Hoffen auf eine Kostensteigerung
Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu den Kosten der Kinder- und Jugendhilfe vermelden eine erneute Ausgabensteigerung. Die Bewertung der Zahlen bietet viel Raum für die üblichen politischen Interpretationsspiele. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, ob ausgerechnet im Krisenjahr 2020 eine Reduzierung der Ausgaben erfolgt ist. Dies wäre kein gutes Zeichen.
Auf den ersten Blick könnte man sich ob der neuesten Zahlen zu den Kosten der Kinder- und Jugendhilfe erschrecken. Mehr als doppelt so viel Geld floss 2019 in die dem SGB VIII zuzurechnenden Leistungen als noch 2009. 26,9 Milliarden Euro von damals stehen 54,9 Milliarden Euro von heute gegenüber. Reflexartig könnten Kritiker*innen eines starken Sozialstaats nun einen weiteren Beleg für eine allzu großzügige Sozialpolitik feststellen.
Schaut man sich die Zahlen genauer an, so fällt auf, dass die Ausgabensteigerung vor allem auf den Ausbau der Kindertagespflege zurückzuführen ist. Allein zwischen 2014 und 2020 war laut Institut der Deutschen Wirtschaft im U3-Bereich eine Steigerung der Kapazität um ca. 25% zu verzeichnen - mit entsprechenden Kosten für die öffentlichen Haushalte. Auch insgesamt stellt die Kindertagespflege, also die Bereitstellung von Kita-Plätzen, Krippen sowie Tagesmüttern und -vätern den mit Abstand größten Anteil an den Gesamtkosten der Kinder- und Jugendhilfe dar. Ziemlich genau zwei Drittel (67,2 %) entfallen demnach auf diesen Bereich.
Vergleichsweise niedrig erscheinen im Gegensatz hierzu die Ausgaben für die oftmals als ineffizient kritisierten Hilfen zur Erziehung (HzE). 13 Milliiarden Euro gaben die Kommunen für ambulante und stationäre Hilfen aus, wobei letztere mit 6,5 Milliarden Euro bundesweit genau die Hälfte der Kosten der HzE ausmachen. Zwar liegt der Anstieg der Ausgaben seit 2009 auch in diesem Bereich bei über 80%, doch ist zu bedenken, dass seitdem eine beträchtliche Anzahl unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter stationär untergebracht wurde. Gerade einmal 2,1 Milliiarden Euro flossen in präventiv ausgerichtete Angebote wie Jugendzentren und Angebote der außerschulischen Bildungsarbeit.
Deutliche Unterschiede in den Bundesländern
Ein Blick auf die einzelnen Bundesländer offenbart große Unterschiede. Solche Diskrepanzen sind in großen Teilen zwar durch die unterschiedliche Bevölkerungsstruktur zu erklären, doch fällt durchaus auf, dass auch bei strukturell ähnlichen Bundesländern erhebliche Unterschiede zu verzeichnen sind. So weist Bremen sowohl im Betreuungs- als auch im HzE-Bereich 70 bis 75% höhere Kosten pro Einwohner*in auf als die beiden anderen Stadtstaaten Hamburg und Berlin.
Die Relationierung von Einwohnerzahl und HzE-Kosten ermittlelt die Ausgaben pro Einwohner*in eines Bundeslandes. Im Bereich der Hilfen zur Erziehung verzeichnen aufgrund der Ballung sozialer Problemlagen im städtischen Raum die drei Stadtstaaten die höchsten Kosten pro Kopf. Bremen kommt auf 382 EUR pro Einwohner*in, Hamburg auf 206 EUR, Berlin auf 191 EUR. Die mit deutlichem Abstand niedrigsten Kosten pro Einwohner*in hat Bayern vorzuweisen mit knapp 103 EUR. Auch dies vermag aufgrund der Sieldlungsstruktur des flächenmäßig größten deutschen Bundeslandes zwar nicht erstaunen, doch weist der große Unterschied zu anderen Flächenländern, etwa Niedersachen mit 170 EUR pro Kopf, auch darauf hin, dass landespolitische Maßgaben eine wichtige Rolle spielen könnten.
Eigene Darstellung auf Grundlage eigener Berechnungen
Auswirkungen des Coronajahrs offen
Der alljährliche Wettbewerb um die "besten Zahlen" ist politisch motiviert und hat bekanntermaßen nur geringe Aussagekraft. Denn weder die Länder, die besonders viel Geld ausgeben noch jene, die besonders wenig einsetzen, sind signifikant besser oder schlechter in dem, was an sozialpädagogischer Arbeit geleistet wird. Interessant werden allerdings die Zahlen sein, die für das 'Coronajahr' 2020 ermittelt werden. Wenn im Lockdown Gefährdunsgsmeldungen tatsächlich ausgeblieben sind, wie von vielen befürchtet, müsste dies dann nicht auch einen Rückgang der Ausgaben für Hilfen zur Erziehung zur Folge haben? Oder wurden auslaufende Hilfen unbürokratisch verlängert, um keine Destabilisierung in den Familien zu riskieren? Oder wird beides zutreffen und der statistische Mittelwert suggerieren, alles sei so gewesen wie immer?
Hilfen zur Erziehung richten sich an Menschen, die mit ihrem Familienalltag bereits ohne das Virus, Lockdowns und Homeschooling große Schwierigkeiten hatten. Gerade für sie sind die wirtschaftlichen und psychischen Folgen dieser Pandemie nicht absehbar. Somit kann man eigentlich nur hoffen, dass die HzE-Statistik auch für 2020 eine Kostensteigerung beinhalten wird. Denn alles andere würde bedeuten, dass im schlimmsten Krisenjahr seit Jahrzehnten weniger Menschen dringend benötigte Hilfe erfahren hätten als in den Jahren davor.
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