Wem nützt der Diskurs über eine Rationierung und Priorisierung von Gesundheitsleistungen?
Anmerkungen zur Stellungnahme des Deutschen Ethikrates: "Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – zur normativen Funktion ihrer Bewertung"
Im Januar 2011 hat der Deutsche Ethikrat, ein von der Bundesregierung eingesetztes Beratungsgremium aus Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen und Vertretern gesellschaftlicher Gruppen eine Stellungnahme zu "Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – zur normativen Funktion ihrer Bewertung" abgegeben. Diese (einschließlich Sondervotum) 133 Seiten umfassende Stellungnahme soll hier weder vollständig referiert noch rezensiert werden. Die Ausführungen beschränken sich vielmehr auf den von diesem Gremium geforderten „offenen gesellschaftlichen Diskurs“ über Rationierung und Priorisierung gesundheitlicher Leistungen. Hierzu werden zwei Punkte analysiert:- die der Stellungnahme zu Grunde liegenden Annahmen über die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen und
- die Gefahren für Menschen mit Behinderungen, die von einer Diskussion über Rationierung und Priorisierung von Gesundheitsleistungen ausgehen.
Daran anschließend werden - Alternativen zu Rationierung und Priorisierung dargestellt.
1. Kostenentwicklung im Gesundheitswesen
In den einleitenden Kapiteln begründet der Ethikrat die Notwendigkeit einer Diskussion über Einschränkungen medizinischer Leistungen mit der von „zahlreichen Experten" vertretenen These, „es sei auf die Dauer schlechterdings unausweichlich, in einer solidarisch finanzierten Gesundheitsversorgung Abstriche an dem vorzunehmen, was Patienten an notwendiger Versorgung angeboten werden kann" (S. 16) [1]. Ursachen seien der "demographisch-epidemiologische Wandel in modernen Gesellschaften" und die „Kostendynamik des medizinisch-technischen Fortschritts“ (S. 16). Aus Hochrechnungen lasse sich ableiten, „dass bei anhaltender demographischer Entwicklung [.. ] die Krankenversicherung der Bevölkerung auf gegenwärtigem Niveau im Jahr 2050 zu einer Erhöhung des Beitragssatzes in der GKV [2] bis 43 % der sozialversicherungspflichtigen Bruttoeinkommens führen würde" (S. 16 f.). Eine „Verbreiterung der Finanzierungsbasis" der GKV durch Einbeziehung weiterer Einkommen in die Beitragserhebung wird zwar ebenso für möglich gehalten wie die stärkere Nutzung von Einsparpotenzialen. Dies könne jedoch nur vorübergehend zu wirksamen Lösungen führen und vielleicht den Zeitpunkt hinausschieben, „zu dem die ‚schmerzhaften‘ Verteilungsentscheidungen erfolgen müssen; sie würden diese aber nicht auf Dauer verhindern“ (S. 18). Als mögliche Maßnahmen zur Kostenbeschränkung werden im Folgenden unter anderem „Rationierung" und „Priorisierung" diskutiert. Unter „Rationierung" werde im englischen Sprachraum seit den 1980er Jahren ohne negative Untertöne diskutiert, wenn es um „Zuteilungsregeln für knappe Ressourcen" gehe. Im Gegensatz dazu werde In Deutschland darunter das negativ empfundene Vorenthalten medizinischer Leistungen" (S. 21) verstanden. Unter „Priorisierung" wird die „systematisch begründete Bildung von Ranglisten – in der Krankenversorgung die Bildung von Ranglisten medizinischer Interventionen" (S. 22 f.) verstanden. Dabei wird nach horizontaler und vertikaler Priorisierung unterschieden. Vertikale Priorisierung bezeichnet die Rangfolge von Interventionen bei einer bestimmten Erkrankung nach Kriterien der medizinischen Nützlichkeit. Problematischer ist die horizontale Priorisierung über unterschiedliche Krankheitsgruppen und Versorgungsziele hinweg (z. B. Bereitstellung von mehr Mitteln für die Versorgung von Herzkranken als von Tumorpatienten). Sofern mit Rationierung und Priorisierung das Ziel verfolgt, Leistungsbegrenzungen zu begründen, werden diese Begriffe weitgehend synonym verwendet. Mit seiner Stellungnahme möchte der Ethikrat