Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Behinderung – zukünftig auf Rang 1 der gemeldeten Fälle?
Anlässlich des vorgestellten Jahresberichtes der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) befürchtet die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL), dass der nächste Bericht womöglich die Anzahl der gemeldeten Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung bald auf dem ersten Rang platzieren könnte, wenn die Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seiner Ampelkoalition nicht schleunigst die richtigen gesetzlichen Weichen für mehr Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen, das Wunsch- und Wahlrecht beim Wohnen und Arbeiten und der bisher diskriminierenden Triage-Regelung stellt.
Bisher werden die Privatwirtschaft und die bauliche Umwelt immer noch nicht zur umfassenden Barrierefreiheit verpflichtet. In der Mobilität sind behinderte Menschen immer noch Abhängige, Bittstellende und Störende im öffentlichen Verkehr.
Selbstbestimmtes Wohnen in der eigenen Häuslichkeit sind weiterhin von fremdbestimmenden Pflegegesetzen (IPReG) bedroht. Statt eine inklusive Sozialstruktur zu schaffen, wird das Wohlfahrtssystem mit seinen Sonderwelten weiterhin staatlich gefördert und lässt viele behinderte Menschen verarmen.
Im Falle einer Knappheit bei medizinischen Ressourcen in einer Pandemie müssen - trotz eindeutiger Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht - behinderte, chronisch kranke und ältere Menschen weiterhin Angst haben, überlebenswichtige Behandlungen aufgrund vorurteilsbehafteter ärztlicher Meinung vorenthalten zu bekommen.
Als Selbstvertretungsorganisation von behinderten Menschen wissen wir um die zahlreichen Hürden auf dem Weg hin zu einem Beschwerdeverfahren. Hiermit können wir nur alle aufrufen und ermutigen, Diskriminierung sichtbar und öffentlich zu machen, auch wenn es für viele von uns zum Alltag gehört, Ableismus verinnerlicht wurde und daher oft gar nicht mehr als Diskriminierung wahrgenommen werden kann. Die Dunkelziffer an Diskriminierungen ist hoch und wird durch eine Gesellschaft der vermeintlichen Fürsorge und der erwarteten Dankbarkeit von behinderten Menschen stark kaschiert. Gleich wichtig bleibt die Forderung nach einer Reform des Antidiskriminierungsrechtes in Deutschland, damit dies endlich stärker dazu beiträgt, Diskriminierungserfahrungen im Alltag behinderter Menschen zu vermeiden.
Die „Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL)“ ist eine menschenrechtsorientierte Selbstvertretungsorganisation und die Dachorganisation der Zentren für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen – ZsL®. Sie wurde nach dem Vorbild der US-amerikanischen „Independent Living Movement“ gegründet, um die Selbstbestimmung behinderter Menschen auch in Deutschland durchzusetzen.
Quelle: Pressemitteilung des ISL vom 18.08.2022