Was wir meinen, wenn wir 'Inklusion' sagen
Wenn wir Inklusion sagen, meinen wir bisweilen sehr unterschiedliche Dinge: Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention, Anerkennung von Heterogenität und Vielfalt im Allgemeinen oder einfach nur in ein soziales System einbezogen zu sein. Eine gemeinsame Fachtagung des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft sowie der Fürst Donnersmarck-Stiftung versuchte zu klären, was wir meinen, wenn wir 'Inklusion' sagen.
Als vor zehn Jahren Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ratifizierte, dominierte ein Begriff die öffentlichen sowie wissenschaftlichen Diskussionen über das neue Gesetzeswerk: Inklusion war das Wort der Stunde und avancierte schnell zu einem Synonym für die gesamte UN-BRK. Doch auch nach zehn Jahren ist die Verwendung dieses so zentralen Begriffs nicht endgültig geklärt. Die gemeinsam vom Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft und der Fürst Donnersmarck-Stiftung veranstaltete Fachtagung „Was wir meinen, wenn wir INKLUSION sagen“ versuchte am 7. November, einige Schneisen in den Begriffsdschungel zu schlagen
60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen am 7. November in der Villa Donnersmarck zusammen, um gemeinsam über die Definition des Begriffes Inklusion zu diskutieren. Unter ihnen befanden sich Praktikerinnen und Praktiker, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Menschen mit Behinderung, die als Expertinnen und Experten in eigener Sache ihr Verständnis vom Begriff Inklusion in die Diskussion einbrachten. Das Ergebnis war eine lebhafte Tagung, die den Beteiligten neue Impulse für ihren Alltag brachte.
Inklusion und Demokratie „zwei Seiten derselben Medaille“
Die verschiedenen Beiträge zeigten deutlich, dass sehr unterschiedliche Verwendungsweisen des Inklusionsbegriffes nebeneinander existieren. Die konkrete Verwendung hängt dann davon ab, in welchem sozialen Kontext er genutzt wird. So betonte Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, in seinem Grußwort „Demokratie braucht Inklusion“ vor allem die politische Dimension des Inklusionsbegriffs. Gelingende Inklusion, so Dusel, ist ein Gradmesser für ein funktionierendes demokratisches System. Inklusion und Demokratie seien „zwei Seiten derselbe Medaille“.
In diesem Sinne machten sich auch die auf der Fachtagung vertretenen Praktikerinnen und Praktiker (Eileen Moritz, Fidi Baum) für einen eher pragmatischen, jedoch handlungsleitenden Inklusionsbegriff stark, der sich vor allem als Vision und Zielformulierung eignet. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn Maßnahmen zur Umsetzung der UN-BRK mit anderen Interessenvertretern ausgehandelt oder an eine breite Öffentlichkeit vermittelt werden müssen. Dann ist ein offener Inklusionsbegriff, der bisweilen auch mit einer generellen Offenheit der Gesellschaft für menschliche Vielfalt gleichgesetzt wird, eher anschlussfähig an andere gesellschaftliche Diskussionen.
Dagegen nahmen insbesondere die auf der Fachtagung vertretenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Prof. Markus Dederich, Dr. Franziska Felder und Prof. Birgit Behrisch) eine distanzierte Perspektive auf den Begriff ein. Sie verwiesen auf seine schwierige Operationalisierbarkeit und hoben seine theoretische Unschärfe hervor, die letztlich die Nützlichkeit des Inklusionsbegriffs im Kontext der UN-BRK grundsätzlich in Frage stelle. Besonders pointiert formulierte dies Prof. Markus Dederich, der am Ende seines bemerkenswerten Vortrages fragte, ob „Inklusion tatsächlich die einzig legitime Antwort auf die Forderung nach Nicht-Ausschluss ist.“
Die Schwierigkeiten, in der Praxis ein gemeinsames Verständnis von Inklusion zu finden, demonstrierte Dr. Katrin Grüber am Beispiel der Umsetzung des Aktionsplans der Landeshauptstadt München. Je nach Kontext entwickelten die Akteurinnen und Akteure unterschiedliche Definitionen von Inklusion, so dass alle Bemühungen um eine Vereinheitlichung scheiterten. Gleichwohl habe die Landeshauptstadt München mit der Auswahl des Mottos „München wird inklusiv“ eine kluge Entscheidung getroffen, da dies wesentlich attraktiver sei als „München setzt die UN-BRK um“.
Hat der Inklusionsbegriff einen „utopischen Überschuss“?
Es war eine spannende und intensive Tagung, doch am Ende waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig: Die Verwendung des Begriffes Inklusion wird weiterhin vielschichtig und widersprüchlich bleiben. Dies muss jedoch kein Makel sein. Der Inklusionsbegriff hat, wie Prof. Hans-Walter Schmuhl in seinem Grußwort passend formulierte, einen „utopischen Überschuss“ und zielt auf einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft. Er ist ein „politischer Begriff“ (Markus Dederich) oder ein „dicker moralischer Begriff“ (Franziska Felder).
Dies führt zu unterschiedlichen Verwendungsweisen und verschiedenen Sprachebenen – zu einer beschreibenden, einer normativen oder auch einer theoretisch-reflektierten Sprachnutzung (Katrin Grüber). Gleichzeitig ist der Begriff inzwischen so stark verbreitet, dass man kaum mehr über die UN-BRK reden kann, ohne Inklusion zu sagen. Da es jedoch nicht zu einer allgemeingültigen Definition des Inklusionsbegriffes kommen kann, regte Hans-Walter Schmuhl in seinem Fazit einen permanenten Reflexionsprozess auf zwei Ebenen an: Auf der praktischen Ebene gelte es, kontinuierlich danach zu fragen, wie Inklusion Schritt für Schritt konkret umgesetzt werden könne. Dieser Prozess müsse jedoch auf der theoretischen Ebene begleitet werden, auf der die Begriffsverwendung kritisch reflektiert werde.
Auch wenn am Ende der Fachtagung nicht die abschließende Definition des Begriffes „Inklusion“ stand, war es für alle Beteiligten doch ein großer Gewinn, sich kritisch darüber auszutauschen – und auf diese Weise vielleicht doch eine kleine Schneise in den Begriffsdschungel geschlagen zu haben.