Wird es besser – oder nur anders?
Zum Abschied habe ich mir einen Theatergutschein gewünscht. Ich weiß ja, wie schwierig das sein kann, etwas Passendes zu finden und habe deutliche Signale gesetzt. Mein Team sollte wissen, welches Theater ich mag und welches mir nicht so gefällt. Nicht, dass es mir noch so geht wie Mareike, die von ihrem Team auch einen Gutschein bekam, zur Geburt ihres Babys. Leider für ein Geschäft, in dem sie grundsätzlich nicht einkauft. Das ist doppelt ärgerlich. Sie könnte ihn weiterverkaufen und hätte das Geld, aber sie ärgert sich über die Euros, die bereits an diese Warenhauskette gegangen sind.
Ob ich meinen Theatergutschein einlösen kann, ist ungewiss. Viele Vorstellungen werden abgesagt, weil die Schauspieler:innen krank sind. Aber egal - das Team hat hoffentlich gut investiert, in die Unterstützung meines Lieblingstheaters. Und wenn ich dann wirklich gehen kann, möchte ich Ilkay dabei haben.
Ich werde ihn vermissen und deshalb wollte ich ihn abwerben. Aber er meinte, ich soll erstmal vorfühlen. „Wer weiß, ob es dort wirklich besser ist als hier. Vielleicht ist es nur anders und du ärgerst du dich dort über Dinge, die es hier gar nicht gibt", hat er gesagt und mich daran erinnert, dass wir den Klient:innen ja auch zu bedenken geben, dass ein Umzug nicht unbedingt alle Probleme löst. „Manchmal muss man tiefer graben".
So kluge Sprüche von so einem jungen Mann. Er könnte mein Sohn sein und er hat recht, ich habe auch schon überlegt, ob das so gut ist, mit den kurzen Wegezeiten. Schließlich möchte ich nicht, dass mir die Klient:innenfamilien in der Freizeit ständig über den Weg laufen. Aber ich denke, die Wahrscheinlichkeit ist recht gering. Wenn ich jünger wäre und eigene Kinder hätte, würde ich nicht in meinem Wohnbezirk arbeiten wollen. Da gäbe es mehr Begegnungswahrscheinlichkeiten – Schule, Spielplatz, Kindersport ... .
Diese Woche ist mein virtueller Abschied in der Onlineteamsitzung und nächste Woche werde ich einen Kuchen backen und im realen Teamraum abstellen. Am 15. bin ich weg.
Meine Sachstandberichte sind geschrieben und die Familien sind auch informiert. In der SPFH für Familie N waren wir im Co-Team, ich für die Mutter und Ilkay für Phil. Da bleibt mein Kollege nun allein zuständig bis zur nächsten Überprüfung. Dann soll die Hilfeform geändert werden. Phil möchte Ilkay nur für sich und diskutiert ob es Einzelfallhilfe, Betreuungshilfe oder Erziehungsbeistand heißt. Wenn ich hier durch eine andere Fachkraft abgelöst worden wäre, hätte ich echt Schwierigkeiten gehabt. Das war ja der Fall, wo ich Biografiearbeit machen durfte und wir einen Familienordner angelegt haben. In den Terminen mit Frau N sind wir bei den aktuellen Problemen oft auf ihre früheren Erfahrungen zu sprechen gekommen. Das fand ich superspannend aber es grenzt an Therapie und ist hier leider nicht meine Aufgabe. Das ist oft so, dass ich Aufträge für die sozialpädagogische Familienhilfe bekomme, wo die Menschen eigentlich eine therapeutische Unterstützung brauchen. Nur - sie wollen keine Therapie oder sie bekommen keinen Platz. Aber Frau N hat einen Therapieplatz gefunden, und es ist schon merkwürdig. Zuerst war Phil in der Kinderpsychiatrie, dann meinten alle, dass er unbedingt eine ambulante Psychotherapie braucht und jetzt ist es die Mutter, die sich auf den Weg macht.
Bei Familie K wird Steffi übernehmen und ich finde das passt. Frau K wollte ein Abschiedsfoto mit mir machen. Aber das habe ich abgelehnt. Da hat ihre kleine Tochter ein Bild von uns Dreien gemalt und mir geschenkt. Ich habe mich bedankt, obwohl ich damit ja ein Muster unterstütze, das wir eigentlich abbauen wollten. Dass die Kleine mit ihren Bildern immer die Konflikte der Erwachsenen regelt, nehme ich in diesem Fall mal als Ressource. Hat ja immer alles zwei Seiten - mindestens.
Sechs Wochen hatte ich Zeit, um aus meinen laufenden Fällen ehemalige Familienhilfen zu machen und geschmeidige Übergänge zu gestalten. Wenn ich meinen inneren Abschiedsprozess mitzähle, komme ich auf ein oder zwei Jahre in Ambivalenzen. Meine Kolleg:innen und die Leitung gaben sich überrascht, wegen meiner Entscheidung. Das verstehe ich nicht. Aber es soll ja angeblich auch in vielen Paarbeziehungen so sein. Die Männer fallen aus allen Wolken, wenn die Frau „ganz plötzlich" weg ist. Und die Frau fragt sich, ob sie die ganzen Jahre gegen die Wand geredet hat.
Ihre Katja Änderlich