Gleiches (Kirchen-) Recht für alle?
Am 15. Dezember demonstrierten in Stuttgart ca. 100 Menschen gegen den Austritt der Liebenau - Leben im Alter gGmbH aus den Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas. Der Austritt erfolgt plötzlich und ohne Not, die Beschäftigten müssen mit deutlichen Einbußen rechnen.
"In unserer Mitte - der Mensch". So lautet der Slogan der Stiftung Liebenau, einer kirchlichen Stiftung privaten Rechts aus Meckenbeuren bei Ravensburg. Zu ihr zählen zahlreiche Tochtergesellschaften, von denen eine in den letzten Tagen von sich Reden machte: die Liebenau - Leben im Alter gGmbH, kurz LiLA. Denn ab dem 1. Januar 2019 fühlt sich die Arbeitgeberseite der LiLA nicht mehr an die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) des Deutschen Caritasverbands gebunden, die arbeitsrechtliche Grundlage für katholische Einrichtungen; angesichts von ca. 700 Beschäftigten ein gravierender Einschnitt.
Ohne Not auf dem Rücken der Beschäftigten gespart?
Entsprechend empört reagierte die Arbeitnehmerseite auf den plötzlichen Ausstieg. Thomas Schwendele, Vorstandsmitglied der Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes, kritisiert: "Dass eine wirtschaftlich gesunde Tochtergesellschaft der großen Stiftung Liebenau nicht in der Lage sein soll, ein für bundesweit über 650.000 Beschäftigte geltendes und erprobtes Tarifwerk anzuwenden, ist schlicht nicht glaubwürdig. Überall wird gefordert, dass die Beschäftigten in der Altenpflege besser bezahlt werden sollen. Wir sind fassungslos, dass gerade in einer kirchlichen Einrichtung auf dem Rücken der Beschäftigten gespart wird."
Besonders pikant erscheint hierbei, dass für den Ausstieg die Genehmigung des Bischofs der Diözese Rottenburg-Stuttgart erforderlich war, die dieser kurz vor Weihnachten just erteilte. Von Seiten der LiLA gGmbH soll es zur Begründung lediglich geheißen haben, es sei keine tragfähige Einigung über Entgelte und die Altersversorgung erzielt worden.
Weniger Lohn, geringere Nachtzuschläge, kein Zuschuss zum Krankengeld
Durch die Loslösung ergeben sich für die Beschäftigten zahlreiche Nachteile. So müssen sie mit weniger Lohn, geringeren Nachtzuschlägen und weniger Urlaubstagen rechnen sowie auf den sonst üblichen Zuschuss zum Krankengeld verzichten. Vor diesem Hintergrund erscheint der Ausspruch "In unserer Mitte - der Mensch" geradezu zynisch.
Nicht zuletzt deshalb moniert auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di das einseitige Vorgehen der Arbeitgeberseite: "Die Frage stellt sich sehr deutlich, wie weit es mit der von Kirche und Caritas gepriesenen Verbindlichkeit der Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas ist", erklärt Irene Gölz, für das Gesundheitswesen der Gewerkschaft verantwortliche Landesfachbereichsleiterin, und stellt somit indirekt die arbeitsrechtliche Sonderstellung der Kirchen in Frage.