Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel Westfalen fordert - Studie des Berlin-Instituts

Westfalen-Lippe ist eine Region, die in mancher Hinsicht nicht den demografischen und wirtschaftlichen Trends in Deutschland folgt. Hier gibt es wirtschaftlich starke ländliche Räume, die noch Bewohnerinnen und Bewohner anziehen können. Doch wenige Kilometer entfernt finden sich vom Strukturwandel geprägte Großstädte, die lange Zeit Einwohner verloren haben und bereits deutlich gealtert sind. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat in einer Studie untersucht, wie der demografische Wandel Westfalen verändert und vor welchen Aufgaben die einzelnen Regionen stehen, damit sie weiterhin oder wieder erfolgreich sein können.

Westfalen, das gemeinsam mit dem Rheinland das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen bildet, präsentiert sich als eine Region, in der sich die vielfältigen Herausforderungen, die der demografische Wandel deutschlandweit stellt, auf engem Raum begegnen. Da ist das bislang junge Münsterland mit seiner rasant wachsenden Universitätsstadt im Zentrum. Im westfälischen Ruhrgebiet gleich nebenan sind die Bewohner im Schnitt schon einige Jahre älter. Und während die Großstädte an Emscher und Ruhr noch immer mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, gehen vielen Betrieben im ländlich geprägten Südwestfalen und in Ostwestfalen-Lippe zunehmend die Arbeitskräfte aus. Trotz guter Jobangebote ziehen dort die jungen Bewohnerinnen und Bewohner in Richtung der urbanen Zentren. Die Dörfer werden leerer und die Versorgung wird schwieriger.

Somit stehen die westfälischen Teilregionen vor ganz unterschiedlichen Aufgaben. Die von der Westfalen-Initiative und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) geförderte Studie hatte untersucht, mit welchen Ideen die verschiedensten Akteure in den Regionen versuchen, die Versorgung auf dem Land weiterhin zu sichern und Fachkräfte anzulocken.

"In Westfalen sehen wir, dass wirtschaftlich erfolgreiche Regionen mit guten Arbeitsmöglichkeiten nicht automatisch auch junge Menschen halten oder gewinnen können", sagt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts. Die häufig geäußerte Annahme, es müsste nur genug Arbeitsplätze geben, dann könnte die Landflucht gestoppt werden, bestätigt sich in manchen Gebieten Westfalens nicht. Die klein- und mittelständischen Betriebe stehen sogar vor einem doppelten Problem. Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer und damit eine Großteil ihrer Belegschaft gehen demnächst in Rente, während die Jahrgänge mit dem potenziellen Nachwuchs dünner besetzt sind und die jungen Menschen zum Teil auch noch fortziehen.

"Um diese Lücke einigermaßen zu schließen, reicht ein Ansatz allein nicht aus" meint Susanne Dähner, eine der Autorinnen der Studie. Einerseits müssen die vor Ort noch schlummernden Arbeitskräftepotenziale besser genutzt werden. Das können Frauen sein, die bislang aufgrund familiärer Aufgaben kaum beruflich tätig sind. Oder ältere Arbeitnehmer, deren Kompetenzen mit gezielten Weiterbildungen auch jenseits der 50 möglichst lange im Betrieb gehalten werden. Andererseits müssen Unternehmen ihre Suche nach Fachkräften räumlich weiter ausdehnen. Manche tun dies, indem sie IT-Expertinnen und -Experten täglich mit einem Bus aus einer Großstadt abholen und zum ländlichen Firmensitz bringen. Andere, indem sie Auszubildende aus Spanien mit attraktiven Arbeitsbedingungen ins Münsterland locken.

"Trotz vieler guter Ideen werden die Unternehmen im Wettbewerb um die weniger werdenden Fachkräfte aber kaum bestehen können, solange sie auf sich allein gestellt sind", so Reiner Klingholz. "Die Lebensbedingungen vor Ort, von der Schule bis zu den Versorgungsangeboten, spielen ebenfalls eine Rolle dabei, ob sich Fachkräfte für ein Jobangebot fern der Zentren entscheiden." Daher werden regionale Bündnisse von Unternehmen, Kommunen und Verbänden immer wichtiger. 

Denn dort, wo die Jungen wegziehen, die Menschen weniger werden und vor allem Ältere zurückbleiben, verschwinden Versorgungsangebote und lassen die Lebensqualität sinken. Die Studie zeigt an vielen Beispielen, wie sich dies verhindern lässt, etwa mit wohnortnahen medizinischen Versorgungangeboten oder neuen, flexiblen Mobilitätslösungen. "In den westfälischen Teilregionen werden schon an vielen Orten innovative Konzepte erprobt, wie das Landleben auch bei schwindender Versorgung weiterhin gut funktionieren kann", berichtet Susanne Dähner. So beliefert ein regionaler Online-Händler Menschen aus Siegen und Umgebung mit Lebensmitteln und sonstigen Waren aus dem Sortiment lokal ansässiger Einzelhändler. Eine Dorfinitiative erprobt ein Car-Sharing-Modell, bei dem die Bewohner die Kleinbusse selbst fahren oder mit ehrenamtlichen Fahrer mieten können.

"Die Studie richtet den Blick auf ganz Westfalen-Lippe und bildet die Auswirkungen des demografischen Wandels für jede einzelne Kommune ab.  Daraus könnten sich Ansätze ergeben, wie man sich mit Partnern über Lösungen austauschen kann, erklärt LWL-Direktor Matthias Löb.

"Wichtig wird nun sein, auf der Basis der vorliegenden Studie einen möglichst westfalenweiten Erfahrensaustausch zu initiieren und dort, wo es nötig und möglich ist, innovative Problemlösungen in Modellprojekten auf den Weg zu bringen. Die Westfalen-Initiative wird sich daran gerne aktiv beteiligen", richtet Dr. Karl-Heinrich Sümmermann, Vorsitzender des Stiftungsvorstandes, den Blick in die Zukunft. Es gelte, die gewonnenen Erkenntnisse nutzbringend zu operationalisieren.


Quelle: LWL-Presseinformation vom 3. Juli 2018