Unterstützen bei der Suche nach eigenen Lösungen
Fachtag der Diakonie Stetten zum Thema „Selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung“
Der Holländer Willem Kleine Schaars hat ein Modell entwickelt – nach seinen Initialen WKS genannt – das die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung in den Mittelpunkt stellt. Die Diakonie Stetten praktiziert es bereits in einigen ihrer Einrichtungen und ist zudem Schulungsstandort für WKS im süddeutschen Sprachraum. Beim Fachtag in der Schwabenlandhalle holten sich rund 185 Interessierte aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz Impulse für ihre Arbeit. Was will ich, was will der andere – und was will ich, das er wollen soll? Wie kann ich als Experte in der Behindertenhilfe jemanden in seiner Lebensführung unterstützen, ohne ihm unbewusst meine Ideale und meine eigenen Lösungen aufzudrängen? Diese Fragen treiben den Holländer Willem Kleine Schaars um. Selbstbestimmung ist das Ziel, WKS die Methode – ein Werkzeug, mit dem die Mitarbeitenden von Einrichtungen an ihrer eigenen Haltung arbeiten können. Immer eine dritte Perspektive Grundlage dafür ist ein „Dreiecksverhältnis“: Beim WKS-Modell werden jedem Mensch mit Behinderung zwei Personen mit unterschiedlicher Funktion zur Seite gestellt. Der Alltagsbegleiter kümmert sich um die alltäglichen Dinge und sucht mit dem oder der Betroffenen nach Lösungen. Der Prozessbegleiter steht für Gespräche zur Verfügung, pflegt regelmäßigen Kontakt und beobachtet, ohne selbst Lösungen anzubieten. Damit ist immer eine dritte Perspektive gegeben, die den Prozess hinterfragt. Ein weiteres Instrument zur Reflexion sind Videos, die in verschiedenen Situationen gedreht und später angeschaut werden. WKS kann selbst mit Menschen funktionieren, die nur sehr eingeschränkt zur Kommunikation fähig sind. Sonja Frech, die mit ihrem Team im Wohnhaus der Diakonie Stetten in Stuttgart-Bergheim schon seit Jahren die Methode anwendet, schilderte ein Beispiel: Eine Bewohnerin, die nicht sprechen kann, begann immer wieder ohne erkennbaren Grund in der Straßenbahn zu schreien. Das Team holte den Prozessbegleiter dazu, der nur aus dem Hintergrund beobachtete und nach einigen Fahrten vermutete, dass das Quietschen der Bahn auf den Schienen die Betroffene quälte. „Jetzt bekommt sie immer einen MP3-Player auf“, berichtete Frech von der in diesem Fall einfachen Lösung. Die Bewohnerinnen und Bewohner finden viele Lösungen selbst Zu WKS gehört auch, die Bewohnerinnen und Bewohner all das selbst tun zu lassen, was sie können und sich als Mitarbeitender zurückzunehmen. Das fällt nicht leicht, denn wer in einer sozialen Einrichtung arbeitet, übernimmt automatisch lenkende, manchmal dienende, manchmal erziehende Funktion. Aber viele Mitarbeitende empfänden die Arbeit mit WKS als erfüllender und die Bewohner, an denen man ganz neue Seiten entdecke, als zufriedener. Auch den zusätzlichen Zeitaufwand für die Besprechungen und den ständigen Austausch relativierte Sonja Frech. „Die Zeit verlagert sich nur, die Aufgaben verändern sich“, sagte sie. Außer Zweifel bleibt trotzdem: WKS muss trainiert und stetig weiterentwickelt werden. Eltern wünschen breite Information Die Vorträge und Workshops des Fachtags drehten sich um verschiedene Aspekte wie das Arbeiten mit WKS in Wohngruppen und im ambulanten Bereich oder die Rolle von Führungskräften. Auch Elternvertreter nahmen am Fachtag teil. „Wir haben jetzt eine erste Basisinformation vom WKS-Modell bekommen“, stellte Gerhard Pfeiffer fest. Es sei wichtig, breit zu informieren – nicht nur diejenigen, die direkt mit WKS zu tun haben. „Auch die Bewohner tauschen sich ja aus. Man sollte auch die, die davon betroffen sein könnten, einbeziehen“, meinte Michael Buß. Ähnlich urteilte Martina Reichl, die eine Einrichtung der Diakonie Österreich leitet und bereits nach WKS arbeitet. „Die Bewohner finden sowieso ganz viele Lösungen für sich, aber ich habe gemerkt, dass man etwas dafür tun muss, damit das Team Lösungen findet.“ Ihr Kollege Rainer Zeidler, Leiter eines anderen Hauses, hatte am Workshop für Führungskräfte teilgenommen: „Das war für mich total hilfreich, weil ich meine Rolle jetzt weiß – ich weiß, wo ich stehen soll.“ Konkrete Arbeitsinstrumente mit WKS Rainer Hinzen, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Stetten, betonte, dass der Prozess dort begonnen werde, wo die Teams sich selbst dafür entscheiden. Sehr positiv bewertete er, dass durch die regelmäßigen Einzelgespräche und die Videoaufzeichnungen konkrete Arbeitsformen vorgegeben sind. Zudem führe die klare Rollenaufteilung zu einer Beschleunigung von Prozessen. Es gehe nicht um schnelle Lösungen, sondern um einen Prozess, „um das Miteinander in Bewegung zu bringen“, meinte Klaus Limberg, der als WKS-Trainer die Diakonie Stetten begleitet. Wer den Willen der Bewohnerinnen und Bewohner ernst nehme, müsse auch mit Dingen leben, die nicht seiner eigenen Vision entsprechen, stellte Willem Kleine Schaars im abschließenden Podiumsgespräch klar. So werde selbständiges Wohnen in der heutigen Zeit immer als sehr positiv eingestuft, sei aber von den Bewohnern nicht unbedingt die bevorzugte Wohnform: „Alleine wohnen – viele Bewohner finden das nicht schön“. Über die Diakonie Stetten e.V. Die Diakonie Stetten wurde 1849 gegründet und gehört zu den großen Trägern sozialer Dienstleistungen. An rund 100 Standorten, überwiegend im Großraum Stuttgart, unterhält sie ein breit gefächertes Angebot an Wohn-, Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie therapeutischen und medizinischen Hilfen. Ihr Auftrag gründet in der biblischen Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen, wie sie Jesus Christus verkündet und gelebt hat. Über 7.700 Menschen mit Behinderungen, arbeitslose Frauen und Männer, Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie Kinder, Jugendliche und Senioren erfahren durch die Diakonie Stetten Förderung und fachliche Begleitung.Quelle: Pressemitteilung der Diakonie Stetten e.V. vom 22.11.2013