, Nr. 30, 2014, zur Rezension
[9] ifa EUNIC, Hrsg., Europa. Festung oder Sehnsuchtsort. Kultur und Migration, 2015, zur Rezension
[10] vgl. dazu: „Deutschland ist ein Einwanderungsland“, 22.12.2014, in: Rubrik „Schnurers Beiträge“, www.sozial.de/
[11] Harald Kleinschmidt, Migration und Integration, 2011, zur Rezension/a>
[12] Ursula Bertels, Einwanderungsland Deutschland. Wie kann Integration aus ethnologischer Sicht gelingen? 2014, zur Rezension
[13] Rudolf Leiprecht / Anja Steinbach, Hrsg., Schule in der Migrationsgesellschaft. Bd. I: Grundlagen - Differenzlinien - Fachdidaktiken. Bd. II: Sprache - Rassismus – Professionalität, 2015, zur Rezension; sowie: Nadine Rose, Migration als Bildungsherausforderung. Subjektivierung und Diskriminierung im Spiegel von Migrationsbiographien, 2012, zur Rezension
[14] Forschungsgruppe "Staatsprojekt Europa", Hrsg., Kämpfe um Migrationspolitik. Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung, 2014, zur Rezension
[15] Stefan Luft, Staat und Migration, 2009, in: socialnet Rezensionen unter zur Rezension
[16] Kathrin Düsener, Integration durch Engagement? Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach Inklusion, 2010, zur Rezension
[17] Niklas Reese / Judith Welkmann, Hrsg., Das Echo der Migration. Wie Auslandsmigration die Gesellschaften im globalen Süden verändert, 2010, zur Rezension
[18] Mehmet Gürcan Daimagüler, Kein schönes Land in dieser Zeit. Das Märchen von der gescheiterten Integration, 2011, zur Rezension; sowie: Hilal Sezgin, Hrsg., Manifest der Vielen. Deutschland erfindet sich neu, 2011, zur Rezension
[19] Elisabeth Rangosch-Schneck, Lehrer - Lernen - Migration. Außen- und Innenperspektiven einer "interkulturellen Lehrerbildung", 2012, zur Rezension
[20] vgl. dazu: Marjorie Jungbloed, Hg., ‚Entangled. Annäherung an zeitgenössische Künstler aus Afrika / Approaching Contemporary African Artists, VolkswagenStiftung, Hannover 2006, 232 S.
[21] Marie-Hélène Gutberlet / Sissy Helff, Hrsg., Die Kunst der Migration. Aktuelle Positionen zum europäisch-afrikanischen Diskurs, Material - Gestaltung – Kritik, 2011, zur Rezension
[22] Harald Kleinschmidt, Migration und Integration, 2011, zur Rezension
[23] Jost M. Kramer / Robert Schediwy, Minderheiten. Ein tabubelastetes Thema, 2012, zur Rezension; vgl. dazu auch: Paul Scheffer, Die Eingewanderten. Toleranz in einer grenzenlosen Welt; 2008, zur Rezension; sowie: Leo Lucassen / Jan Lucassen, Gewinner und Verlierer. Fünf Jahrhunderte Immigration - eine nüchterne Bilanz, 2014, zur Rezension
[24] Gertraud Marinelli-König / Alexander Preising, Hrsg., Zwischenräume der Migration. Über die Entgrenzung von Kulturen und Identitäten, 2011, zur Rezension
[25] Jochen Oltmer, Globale Migration. Geschichte und Gegenwart, 2012, zur Rezension
[26] Ulrich Menzel, Die Ordnung der Welt. Imperium oder Hegemonie in der Hierarchie der Staatenwelt, 2015, zur Rezension
[27] Veronika Wittmann, Weltgesellschaft. Rekonstruktion eines wissenschaftlichen Diskurses, 2014, zur Rezension