Blatt in herbstfarben
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Umtriebig

„Du bist ja wieder mal ganz schön umtriebig“, schreibt Helene und ich weiß nicht, ob mir diese Zuschreibung gefällt.

Also recherchiere ich erst einmal, was andere so über die Bedeutung des Begriffs gesagt haben und ich finde: „aktiv, lebendig, rege, wach“. Das gefällt mir. Ich finde aber auch: „Getriebensein, Umtriebigkeit als krankhafte Ruhelosigkeit und psychomotorische Unruhe im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung“. Das gefällt mir weniger. Und nun komme ich erst recht ins Nachdenken und mache weiter mit der Selbsterforschung. „Wenn‘s triggert ist es Wachstumsschmerz“ fällt mir ein. Diesen Satz habe ich aus einem Biografie-Seminar mitgenommen. Wachstum meint hier natürlich die Persönlichkeitsentwicklung. Die zwickt manchmal und dann kommt die Erleichterung, wie bei einer Massage, wenn sich die verspannte Muskulatur löst.

Dieses „umtriebig“ hatte für mich spontan einen komischen, einen eher negativen Beigeschmack, und ich überlege, ob ich durch meine persönliche Definition diesen Beigeschmack ändern kann. Wie ist das, wenn ich sage: „Ja, ich bin umtriebig, rege, lebendig, wach und aktiv“? Das fühlt sich gut an. Ich schreibe es auf. Ich spreche es aus, und – könnte es zu meiner neuen Affirmation machen.
Zu meiner großen Freude entdecke ich auch noch einen Beitrag zu den Gegenpolen: Ruhe, Gelassenheit, Gemütlichkeit, und ich finde, dass beide Seiten zu mir gehören. Ich kann umtriebig sein, und weil ich auch ruhig und gelassen sein kann, komme ich immer wieder in Balance. So bin ich geschützt vor dieser krankhaften Ruhelosigkeit, die ja außerdem ziellos sein soll, und meine Umtriebigkeit ist ja schon ziemlich zielgerichtet. Manchmal bade ich in Langeweile, dann bin ich nicht zielgerichtet und lasse die Dinge auf mich zukommen. Bei den Gegenpolen finde ich auch Gottvertrauen. Das gehört eher nicht zu mir, denn an Gott glaube ich nicht, aber in mir hat sich tatsächlich so etwas wie ein tiefes Vertrauen entwickelt, meinem Bauchgefühl kann ich vertrauen und ich folge einem inneren Kompass.
Wahrscheinlich habe ich in der letzten Zeit zu viel Biografiearbeit gemacht, denn ständig kommen, wenn ich vor neuen Aufgaben stehe, alte Erinnerungen hoch, die sich dann mit zukunftsgerichteten Ideen verknüpfen. Ich habe mich zu einer Veranstaltung über systemische Familienhilfe angemeldet, da geht es auch um Konstruktivismus. Ich fand, dass die Theorien immer sehr kompliziert sind, und nun kommt mir diese Pippi Langstrumpf in den Sinn, mit ihrem: „ich mach mir die Welt, widewidewie sie mir gefällt“. Das ist es doch, was man Konstruktion der Wirklichkeit nennt, genauso wie meine Entscheidung woran ich glauben möchte und wie ich mich selbst beschreibe. Pippi Langstrumpf, eine der vielen unbeachteten Systemikerinnen, die noch entdeckt werden wollen? Schade, dass ich Astrid Lindgren nicht mehr befragen kann. Aber ich könnte ein Märchen schreiben, eine Geschichte erfinden: „Begegnung mit Astrid“. Ja, ich bin umtriebig. In Gedanken und auch im realen Leben.
Ich antworte: „Liebe Helene, ich freue mich über deinen anregenden Kommentar. Ich freue mich auch, dass du dich mit deiner neuen Arbeit so wohl fühlst. Du hast mich neugierig gemacht. Und - Ja, ich bin umtriebig. Ganz besonders, wenn ich unzufrieden bin und da ich gerade sehr unzufrieden mit meinem Arbeitgeber bin, werde ich mich gleich an die Bewerbung setzen. Und wenn wir dann Kolleginnen werden, kann ich mich gleich nochmal freuen. Liebe Grüße von Katja.“

Ihre Katja Änderlich