Sich den Wirklichkeiten mit Begrifflichkeiten nähern - Ein didaktischer Versuch
Menschen brauchen, um eigene Identitäten zu entwickeln und mit anderen Menschen kommunizieren zu können, die Sprache, oder, wenn die Sprache nicht vorhanden oder abhanden gekommen ist, Gesten (wie etwa die Taubstummen die Gebärdensprache), oder wenn eine sprachliche Verständigung aufgrund eines Nichtverstehens einer Fremdsprache nicht möglich ist, eine gemeinsame sprachliche und kommunikative Ebene, die sich entweder als Lernen der Fremdsprache, als eine Verständigung über eine gemeinsam gesprochene Fremdsprache, etwa in Afrika mit den so genannten „Verkehrssprachen“, wie Haussa in Westafrika, Suaheli in Ostafrika oder in Lateinamerika mit dem Pidgin oder Kreol, oder sich auch als nonverbale Kommunikation darstellt. Erst seit wenigen Jahrzehnten gibt es ein Einverständnis darüber, dass die verschiedenen Sprachen, die auf der Welt gesprochen oder/und geschrieben werden, gleichwertig sind. Es gibt keine „primitiven“ Sprachen, wie es auch keine „höherwertigen“ gibt. Die Sprachwissenschaftler weisen darauf hin, dass bereits in der griechischen Antike vom Menschen als dem Zoon phonata, dem „sprechenden Tier“ gesprochen wurde; und in der Hirnforschung hat man längst herausgefunden, dass bestimmte Zentren im Gehirn für die Fähigkeit zu sprechen verantwortlich sind [1]. Die Entschlüsselung des „nonverbalen Reichs“ von Körpersprachen und –äußerungen, so stellen Therapeuten fest, lässt sich nicht erreichen, indem bei einer traumatischen Störung (nur) auf möglicherweise auslösende sichtbare Anzeichen geachtet wird, sondern es bedarf der Beachtung von inneren Vorgängen: „Die Rettung ist im Körper zu finden“ [2]. Wenn wir uns in diesem Zusammenhang der Kompetenz zuwenden, wie sich Sprache durch Begrifflichkeiten zusammensetzt und damit zu einem Kommunikations- und Verständigungsmittel wird, müssen wir uns zuerst dem Phänomen zuwenden, dass die sprachliche Bezeichnung eines bestimmten Gegenstandes oder einer Situation Verstehen und Verständigung ermöglicht. In der Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ erzählt der Schriftsteller Peter Bichsel eine traurige Geschichte (1995), bei der ein alter Mann sprachlos wurde, weil er die festgelegten und akzeptierten Begriffe verwechselte und den Begriffen andere Bezeichnungen gab. Und die Erzählung vom Turmbau zu Babel ist seit Jahrtausenden in der Menschheitsgeschichte Symbol für „Sprachverwirrung“ [3], jedoch auch für eine bereichernde Vielfalt der Menschheit [4]. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viel Sprachen Menschen auf der Welt sprechen, weil die Definition darüber, was Sprache ist, nicht eindeutig festgelegt werden kann und die Unterscheidungen zwischen Mehrheits- und Minderheitssprache, Muttersprache, Mundart, lingua franca... umstritten sind. Linguisten schätzen, dass es in der Welt zwischen 2.500 und 5.000 Sprachen und Mundarten gibt [5]. Die UNESCO, die Kulturorganisation der Vereinten Nationen, setzt sich dafür ein, Sprachen, insbesondere die vom Aussterben bedrohten, zu erhalten und zu erforschen. Der Versuch, sich über Begriffe einer gelingenden oder misslingenden Kommunikation zu nähern, kann im Unterricht mit einer Auseinandersetzung über ausgewählte Bezeichnungen erfolgen, hier mit dem Begriff: „Revolution“. Das aus dem lateinischen Begriff „revolutio“ stammende Wort wurde ursprünglich verwandt, um in der Astronomie die Umkehrung von gegenwärtigen Konstellationen zu beschreiben. In der Philosophie hat Immanuel Kant mit der „kopernikanischen Wende“ den aktiven Wandlungs- und Veränderungsprozess im Denken und Handeln der Menschen bezeichnet. Revolutionäres Bewusstsein soll, als „Lokomotive der Geschichte“, nach Karl Marx, das Leben der Menschen bestimmen. Historische, politische, soziale, ökonomische, künstlerische und religiöse Veränderungen durch Revolutionen werden im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch sowohl gewaltsam, als auch evolutionär durchgeführt [6]. Der Begriff findet Anwendung bei politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, etwa der „Amerikanischen Revolution“ (1776), der „Französischen Revolution“ (1789), der „Russischen Revolution“ (1905), der „Chinesischen Revolution“ (1911/12), der „Kubanischen Revolution“ (1956-59), der „Islamischen Revolution“ (1979), der „Portugiesischen Nelkenrevolution“ (1974), der Baltischen Singenden Revolution“ (1987–1991), der „friedlichen Revolution“ in der DDR (1989/90), der „Jasminrevolution“ in Tunesien (2010/11)..., bei Mentalitäts- und Einstellungsveränderungen, wie etwa bei der „sexuellen Revolution“, wie sie von Sigmund Freud eingeleitet wurde und bis heute Emanzipations- und Selbstbestimmungsforderungen bestimmen. Ein besonderes Augenmerk soll in diesem Zusammenhang auf die Herausforderungen gerichtet werden, die durch die „Revolution“ der sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden (Einen) Welt erforderlich sind. Es wird festgemacht an dem Appell, der von der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ (World Commission on Culture and Development, Paris 1995) ausging: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“ [7]. Der dabei notwendige Perspektivenwechsel betrifft dabei sowohl eine Veränderung des ökonomischen Denkens und Handelns und einer Abkehr vom „business as usual“ und dem „throuput growth“ („Durchflusswachstum“), hin zu „sustainable development“ (tragfähige Entwicklung) [8], als auch einer grundsätzlichen Umkehr, weg vom homo oeconomicus und hin zum homo empathicus [9], und einer Orientierung für Menschlichkeit in der Vielfalt der Kulturen [10]. Ob dafür eine „dritte industrielle Revolution“ notwendig ist [11], ob der „Raubtierkapitalismus“ (Peter Jüngst, 2004) gebändigt oder abgeschafft werden kann [12], ist im lokalen und globalen gesellschaftlichen Diskurs umstritten; ebenso die Einschätzung, wie eine bessere, gerechtere, friedlichere und sozialere Welt geschaffen werden kann. Immerhin: Es gibt „Aufschreie“, die es wert sind, bedacht, gehört und gemacht zu werden [13], und es liegen Modelle auf dem Tisch, die das trotzige Dennoch beim Weltsozialgipfel in Porto Alegre in Brasilien bestätigen: „Eine andere, bessere, sozialere und gerechtere Welt ist möglich!“ [14]. Die 1936 in Jamaika geborene und 2002 gestorbene lateinamerikanische Lyrikerin und politische Aktivistin June Jordan hat mit ihrem Gedicht „Aufruf an alle schweigenden Minderheiten“ einen Hoffnungsschimmer gebracht, der es lohnt, weiter gedacht und weiter gemacht zu werden: He ! / du dort / mach dich auf / wo immer du bist / wir müssen zusammenkommen / unter diesem Baum / der nicht mal / gepflanzt ist [15]. Ein echter revolutionärer Gedanke wurde auch entwickelt mit der Aufforderung: „Was mehr wird, wenn wir teilen“, den die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin und Nobelpreisträgerin von 2009, Elinor Ostrom, in den Diskurs um einen Perspektivenwechsel gebracht hat [16]. Die Erinnerung und Besinnung auf die Allmende hat die „Commons-Community“ wissenschaftlich und alltagstauglich weiterentwickelt. Die Bewegung, die man getrost als ein Denken und Handeln gegen den Strom des „Immer-Mehr-Immer-Schneller-Immer-Höher“ und als Alternative gegen den Wachstumswahn benennen kann [17] , hat mittlerweile bemerkenswerte Theorien entwickelt und in praktischen Beispielen aufgezeigt, dass es eine Politik jenseits vom Markt geben kann [18].
Gegen eingefahrene Denk- und Handlungsmuster
Die Killer für Veränderungen, ob revolutionär oder evolutionär, sind Einstellungen, wie: „Da könn‘ ja jeder kommen!“ – „Das haben wir noch nie so gemacht!“ – „Das haben wir schon immer so gemacht!“. Der Mensch ist als zôon politikon, so lernen wir es bei Aristoteles, ist ein sprach- und vernunftbegabtes Lebewesen und damit in der Lage, seinen Verstand zu gebrauchen. Die Aufforderung zum Selbstdenken ist dabei ein Schlüssel, diese Fähigkeit zur Wirkung zu bringen [19]. Weil Denken, soll es sich als ein Humanum darstellen, verbunden ist mit dem Mit- und Zusammendenken mit anderen Menschen, wirken Denkprozesse dann besonders intensiv und effektiv, wenn es gelingt, „Undenkbares“ zu denken. Die Alltagstauglichkeit dieses ungewöhnlichen und ungewohnten Aufrufs zum Denken wird besonders dann wirksam, wenn wir uns unserer vorgeprägten, erworbenen, eingeschliffenen „Selbstverständlichkeiten“ bewusst werden. Das scheinbar Undenkbare zu denken wird besonders dann an- und aufregend, wenn wir erkennen, dass wir Menschen nicht nur funktionieren und perfekte Instrumente im Mainstream sind, sondern Lebewesen mit Mängeln und Fehlern, zu denen es zu stehen gilt, wenn wir sie verändern wollen [20].