eine „unbequeme Thematik offen diskutieren" (S. 9), die von der Politik häufig gemieden werde. Die vom Ethikrat als „unausweichlich" bezeichnete Einschränkung medizinisch notwendiger Leistungen wird von namhaften Experten bestritten und zum Teil ins Reich der Mythologie verwiesen. Zwei neuere Publikationen führen dies sogar im Titel: "Mythen zur Gesundheitspolitik: auch gebildete Bürger irren" von Bernhard Braun und Gerd Marstedt [3] und "Mythen der Gesundheitspolitik" von Hartmut Reiners [4]. Mythen sind nach Braun und Marstedt nicht einfach simple Fälschungen, „sondern inhaltlich einseitige Aussagen, welche gravierende praktische Folgen haben" (2010, 2). Beide Publikationen weisen nach, dass diese Einseitigkeit zum „Mythos Kostenexplosion im Gesundheitswesen" geführt habe. Zwischen 2002 und 2008 hat sich der Anteil der Ausgaben der GKV am Bruttoinlandsprodukt zwischen 6,3 und 6,8% bewegt. Im Jahre 2009 ist er zwar vorübergehend auf 7,1 % gestiegen, dies war jedoch auf ein Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes wegen der Wirtschaftskrise zurückzuführen, nicht auf einen realen Anstieg der Gesundheitskosten. Ebenso verhält es sich mit den Gesamtausgaben für Gesundheit (GKV plus private Aufwendungen), die zwischen 10,3 und 10,5 % im o. g. Zeitraum geschwankt haben (Braun & Marstedt, 2010,2). Zum Mythos „demographische Entwicklung“ stellen die beiden Autoren fest: „So gibt es international wie national hoch evidente Hinweise, dass der Anteil der gesunden Jahre bei älter werdenden Menschen zunimmt, steigende Kosten im Alter nichts mit den Lebensjahren, sondern mit der häufigeren Nähe zum Tode zu tun haben. Ganz im Gegenteil sogar, das individuelle Risiko einer Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sinkt seit Jahren und die Versorgung älterer Menschen kostet in vielen Staaten ohne für sie erkennbare Nachteile weniger" (2010,3). Auch wenn in Deutschland davon möglicherweise abweichend die Kosten tatsächlich steigen werden, müssen die Beitragssätze der GKV nicht auf die astronomische Höhe von 43% klettern. Die Schätzungen schwanken vielmehr zwischen 17 und 43 % (Reiners, 2011,63) [5]. Ins Reich der Mythologie gehört auch, dass der medizinisch technische Fortschritt unbezahlbar werde. So sind Kostensteigerungen für Medikamente häufig auf „Scheininnovationen" (geringfügig veränderte alte Medikamente ohne Zusatznutzen, die aber wegen neuer Patente teurer verkauft werden) zurückzuführen. Der Anteil der Innovationen im Jahre 2008, die einen tatsächlichen Nutzen erbringen, schwankt je nach Bewertungsschärfe zwischen 34 und 43 % (Braun & Marstedt, 2010,3). Unerfindlich bleibt ebenso, warum der Ethikrat auch von einer Verbesserung auf der Einnahmenseite keine dauerhaften Effekte erwartet. Hier ist vorab festzuhalten, dass wegen des starken Rückgangs der Kinderzahlen auch eine Erhöhung der Versicherungsbeiträge oder Steuern für eine angemessene Gesundheitsversorgung nicht zu höheren Belastungen für die Beitragszahler führen muss, weil auf der anderen Seite Kosten für Kinder und Jugendliche entfallen. Unabhängig davon könnte die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung, durch die die bisherige Spaltung in GKV und PKV [6] aufgehoben würde, zu einer ganz erheblichen Verbesserung auf der Einnahmenseite führen. Wenn Besserverdienende und Beamte in die GKV einbezogen werden und die Beitragsbemessungsgrenze an- oder aufgehoben wird, kann der Beitragssatz sogar erheblich abgesenkt werden. Ein im Auftrage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten beziffert den prozentualen Effekt einer Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf -2,9 %, eine Einbeziehung weiterer Einkommen (Kapitaleinkünfte, Vermietungen, etc.) auf -1,8 % (Reiners, 2011,159). Wenn nur ein Teil dieser möglichen Absenkungen für höhere Ausgaben verwendet würde, könnten damit mögliche Kostensteigerungen