„Wir Ehrenamtler sind keine Lückenbüßer!“
Unserer zunehmend verdichteten Lebens- und Arbeitswelt fehlt häufig die soziale und fürsorgliche Dimension. Das Ehrenamt in Deutschland besetzt viele dieser Felder positiv und sinnstiftend. Ehrenamt darf aber nicht zum Lückenbüßer verkommen. Zum Tag des Ehrenamtes fordert der BDH Bundesverband Rehabilitation die Politik auf, Bürgerinnen und Bürger, die sich für andere engagieren, in der Gesellschaft auf Augenhöhe wertzuschätzen.
Das Image des Ehrenamts ist hierzulande ungebrochen positiv, immer mehr Bundesbürgerinnen und Bundesbürger engagieren sich. Sie müssen aber auch immer häufiger da einspringen, wo öffentliche Mittel im Gemeinwesen fehlen. In den vergangenen Jahren wurden immer öfter ehemals als gesamtgesellschaftlich begriffene Aufgaben dem bürgerschaftlichen Engagement überantwortet. Eine Reihe von sozialen und gesundheitlichen Leistungen in der Gemeindearbeit, in der Gesundheitsversorgung oder auch in der Pflege fallen mittlerweile in die Verantwortung ehrenamtlicher Initiativen.
Ehrenamt darf aber kein günstiger Ersatz für Bereiche im Gemeinwesen sein, für die sich sonst niemand findet, mahnt der BDH Bundesverband Rehabilitation anlässlich des diesjährigen Tages des Ehrenamtes. Die Vorsitzende des unabhängigen Sozialverbandes, Ilse Müller, kritisiert: „Immer häufiger fehlt aufgrund von Arbeitszeitverdichtung und personellen Engpässen in unserer modernen Arbeitswelt die soziale Dimension. Bitter ist vor allem, dass aufgrund von Sparzwängen und Konkurrenzkampf dies auch zunehmend in der Gesundheits- und sozialen Versorgung für chronisch kranke und behinderte Menschen der Fall ist. Wir fordern, dass die Politik uns hier besser zuhört.“
In seinem BDH-Sozialkompass 2021 fordert der Sozialverband und gemeinnütziger Träger von Reha-Fachkliniken die Politik auf, den ehrenamtlich tätigen Menschen endlich die ihnen zustehende gesellschaftliche Würdigung zuteilkommen zu lassen.
Ehrenamt als wertvolle kritische Kraft anerkennen
„Wir Ehrenamtler sind keine Lückenbüßer. Bürgerschaftliches Engagement im sozialen Bereich zeigt auch auf, wo etwas im Argen liegt, wo Handlungsbedarf besteht“, so Müller weiter. Darin sehen die ehrenamtlich Aktiven im BDH eine wichtige Aufgabe ihres Engagements. Sie ermutigen, beraten, unterstützen und begleiten Menschen in gesundheitlichen Ausnahmesituationen dabei, ihre Rechte gegenüber staatlichen Behörden, Krankenkassen, Renten- und Unfallversicherern wahrzunehmen.
Viele von ihnen, weil sie oder ihre Angehörigen, selbst die Hilfe des BDH erhalten haben: etwa nach Unfall, Schlaganfall oder mit chronischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Morbus Parkinson. Sie sind dankbar, mit dieser Unterstützung in ein selbstbestimmtes Leben zurückgefunden zu haben und setzen sich dann auch gerne für andere in ähnlichen Situationen ein.
Niederschwellige Beratung ausbauen
Zugangswege zu sozialen Leistungen sind für viele Menschen immer noch schwer zugänglich. Gabor Eric Stamm, BDH- Kreisverbandsvorsitzender im hessischen Wetzlar, macht immer häufigere Ablehnungen von Anträgen dafür verantwortlich, aber er weiß auch: „Viele Menschen sind verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie 30 Seiten Formulare ausfüllen sollen. Sie fühlen sich einfach in der Welt der Behördensprache und-vorgänge überfordert, und das oft in einer für sie eh schon belastenden gesundheitlichen Ausnahmesituation.“
Im BDH arbeiten ehrenamtlich Aktive in 60 Kreisverbänden und angestellte Sozialjuristinnen und Juristen in sechs überregionalen Geschäftsstellen eng zusammen, um Anspruchsberechtigten zu helfen und sie, wenn notwendig, vor Behörden und Sozialgerichten zu vertreten.
BDH-Bundesgeschäftsführer Gero Skowronek: „Unser Ziel ist es, dieses notwendige niedrigschwellige Netz an Beratung und Unterstützung für Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen auszubauen. Für sie sind weite Wege aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen unakzeptabel. Dafür brauchen wir verstärkt junge engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die sich für andere einsetzen wollen. Dafür benötigen wir aber auch Unterstützung durch Bund, Länder und Kommunen.“
Hintergrund sind die zu 60 Prozent erfolgreich durchgeführten Widerspruchs- und Sozialgerichtsverfahren, die die bestehenden Probleme in der Sozialrechtspraxis belegen.
„Das erfüllt uns mit Sorge“, so BDH-Juristin Julia Köhler, „eine ausgefeilte deutsche Sozialgesetzgebung mit 13 Gesetzbüchern täuscht eben nicht darüber hinweg: Das eine ist Recht zu haben, das andere Recht auch zu bekommen. Wer Rehaanträge oder Anträge auf Hilfsmittel ver- oder behindert oder unberechtigt ablehnt, greift aber das Recht auf Gesundheit direkt an. Das werden wir nicht zulassen.“
Quelle: Pressemitteilung des BDH vom 02.12.2021