Steigende politisch motivierte Kriminalität: Neue Handlungsempfehlungen gegen Radikalisierungsprozesse
Politisch motivierte Straf- und Gewalttaten, darunter vor allem rechtsextremistische nehmen im Jahr 2020 laut der Statistik des Bundesinnenmisnisteriums deutlich zu. In einem Forschungsgutachten des Landesprogramms für Demokratie und Menschenrechte werden verschiedene Forschungsarbeiten ausgewertet und umfassende Präventionsempfehlungen gegen Radikalisierungsprozesse empfohlen.
„Im Jahr 2020 haben die Fallzahlen der Politisch motivierten Kriminalität einen neuen Höchststand erreicht. In der Statistik spiegelt sich das Ausmaß der gesellschaftlichen Spannungen und die zunehmende Radikalisierung von Teilen der Bevölkerung wider. Auch für das Jahr 2021 ist keine Entspannung zu erwarten. Insbesondere in den Bereichen der Politisch motivierten Kriminalität -rechts- und der Bekämpfung der Hasskriminalität bauen wir deshalb unsere Maßnahmen und Kapazitäten aus. Der zeitnahe Beginn einer intensiven Pilotphase der Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) ist ein wichtiger Baustein. Wir werden aber die anderen Phänomenbereiche nicht aus dem Blick verlieren.“ so Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes.
Im Angesicht der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität 2020 wird deutlich, dass zunehmender Rechtsextremismus mit etwa 53 Prozent der gesamten politisch motivierten Kriminalität die größte Bedrohung für die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Nach dem Mord an Dr. Walter Lübcke, dem Anschlag auf die Synagoge in Halle und dem Anschlag in Hanau ist die Zahl rechtsextremistischer Straftaten seit Beginn der Erfassung 2001 auf dem Höchststand. Darunter haben auch antisemitische Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 15 Prozent zugenommen, fast ausschließlich im Zusammenhang rechtsextremistischer Ideologien.
Aber auch abseits des zunehmenden Rechtsextremismus sehe Bundesinnenminister Seehofer eine ganz klare Verrohungstendenz. Die Zahl linksextremistisch motivierter Gewalttaten gegen Polizeikräfte hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. „Der gewaltbereite Linksextremismus ist nach wie vor eine ernst zu nehmende Bedrohung für unsere freiheitliche Demokratie“, betont der Bundesinnenminister.
Unter dem Stichwort Corona wurden darüber hinaus politisch motivierte Straftaten erfasst, die gerade aus dem hohen Eskalationspotenzial der gegen die Corona-Maßnahmen gerichteten, oft teilnehmer:innenstarken Veranstaltungen im Kontext der Querdenken-Bewegung entstanden. Die Angriffe richteten sich hierbei vorwiegend gegen Polizist:innen und Vertreter:innen der Presse. Fast die Hälfte der Angriffe auf Journalist:innen vergangenes Jahr stand im Zusammenhang mit Corona.
Bei Hasskriminalität im Netz sei das im März 2021 verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität ein wichtiger Schritt gewesen. Dadurch seien Provider und soziale Netzwerke gezwungen, strafbare Handlungen, gelöschte Beiträge und IP-Adressen an das Bundeskriminalamt zu melden.
Was man gegen Radikalisierung tun kann
Derweil liefert das niedersächsische Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte neue Handlungsempfehlungen zur Prävention von Radikalisierungsprozessen. In einem über vier Jahre entwickelten Forschungsgutachten, in dem hunderte Forschuchungsarbeiten ausgewertet wurden fasst Entwicklungspsychologe Prof. Dr. Andreas Beelmann mit seinem Team die verschiedene Faktorenzusammen, die begünstigen, dass Menschen sich radikalisieren oder dem Extremismus zuwenden.
„Diese Forschungsarbeit ist eine wichtige Grundlage für unsere zukünftige Extremismusprävention in Niedersachsen“, erklärte Justizministerin Barbara Havliza. „Wenn wir Extremismus nachhaltig bekämpfen wollen, brauchen wir fundierte Erkenntnisse über Radikalisierungsprozesse. Das Gutachten zeigt uns, dass Menschen nicht über Nacht zu Extremisten werden. Radikalisierung ist vielmehr das Ergebnis eines längeren sozialen Entwicklungsprozesses, den wir mit vereinten gesellschaftlichen Kräften beeinflussen können.“
Beelmann fasst die problematischen Entwicklungen auf vier Kernbereiche zusammen: auf frühe Ausprägung von stabilen Vorurteilen, Störungen bei der Entwicklung der Identität im Jugendalter, Hinwendung zu extremistischen Ideologien und erhöhte Gewaltbereitschaft.
An diesen Risiken müssten Präventionsmaßnahmen ansetzen, so Beelmann. Er empfiehlt schon im frühen Kindesalter gezielt Toleranz zu üben und Anderssein zu akzeptieren, bei Jugendlichen Selbstwert und Anerkennung zu fördern. Darüber hinaus sollten durch Stärkung der Medienkompetenz, bessere politische Bildung und demokratische Beteiligungsformen die Widerstandsfähigkeit gegen Ideologien gestärkt werden. Das Gutanchten sowie die Empfehlungen sind auf den Seiten des Landespräventionsrats Niedersachsen zum Download verfügbar.
Quelle: Pressemitteilung des Nds. Justizministerium vom 04.05.2021 Pressemitteilung des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat vom 04.05.2021