in den nächsten Jahrzehnten aufgefangen werden. Im Übrigen ist die „Knappheit" in den Krankenkassen auch darauf zurückzuführen, dass Produktivitätsfortschritte in den letzten 25 Jahren einseitig als Gewinne auf der Kapitalseite verbucht wurden und zusätzlich hohe Arbeitslosigkeit und Anstieg des Niedriglohnsektors die Beiträge gemindert haben. Eine Umkehr dieser Entwicklungen würde auch bei gleich bleibenden Prozentsätzen die absolute Höhe der Beiträge erheblich ansteigen lassen.2. Die Gefahren eines Diskurses über Rationierung und Priorisierung für Menschen mit Behinderungen
In der internationalen Diskussion über Rationierung und Priorisierung spielen Überlegungen der „utilitaristischen Ethik" [7] eine erhebliche Rolle. Dies gilt insbesondere für das in Großbritannien entwickelte Konzept der "QALY“s (Quality Adjusted Life Years, qualitätskorrigierte Lebensjahre). Ein QALY ist das Produkt aus Lebenserwartung und Qualität der verbleibenden Lebensjahre. Es kann zwischen 1 (perfekte Gesundheit) und 0 (Tod) variieren. Wenn der so gemessene Nutzen zu gering ist, kann eine Behandlung abgelehnt werden. Es liegt auf der Hand, dass dieses Maß vor allem für alte Menschen und Menschen mit Behinderungen problematisch ist. Je älter ein Patient ist, desto geringer ist seine Chance auf Übernahme einer teuren Behandlung. Entscheidend ist zudem die Frage, wie und von wem „Lebensqualität" gemessen wird. Wird ein Mensch mit einer Behinderung gefragt, so schätzt der seine Lebensqualität häufig sehr viel höher ein als die Mehrzahl der Nichtbehinderten sich ein Leben mit Behinderung vorstellt. Stichprobenartige Erhebungen unter Einbeziehung von Nichtbehinderten sind deswegen als Maß der Lebensqualität für Menschen mit Behinderungen potentiell bedrohlich, weil sie zur Abwertung des Nutzens einer Behandlung führen. Der Ethikrat fasst hierzu die Diskussion in der Literatur wie folgt zusammen: „Verteilungsentscheidungen werden in Teilen der Literatur schließlich dann als besonders problematisch angesehen, wenn von ihnen eine ex ante identifizierbare Personengruppe – etwa Menschen mit einer angeborenen Krankheit – nachteilig und intensiv betroffen sind. Treffe das Allokationsmuster dagegen potenziell jedermann – etwa alle Menschen am Lebensende oder mit einer nicht angeborenen Erkrankung –, stieße es auf erheblich weniger Bedenken" (S. 87). Nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Bedenken wegen des Diskriminierungsverbotes in Art. 3 des Grundgesetzes lehnt der Ethikrat diesen Ansatz der Nutzenermittlung ab, widmet ihm aber wegen seiner Bedeutung in der internationalen Diskussion breiten Raum in seiner Stellungnahme. Genau hierin liegt die Problematik der Stellungnahme. Von der vom Ethikrat intendierten offenen Diskussion über Rationierung und Priorisierung können Menschen mit Behinderungen nicht profitieren – sie fühlen sich vielmehr in ihrer Existenz bedroht, wenn wieder einmal nach mehr oder minder „lebenswertem Leben" unterschieden wird. Mindestens werden sie in diesem Diskurs unter einen permanenten Rechtfertigungszwang gesetzt.3. Alternativen zu Rationierung und Priorisierung
Wenn in der Sache („ Mythen") keine Notwendigkeit zur Diskussion über Rationierung und Priorisierung von Gesundheitsleistungen besteht und Bevölkerungsgruppen wie alte und behinderte Menschen durch sie ins Abseits gedrängt werden, stellt sich die Frage: „wem nützt dieser Diskurs?". Sie ist nicht schwer zu beantworten: wenn Bemühungen zur Verbesserung der Einnahmen der GKV und Kostensenkungen durch Verbesserung der Effizienz medizinischer Dienstleistungen (die der Ethikrat auch selbst fordert) von vorneherein für unzureichend erklärt werden, profitieren davon diejenigen, die am Status quo festhalten wollen. Eine Erhöhung der Einnahmen der GKV könnte durch Wegfall der bisher geltenden Ausnahmeregelungen für Besserverdienende im Rahmen einer