Schreiben hilft!
Nun bin ich schon ein halbes Jahr hier, bei meinem neuen Träger und immer noch nicht richtig angekommen. Ehrlich gesagt, ich lese auch schon wieder Stellenanzeigen. Ruhelos bin ich. Dass ich bei einem großen Träger mehr Möglichkeiten habe als bei einem kleinen Träger stellt sich immer mehr als Illusion heraus. Es ist genauso mühselig und anstrengend von der Idee in die Praxis zu kommen und ich weiß nie, ob ich mit meinen neuen Ideen auch wirklich erwünscht bin. Und die Stundennachweise sind hier noch komplizierter zu führen als bei den vorigen Trägern.
Meine Kolleginnen sind nett, das waren die früheren auch, und der einzige Mann im Ambulante-Hilfe-Team ist ausgesprochen sympathisch. Da fällt mir auf, dass es wieder 1 zu 4 ist. Im vorigen Träger waren wir 2 Männer und 8 Frauen und hier sind wir 4 Frauen und 1 Mann. Die Teamleitung ist weiblich – und leider immer noch krank – dann gibt es hier noch weitere Leitungsebenen, ausnahmslos Frauen und an der Spitze – ein Mann. Aber da soll sich etwas bewegen. Es gäbe Konflikte und ein Wechsel der Geschäftsführung stehe an, wird gemunkelt.
Ob ich auch gern eine Leitungsposition haben würde, fragt Lotte. „Neee, auf gar keinen Fall. Da müsste ich ja ständig an irgendwelchen Leitungsrunden teilnehmen. Obwohl – einfach nur Teamleitung, also pädagogische Teamleitung, ja, das würde ich machen. Das kann ich mir vorstellen. Aber den ganzen Verwaltungskram, da habe ich keine Lust drauf. Und dann würde ich ja auch keine Familienarbeit mehr machen. Und darauf will ich nun wirklich nicht verzichten. Meine ideale Stelle: 15 Stunden in der aufsuchenden Hilfe, 5 Stunden offene Beratung, 5 Stunden Fachkräfteberatung. 5 Stunden Konzept- und Qualitätsentwicklung. Und mehr Gehalt. Damit ich mit 30 Wochenarbeitsstunden gut leben kann.
Das mit dem „gut leben können“ wird sowieso bald zum Problem. Das 9-€-Ticket war zumindest dafür gut, dass ich die steigenden Preise für die Lebenshaltung relativ locker verkraften konnte. Einmal kam ich auf die Idee, dass ich Strom sparen könnte, indem ich mein Diensthandy nicht mehr zu Hause, sondern im Büro aufladen könnte. Endlich hatte ich daran gedacht, Kabel und Stecker mitzunehmen, zur Teamsitzung und dann – habe ich es dort vergessen. Am nächsten Tag bin ich zum Hausbesuch bei Frau Wiesbach und stand vor verschlossener Tür, weil ich die Terminabsage nicht mitbekommen habe. Die las ich dann erst im Büro, als ich mein vergessenes Handy abholte. Ärgerlich. Nicht nur, dass ich den Weg umsonst gemacht hatte, auch der gesamte Prozess mit Frau Wiesbach ist ärgerlich. Es hat holprig angefangen und so ging es auch weiter. Ich werde den Fall in die nächste Supervision mitnehmen.
Heute habe ich wieder Sprechstunde im Familienzentrum. Drei Frauen sind angemeldet. Zwei davon kommen zum Folgetermin. Die eine hat Stress mit ihrem Vermieter. Auf einer Baustelle würde sie leben, hat sie erzählt, das Badezimmer sei seit Monaten nicht mehr benutzbar. Sie hat einen 13 jährigen Sohn, und die beiden würden sich kaum in der Wohnung aufhalten und meistens bei irgendwelchen Bekannten übernachten. Ich habe sie zum Wohnungsamt vermittelt und weiß, dass sie so gut wie keine Aussicht auf eine andere Wohnung hat. Das frustriert mich. Ich habe eine sozialpädagogische Stellungnahme geschrieben, und auf das Kindeswohl hingewiesen, angemessener Wohnraum als präventiver Kinderschutz sozusagen. Und ich habe ihr gesagt, dass sie dem Job-Center den Missstand melden soll, die zahlen ja schließlich. Die andere Frau macht gerade eine Umschulung und kam wegen ihrer Prüfungsangst. Im Gespräch erfuhr ich dann auch hier wieder von häuslicher Gewalt, Trennungsversuchen und dem Streit ums Sorgerecht. Am liebsten hätte ich sie an die Hand genommen und wäre mit ihr direkt zum Jugendamt. Ob sie es geschafft hat, alleine da hin zu gehen?
Also, wenn ich genauer hinschaue - so schlecht ist mein Job gar nicht. Und schreiben hilft. Also mir hilft es. Wenn ich das aufschreibe, blicke ich wieder durch und ich weiß, warum ich die Arbeit mache, die ich mache.
Ihre Katja Änderlich