Expertentagung ermutigt zu innovativen Geschäftsmodellen
"Ambulant und stationär - wie wächst zusammen, was zusammengehört?" Dieser Frage widmeten sich rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim 13. contec forum in Berlin. Ergebnis der Veranstaltung waren neue Ideen und Denkansätze für zukunftsfähige Geschäftsmodelle, die die Grenzen von stationärer und ambulanter Pflege erfolgreich überwinden. Differenzen zwischen Bund und Ländern sowie den unterschiedlichen BranchenvertreterInnen seien ebenso deutlich geworden, wie die Notwendigkeit, im gemeinsamen Austausch eben diese zu überwinden. Das meldet der Veranstalter, die Bochumer Gesellschaft für Organisationsentwicklung mbH contec.
Dass Innovation und Veränderung aber nicht nur auf die Politik abgewälzt werden können, sei eine der Haupterkenntnisse der Expertentagung. Von hochkarätigen Branchenvertretern vorgestellt wurden beeindruckende Geschäftsmodelle, die Einblicke in die Möglichkeiten einer verzahnten ambulanten und stationären Pflege boten. Das Pflegemodell „stambulant" der BeneVit-Holding in Whyl, präsentiert von Michael Barkow zeigt, wie Selbstbestimmung pflegebedürftiger Menschen durch Wahlmöglichkeiten bei der Leistungserbringung in einer stationären Wohnstruktur geschaffen werden kann.
Ein Pflegeunternehmen aus Holland, das von 4 auf 14.000 Mitarbeitende gewachsen ist, als bester Arbeitgeber von den Mitarbeitenden gewählt wurde und eine Top-Bewertung von den Kunden bekam, wurde den Teilnehmenden des contec forums durch Jos de Blok vorgestellt, der sein erfolgreiches Pflegemodell Buurtzorg präsentierte. Selbstorganisation durch kleine und unabhängige Pflegeteams und eine individuelle Nachbarschaftspflege bei hoher Kosteneffizienz sind sein Schlüssel. Jos de Blok betonte allerdings: "We built the organization based on principles of self-organization and it's all based on trust" – ein Gegenmodell zu der Misstrauenskultur, mit der Aufsichtsinstitutionen und die Politik der Pflegebranche hier zu Lande begegnen. Dass die Installation solcher Modelle in Deutschland derzeit noch an den gesetzlichen Rahmenbedingungen scheitert, sollte kein Hemmnis für die Branchenvertreter und -vertreterinnen darstellen: Politik und Unternehmen müssen gemeinsam eine geeignete Grundlage schaffen, um solche Projekte zu ermöglichen. Das sieht auch contec-Geschäftsführer Dietmar Meng: „Bei Lösungen muss lokal differenziert werden. Zuerst müssen die Träger agieren, dann die Politik reagieren." Fazit: Unternehmerische Ideen müssen handlungsleitend sein. Buurtzorg entstand, bevor die gesetzlichen Bedingungen überhaupt geschaffen waren – unsere Niederländischen Nachbarn können uns hier als Vorbild dienen.
Alle an einen Tisch – Kommunen, Kassen, Bund und Länder im Gespräch
Innovative Modelle – darüber waren sich die Teilnehmenden einig – müssen auch hier zu Lande vermehrt erarbeitet und umgesetzt werden. Resignation sie die falsche Antwort auf pflegepolitische Unzufriedenheit: „Wenn die unterschiedlichen Parteien nur unter sich diskutieren, fehlt es an differenzierten Perspektiven im Diskurs. Nur im Zusammenkommen ist Innovation und Vernetzung überhaupt möglich", betonte contec-Geschäftsführer Detlef Friedrich.
Dr. h.c. Jürgen Gohde, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft (IEGUS), unterstrich die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorankommens mit seiner Keynote, in der er die Pflege im Rahmen der sozialen Sicherung als europäischen Beitrag zum Weltkulturerbe betitelte. Ein Grund mehr, über den Tellerrand hinauszublicken und kreativ in den Austausch zu gehen.
Qualität der Pflege - Frage der Fachkraftquote oder der Führung?
Der Austausch über die Fachkraftquote in der Pflege blieb dagegen kontrovers. Unter der Fragestellung "Zwingend notwendig oder maßlos überschätzt?" diskutierten Michael Wipp, Geschäftsführer Pflege, Qualität, Politik ORPEA Deutschland sowie Dietmar Erdmeier, Bereich Gesundheitspolitik, ver.di, und Michael Meyer, Leiter Heimaufsicht Berlin in einem Trialog. Wipp äußerte Kritik: „Die Fachkraftquote basiert auf reiner Willkür und entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage." Erdmeier sprach sich für die Fachkraftquote aus: „Je niedriger die Fachkraftquote ist, desto stärker nimmt auch die Qualität der Pflegeversorgung ab." Hierfür fehlt allerdings der Beweis, obwohl alle Daten in Deutschland vorliegen. Das politische Interesse an der Auswertung der Daten der Fachkraftquote und den Mängeln der Heimaufsicht und des MDK scheint nicht vorhanden zu sein. Argumentiert wird, dass Qualitätsmängel eher an der Führung als an der Fachkraftquote liegen. Dem stimmen die Experten zu, ein Prüfverfahren für diese These liegt aber noch nicht vor – die Hoffnung liegt auf den noch zu entwickelnden Personalbemessungsverfahren.
Kreativität anregen durch Kreativität
Künstlerisch begleitet wurde die Veranstaltung durch Regens Wagner. In einer Ausstellung waren ausdruckstarke Porträts von Menschen mit und ohne Behinderung zu sehen. Regens Wagner betreut in 14 regionalen Zentren mit etwa 45 weiteren Standorten in Bayern Menschen mit Hör-, Sprach- und Lernstörungen, mit geistiger und Mehrfachbehinderung, psychisch Kranke und pflegebedürftige Menschen.
Quelle: contec-Pressemitteilung vom 9. Februar 2017