Perspektivenwechsel jetzt!
Die Appelle, Auf- und Anrufe an die Menschheit, in ihren Lebenseinstellungen und Haben-Mentalitäten den Seinsmodus (Erich Fromm) nicht zu vergessen und einen Prioritätenwandel zu vollziehen, mehren sich, angesichts der sichtbaren und spürbaren Menetekel, die sich in Armuts-, Wirtschafts-, Finanz- und Klimakatastrophen darstellen, die Stimmen, von den Bequemlichkeiten, Ohnmachtsgefühlen und Ohne-mich-Einstellungen endlich Abstand zu nehmen und mit Mut und einer „positiven Subversion“ anzufangen, wozu der ehemalige Schweizer Manager und Umweltaktivist Hans A. Pestalozzi (1929 – 2004) aufrief: Wo kämen wir hin / wenn alle sagten / wo kämen wir hin / und niemand ginge / um einmal zu schauen / wohin man käme / wenn man ginge [21]. Dies zu erproben, auch und gerade beim schulischen Lernen, zeigen immer wieder Projekte und Initiativen [22]. Sie machen Mut, nicht den holprigen Pfaden des Pessimismus und Fatalismus zu folgen, sondern die Wege mit den Hinweisschildern „Nachhaltigkeit“ und „Humanität“ zu gehen. Autor
Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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[1] David Eagleman, Inkognito. Die geheimen Eigenleben unseres Gehirns, 2012, Rezension
[2] Peter A. Levine, Sprache ohne Worte – Die Botschaften unseres Körpers verstehen, 2011, Rezension
[3] Georg Kreis, Hrsg., Babylon Europa. Zur europäischen Sprachlandschaft, 2011, Rezension
[4] „Unsere kreative Vielfalt“. Bericht der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ (1995), Deutsche UNESCO-Kommission, zweite, erweit. Ausgabe, Bonn 1997, 74 S.
[5] Anthony Burgess, Unser größter Besitz, in: UNESCO-Kurier 7/1983, S. 4ff
[6] Martin Gessmann, Philosophisches Wörterbuch, Stuttgart 2009, S. 625f
[7] Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt. Bericht der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ (Kurzfassung), 2. erweit. Ausg., Bonn 1997, S. 18
[8] Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Unsere Gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht, 1987, 421 S., hrsg., Volker Hauff
[9] Jeremy Rifkin, Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein, 2010, Rezension
[10] Jörn Rüsen / Henner Laass, Hrsg., Interkultureller Humanismus, 2009, Rezension
[11] Jeremy Rifkin, Die dritte industrielle Revolution. Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter, 2011, Rezension
[12] Saral Sarkar, Hrsg., Die Krisen des Kapitalismus. Eine andere Studie der politischen Ökonomie, 2010, Rezension
[13] John Holloway, Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, 2002, Rezension
[14] Peter M. Senge u.a., Die notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen, 2011, Rezension
[15] Petra C. Gruber, Hrsg., Nachhaltige Entwicklung und Global Governance. Verantwortung – Macht – Politik, 2008, Rezension
[16] Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter, 2011, Rezension
[17] vgl. dazu auch: Petra Pinzler, Immer mehr ist nicht genug! Vom Wachstumswahn zum Bruttosozialglück, 2011, Rezension
[18] Silke Helfrich / Heinrich-Böll-Stiftung, Hrsg., Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, 2012, Rezension
[19] Karl Heinz Bohrer, Selbstdenker und Systemdenker. Über agonales Denken, 2011, Rezension
[20] Jürgen Stock, Das wäre doch gedacht! Wie wir uns aus der Falle eingefahrener Denkmuster befreien, 2011, Rezension
[21] Hans A. Pestalozzi, Nach uns die Zukunft. Von der positiven Subversion, Bern 1979
[22] Christa Maria Bauermeister, Sehnsucht nach Wahrheit. Schüler befragen ihre Region und begreifen die Welt, 2012, Rezension