solidarischen Bürgerversicherung und durch stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer an den Produktivitätszuwächsen der Wirtschaft erzielt werden. Lohnerhöhungen, Einführung eines Mindestlohns und Reduzierung der Arbeitslosigkeit würden hierzu ebenfalls beitragen. Ein Ablenken von diesen Zielen entlastet Besserverdienende und Kapitalseite. Auf der Ausgabenseite lenkt der Diskurs über Rationierung und Priorisierung von überhöhten Profiten der Pharmaindustrie, unnötiger Diagnostik und Therapie sowie falscher Ausrichtung der Forschungspolitik ab. In einer kürzlich erschienenen Publikation: „Better Doctors., Better Patients, Better Dicisions: Envisioning Health Care 2020“ stellen die Herausgeber Gigerenzer und Gray [8] im ersten (in deutscher Übersetzung vorliegenden) Kapitel fest, dass weder Steuererhöhungen noch Rationierung von Gesundheitsleistungen nötig seien. Ihre dritte Option lautet: „Aufklärung kann bessere Gesundheitsversorgung für weniger Geld ermöglichen" (2011,1). Hohe Kosten führen Sie auf folgende „Sünden" im Gesundheitssystem zurück: Profitorientierte Forschungsfinanzierung: Da Medikamentenhersteller nur nachweisen müssen, dass ein Medikament besser als ein Placebo ist, nicht aber besser als ein schon vorhandenes Medikament, fließt ein hoher Anteil an Forschungsgeldern in die Entwicklung von „Scheininnovationen". Diese Strategie ist für die Pharmaindustrie ökonomisch sinnvoll, weil mit den neuen Erzeugnissen wieder ein Patentschutz entsteht, der es erlaubt, hohe Profite einzufahren. Investitionen in echte Innovationen sind dagegen sehr viel riskanter, weil hier die Gefahr des Scheiterns wesentlich höher ist als bei einer geringfügigen Veränderung bewährter Medikamente.. Irreführende Berichterstattung in medizinischen Fachzeitschriften, in Patientenbroschüren und in den Medien Besonders gravierend ist hier das Verschweigen solcher Studienergebnisse, die zu einer negativen Bewertung der Behandlung führen. Hier fordert auch der Ethikrat eine vollständige Offenlegung aller Daten. Ein beliebter Trick zur Irreführung ist zudem, die Vorteile einer Behandlung in hohen Zahlen, die Nachteile in niedrigen Zahlen anzugeben, indem der Bezugsrahmen verändert wird. „Angenommen, eine Behandlung verringert die Wahrscheinlichkeit, die Krankheit A zu bekommen von 10 auf 5 von je 1000 Personen, erhöht jedoch das Risiko für die Krankheit B von 5 auf 10 von je 1000. Der Zeitschriftenartikel schildert den Vorteil als eine Risikoreduktion von 50 % und den Nachteil als eine Erhöhung von 5 pro 1000, d.h. 0,5 %“ (Gigerenzer & Gray, 2011,12). Interessenkonflikte entstehen, wenn z. B. eine Klinik nicht gleichzeitig die Patientenversorgung und die eigenen Einkünfte verbessern kann. „Wenn eine Klinik bessere Qualität bietet, indem Sie unnötige und potenziell schädliche Behandlungen reduziert, senkt sie die Kosten, aber ihre Einkünfte womöglich noch mehr" (Gigerenzer & Gray, 2011,18). Häufig werden so Leistungen angeboten, die den Patienten eher schaden. Im US-Bundesstaat Iowa wurde festgestellt, dass in einer Gemeinde in einem Jahr von 300.000 Menschen 52.000 einer Tomographie unterzogen wurden. Ein großer Teil davon war unnötig und wegen der hohen Strahlenbelastung schädlich. Defensive Medizin bezeichnet die Praxis, Diagnostik und Behandlungen zu verordnen, die unnötig sind, aber die Ärzte vor möglichen Regressansprüchen ihrer Patienten schützen, mit welchen sie vor Gericht häufig erfolgreich sind. „Würden Klagen auf Entschädigung nicht mehr nach dem, was üblich ist, sondern evidenzbasiert entschieden, wäre damit ein Auslöser geschaffen, der bewirken würde, dass weniger defensive Medizin betrieben wird" (Gigerenzer & Gray, 2011, 22). Als letzten Punkt, der zu überflüssigen Behandlungen führen kann, kritisieren die Autoren das „statistische Analphabetentum von Ärzten", das dazu führt, dass die oben angeführten