Und wirst du beatmet, so kommst du ins Heim
Die Pläne des Gesundheitsministeriums zur Reform der Intensivpflege werden heftig kritisiert. Dass laut Referentenentwurf Beatmungspatient*innen künftig nur noch in Ausnahmefällen zu Hause gepflegt werden dürfen, ist aus Sicht von Selbsverteter*innen und Sozialverbänden ein Skandal. Und: Was hat das eigentlich noch mit Inklusion zu tun?
Der Reformvorschlag des Bundesgesundheitsministers zur Intensivpflege sorgt für erhebliche Proteste. Aus Sicht der Bundesregierung sind Qualität und Kosten intensiver ambulanter Pflegemaßnahmen kaum überprüfbar. Vor allem die Tatsache, dass viele Patient*innen aufgrund ihres gesundheitlichen Zustands gar nicht nachvollziehen könnten, welche Leistungen tatsächlich erbracht worden sind, eröffne laut Minister Spahn Missbrauchs- und Betrugsmöglichkeiten. Tatsächlich werden von den Pflegekassen die Kosten für die ambulante Intensivpflege voll übernommen, während bei stationären Versorgungsformen ein Eigenanteil fällig wird.
Leben zu Hause wird zum Ausnahmefall
Spahn wendet in der Öffentlichkeit, zuletzt im ARD-Morgenmagazin, immer wieder ein, dass es bei seinem Vorschlag speziell um Menschen gehe, die intensivster Pflege bedürfen, z.B. Wachkoma-Patient*innen. Dies jedoch geht laut "Ability Watch" nicht aus der Formulierung des Referentenentwurfs hervor. Und in der Tat: Die aktuelle Fassung sieht vor, dass Patient*innen in der Regel stationär gepflegt werden sollen und nur in begründeten Ausnahmefällen zu Hause. Dies hätte zur Folge, dass die ohnehin belasteten Patient*innen und ihre Angehörigen zu einem weiteren bürokratischen Akt genötigt würden, um ihr Selbsbestimmungsrecht durchzusetzen. Bereits vergangene Woche hatte sich auch die Beatmungspatientin Anne Gersdorff mit einer eindrucksvollen Kolumne zu Wort gemeldet und mit Blick auf ihren eigenen Lebensentwurf das Gesetzesvorhaben scharf kritisiert.
Bentele spricht von Menschenrechtsverletzung
Auch der Deutsche Behindertenrat reagiert heftig: „Wir haben lange dafür gekämpft, dass Menschen mit Behinderungen auch mit einem hohen Pflege- und Unterstützungsbedarf mit Assistent*innen selbstbestimmt in der eigenen Wohnung leben können,“ betont Horst Frehe, aktueller DBR-Sprecherratsvorsitzender, in einer Stellungnahme. VdK-Präsidentin Verena Bentele zeigt sich nicht minder entsetzt: „Die Regelungen, die im vorliegenden Entwurf formuliert wurden, bedeuten das Ende des selbstbestimmten Lebens vieler behinderter Menschen und eine massive Verletzung ihrer elementaren Menschenrechte.“
Dass die Zustände in der Intensivpflege nicht gut seien, bestätigt auch der DBR in seiner Stellungnahme. Allerdings fordert er inhaltliche Verbesserungen statt des radikalen Schritts eines Pflichtumzugs. So solle eine qualitätsgesicherte und wirtschaftliche Versorgung nach aktuellem medizinischem und pflegerischen Standard gewährleistet sowie Fehlanreize und Missbrauchsmöglichkeiten beseitigt werden. Dort wo es möglich sei, sollten auch Entwöhnungsversuche erfolgen, denn nicht immer sei eine 24-Stunden-Beatmung medizinisch zwingend erforderlich.
Was hat das mit Inklusion zu tun?
Vor dem Hintergrund, dass im Sozialwesen der Trend schon länger in Richtung dezentraler Versorgung geht, was nicht zuletzt dem Wunsch der Mehrheit der Bürger*innen entspricht, verwundert der radikale Schritt des Gesundheitsministeriums doch sehr. Mehr als nur verwundert ist auch Hannelore Loskill, Vorsitzende der BAG Selbsthilfe und Mitglied des DBR-Sprecher*innenrats. Sie bringt es auf den Punt: „Lippenbekenntnisse zu Inklusion und Selbstbestimmung der Bundesregierung einerseits und ihre Gesetzesvorhaben andererseits stehen in einem krassen Widerspruch.“
Sebastian Hempel