Wie kann Opfern organisierter ritueller Gewalt geholfen werden?
Soziale-Arbeit-Absolvent Simon Weber erhält Hochschulpreis der FH Münster für seine hervorragende Bachelorarbeit.
Betroffene von organisierter ritueller Gewalt haben oft über einen langen Zeitraum schlimme Gewalt erfahren. Hilfsangebote, Ausstiegsmöglichkeiten und verlässliche Daten gibt es bisher noch wenige. Soziale-Arbeit-Absolvent Simon Weber ist daher in seiner Bachelorarbeit den Fragen nachgegangen: Welche Schwierigkeiten gibt es in der Unterstützung Betroffener und was können Handlungsvorschläge hierfür sein? Für seine hervorragende Abschlussarbeit verlieh ihm die FH Münster in diesem Jahr den Hochschulpreis.
Zunächst habe sich Weber intensiv damit auseinandergesetzt, was organisierte rituelle Gewalt ist und welche Hilfsangebote bisher bestehen. „Bei organisierter Gewalt besteht ein Täter:innennetzwerk, das an Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen mehrfach und über einen langen Zeitraum sexualisierte, psychische und/oder physische Gewalt ausübt. Opfer müssen zum Teil für das Netzwerk selbst Straftaten begehen, dies kann in einer Spirale münden, in der Opfer selbst zu Täter:innen werden“, erklärt der 24-Jährige. Von ritueller Gewalt spreche man, wenn die Gewaltausübung zusätzlich mit einem ideologischen Hintergrund begründet wird, an den die Täter:innen glauben oder diesen als Vorwand für die Gewalt nutzen, beispielsweise eine satanistische oder faschistische Ideologie.
Schwierigkeiten, Ansatzpunkte für Unterstützungsangebote zu finden, gebe es einige: „Für Betroffene ist es nicht einfach, aus den Strukturen zu entkommen. Die Täter:innennetzwerke arbeiten mit Manipulationstechniken. Mind Control – also Gehirnwäsche – trägt viel dazu bei, dass die Strukturen funktionieren können“, erklärt Weber. Täter:innen stünden häufig in hohen gesellschaftlichen Positionen und die Familiensysteme oder Täter:innennetzwerke seien sehr loyal. „Das sorgt dafür, dass diese im System Gesellschaft sozusagen unsichtbar werden.“ Viele Betroffene würden zudem Erlebtes verdrängen, auch dissoziative Störungen, vor allem die Dissoziative Identitätsstörung, würden häufig auftreten. „Die Persönlichkeit spaltet sich dabei in verschiedene Teile, oft mit eigenem Gedächtnis und unterschiedlichen Verhaltensmerkmalen – beziehungsweise neuen Erkenntnissen zur Folge wird davon ausgegangen, dass sich die Identität in der frühen Kindheit nicht vollständig ausbildet – Teile der Persönlichkeit haben dann keine Erinnerungen an die erlebte Gewalt“, erklärt Weber. Viele Therapeut:innen – ob in der Psychotherapie oder der sozialarbeiterischen Versorgung – seien in der gesamten Thematik nicht ausreichend ausgebildet. Auch in der Justiz gebe es hohe Hürden in der Inanspruchnahme von Hilfe: Das Opferentschädigungsgesetz sei nicht auf organisierte rituelle Gewalt ausgelegt. Bei Betroffenen führe all das zu Hilflosigkeit, zu Abwehrmechanismen wie Verleugnung und Verdrängung und zum Schweigen. „Betroffene, die sich an die Polizei wenden, können unter Todesangst leiden. Schweigen kann hier der sicherere Weg sein.“
Doch auch Positives sei Weber bei seiner Recherche begegnet und es gebe Handlungsempfehlungen, die Betroffenen helfen können: „Es gibt Vereine und spezialisierte Anlaufstellen, unter anderem von Betroffenen gegründet. Beispielsweise der Lichtstrahlen Oldenburg e. V.: Die Gründerin berichtet in einem Interview der Zeit Online ausführlich über ihre erlebte Gewalt und hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, andere Betroffene zu unterstützen“, so der Sozialarbeiter. Um die Versorgungsproblematik anzugehen, sei Aufklärung in der Gesellschaft und in verschiedenen Fachrichtungen wie in der Sozialen Arbeit, in der Psychotherapie, in der Polizeiarbeit und im Recht sehr wichtig. „Zudem könnten beispielsweise Kampagnen in den Medien, in denen Betroffene sprechen, helfen, das Thema zu enttabuisieren“, sagt Weber. „Besonders wichtig sind auch die Finanzierung und der Raum für den Ausstieg aus den Gewaltstrukturen, sowohl für Opfer, als auch Täter:innen – diese Rollen können sich auch überschneiden.“ Die Stabilisierung der ausgestiegenen Personen, etwa durch psychotherapeutische Betreuung, bedürfe eines langen Zeitraums, oft über mehrere Jahrzehnte hinweg. „Für eine gute Versorgung müsste das Psychotherapiekontingent erhöht werden“, appelliert der FH-Absolvent.
Für die Abschlussarbeit hat sich Weber intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Dabei habe er aber auch aufpassen müssen: Auch Verschwörungstheorien mischten sich unter die Berichte zum Thema. „Personen, die in diesem Bereich Hilfe anbieten, haben meinen größten Respekt“, sagt Weber. „Berichte von Betroffenen zu lesen oder zu hören, war wirklich erschütternd und schwer greifbar.“ Er könne sich aber vorstellen, in Zukunft in der Hilfe Betroffener zu arbeiten. Derzeit arbeitet der FH-Alumnus im LWL-Wohnverbund und in der Bahnhofsmission und absolviert die Weiterbildung „Professionelle Gesprächsführung in der Sozialen Arbeit“ unter anderem bei Prof. Dr. Laura Best, die auch seine Bachelorarbeit betreut hat. „Herr Weber hat sich sehr engagiert und eigenständig einem herausfordernden Thema gewidmet, bei dem es besonders wichtig ist, zwischen fundierten Quellen und kruden Theorien zu unterscheiden. Hier ist es ihm gelungen, einen professionellen Abstand zum Thema zu wahren, um sich ihm wissenschaftlich nähern zu können und Ableitungen für die Praxis Sozialer Arbeit herauszuarbeiten“, so Best.
Quelle: Pressemitteilung der FH Münster vom 26.06.2023