irreführenden Informationen nicht richtig eingeordnet werden können. Hier sind die medizinischen Fakultäten gefordert, Fortbildungsprogramme für Statistik aufzulegen, die diese – kostentreibenden – Mängel kompensieren können. Von der Beibehaltung des Status quo profitieren aber nicht nur Besserverdienende, die keine solidarischen Beitragsleistungen erbringen müssen und die Anbieter überflüssiger oder überteuerter medizinischer Leistungen, sondern auch private Zusatzversicherungen, die im Falle einer Rationierung und Priorisierung die dann ausgeschlossenen Leistungen als Zusatzversicherung anbieten könnten. Da ärmere Menschen sich eine solche Zusatzversicherung nicht leisten können, würde die Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche weiter verschärft.4. Fazit
Ein Diskurs über Rationierung und Priorisierung von medizinischen Dienstleistungen ist nur notwendig, wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmenseite und an einer evidenzbasierten Medizin orientierte Kürzungen auf der Ausgabenseite ausgeschöpft sind. Davon ist das deutsche Gesundheitswesen noch weit entfernt. Nach Auffassung der hier zitierten Autoren wird diese Notwendigkeit auch in fernerer Zukunft höchstwahrscheinlich nicht eintreten. Ein Rationierung-und Priorisierungsdiskurs zum jetzigen Zeitpunkt lenkt von den Bemühungen zur Umsetzung der oben genannten Maßnahmen ab. Insbesondere Menschen mit Behinderungen und ihre Interessenvertreter sollten sich nicht auf einen Diskurs einlassen, der ihren Interessen nicht entspricht und sich stattdessen für eine solidarische Bürgerversicherung sowie eine am Patientenwohl statt an ökonomischen Interessen orientierte Medizin einsetzen.5. Literatur
Braun, Bernhard & Gerd Marstedt: Mythen zu Gesundheitspolitik: Auch gebildete Bürger irren. Gesundheitsmonitor 2/2010, Ein Newsletter der Bertelsmann Stiftung Deutscher Ethikrat: Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung. Stellungnahme. Berlin, 2011 Gigerenzer, Gerd & J.A. Muir Gray: Aufbruch ins Jahrhundert des Patienten. In: dies. (Ed.): Better Doctors, Better Patients, Better Decions. Envisioning Health Care 2020. Cambridge, MIT Press, 2011 Reiners, Hartmut: Mythen der Gesundheitspolitik. Bern, Hans Huber, 2. Aufl. 2011[1] Seitenzahlen ohne Angaben des Verfassers beziehen sich im Folgenden immer auf die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates.
[2] Gesetzliche Krankenversicherung
[3] Gesundheitsmonitor 2/2010, Ein Newsletter der Bertelsmann Stiftung
[4] In 2. Aufl. 2011 erschienen. Lange vor Erscheinen der Stellungnahme des Ethikrates hat der Verfasser diese Position in anderen Publikationen vertreten, u.a. in: Braun/Kühn/Reiners: Das Märchen von der Kostenexplosion: populäre Irrtümer zur Gesundheitspolitik. Frankfurt a.M., Fischer, 1998
[5] Seriöse Prognosen sind über einen so langen Zeitraum ohnehin kaum möglich, weil weder die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung (Zuwanderung) noch z.B. kostensenkende Innovationen angemessen eingeschätzt werden können.
[6] Private Krankenversicherung
[7] Die utilitaristische Ethik bewertet Entscheidungen nach dem Nutzen für die größtmögliche Anzahl von Menschen. Der Bioethiker Peter Singer hat auf der Basis dieser Philosophie die Freigabe der Tötung solcher Menschen befürwortet, die nicht den Kriterien von Bewusstsein und Personalität (z.B. behinderte oder senile Menschen) entsprechen.
[8] Diese Publikation ist zwar erst nach Vorlage der Stellungnahme des Ethikrates erschienen, ihre wesentlichen Ergebnisse waren aber schon durch andere Veröffentlichungen dieser und anderer Verfasser bekannt.
Autor
Prof. Manfred Baberg
Hochschullehrer i.R., Hochschule Emden - Leer, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit. Arbeitschwerpunkte: Integrationspädagogik, Behindertenarbeit und Sozialpolitik mit den Schwerpunkten soziale Inklusion und Gesundheit