HOW NOW ARE YOU?
Randy Tarampi / Unsplash

Wie geht es Dir?

01.11.2023

Ich finde, die „Wie-geht es dir-Frage“ ist eine der schwierigsten. Das Gute daran ist, dass sie auch allerlei Wort-Spiel-Raum zulässt, und der entstehende Dialog Auskunft über die Art der Beziehung geben kann und somit auch Beziehung gestaltet wird.
„Na, wie geht’s?“ fragt Tekin, der Freund meiner Nichte. Er hat es sich auf der sandgelben Couch bequem gemacht und grinst mich an. Ich grinse zurück. Beim letzten Mal haben wir uns für eine, an die Tradition seiner Herkunftskultur angelehnte, Variante entschieden. Ungefähr so:

„Na, wie geht‘s?“
„Mir geht es gut, und wie geht es dir?“
„Mir geht es auch gut. Wie geht es deiner Mutter?“
Und dann ging es weiter im Wechsel mit Vater, Schwester, Bruder, dem anderen Bruder, dem Schwager, der Schwägerin, den Tanten, den Onkels, Cousinen, Cousins, Nichten, Neffen, auch die Haustiere und Grünpflanzen haben wir nicht vergessen und mit den besten Grüßen bedacht. Das kann schon mal eine Weile dauern. Die Variante in Anlehnung an meine Herkunftskultur ist da wesentlich kürzer.
Etwa so:
„Na, wie geht’s?“
„Joo, un selbst?“
„Joo“.
Und fertig.

Im Arbeitskontext schiebe ich der „Wie geht es Ihnen-Frage“ oft eine zweite hinterher und erkundige mich, ob sich seit dem letzten Termin etwas verändert hat oder ob das, was als Problem beschrieben wurde, inzwischen besser läuft. Wenn Klient:innen sich zu sehr für mein Privatleben interessieren und sehr genau wissen wollen, wie es mir geht, kann das auch unangenehm sein. Ich würde nie meine Urlaubsfotos oder Familienbilder zeigen. Die der Familie schaue ich an, wenn es zum Arbeitsauftrag passt, und die hängen ja auch meistens an den Wänden, und ich komme gar nicht dran vorbei, wenn ich einen Hausbesuch mache. Ich finde die aufsuchenden Hilfen zur Erziehung laden schon sehr zu Grenzüberschreitungen ein, und die Art und Weise der Beziehungsgestaltung ist auch immer wieder ein Thema für die  Supervision und die Qualitätsentwicklung.

„Wie geht es Ihnen?“ fragt Herr Sachse, als ich ihn anrufe. „Und hatten Sie ein schönes Wochenende?“
„Ja, danke, es geht mir gut, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit, wollte nochmal nachfragen, ob der Termin bleibt. Es soll ja eine Familienrunde werden, und ich habe den Beratungsraum gebucht. Schaffen Sie es zu 10:00 Uhr?“
Familie Sachse ist eine neue Hilfe. Ich sollte eigentlich nur die Elternberatung machen, und ein männlicher Kollege sollte mit dem 17-jährigen Daniel arbeiten. Der männliche Kollege hat jedoch seine Bewerbung zurückgezogen, und nun bin ich allein zuständig.
Daniel hat es 2020 aus der Bahn geworfen, sagen die Eltern. Die Pandemie, der Lockdown, das Homeschooling, das war alles zu viel, und auch die Eltern waren überfordert und konnten dem damals 14-jährigen nicht den Rahmen geben, den er gebraucht hätte. Der Handballverein, in dem er seit seinem sechsten Lebensjahr gespielt hatte, war geschlossen, zuhause gab es weder Laptop noch Drucker, und die Eltern hatten sich 2017 getrennt. Daniel fand Anschluss an die Drogenszene, landete irgendwann in der psychiatrischen Notaufnahme und nun soll eine SPFH – ja was genau eigentlich? Die Eltern möchten keine Beratung, und Daniel möchte nicht, dass sich irgendjemand einmischt. Alle wollen, dass der Junge von den Drogen wegkommt. Und ich werde schauen was ich machen kann und wie ich in Beziehung gehe.

Ihre Katja Änderlich