Kleiner Teddybär hängt aus Hosentasche heraus
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Kinderschutz: Am Fallbeispiel lernen

Interdisziplinärer Kinderschutz-Fachtag nach Frankfurter Modell ab Wintersemester 2022/23 als kostenfreies Online-Modul verfügbar sowie in Teilen schon jetzt öffentlich zugänglich.

Es sind Nachrichten wie die aus Hanau, die uns aufschrecken und erschüttern. Wie kann man helfen, bevor es zu spät ist und Kinder sterben? Es können die eigenen Eltern sein, die Kindern Schlimmes und Schlimmstes antun. Um gegen Gewalt an Kindern vorzugehen, braucht es gut qualifizierte Fachkräfte. Aber ab wann und wie sollte man sich als Fachkraft mit dem Thema Kinderschutz befassen? Für Prof. Dr. phil. Maud Zitelmann ist die Antwort auf diese Frage eindeutig: „Die Auseinandersetzung mit dem Kinderschutz muss beginnen, bevor man Fallverantwortung trägt!“ Die Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit, Jugendhilfe und Kinderschutz an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) setzt sich gemeinsam mit Prof. Dr. Carola Berneiser, Professorin für Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht sowie Kinderschutz, und vielen weiteren Mitstreiter/-innen seit vielen Jahren für die Verankerung des Kinderschutzes bereits in der Ausbildung und im Studium der Sozialen Arbeit ein. Eines ist Zitelmann dabei besonders wichtig: „Kinderschutz gelingt nur interdisziplinär: wenn alle Berufsgruppen voneinander wissen, einander wertschätzen und miteinander kooperieren. Vor allem aber braucht er einen auf das Kind gerichteten Blick – auf seine oft traumatischen Erfahrungen, sein Erleben, seine Bedürfnisse und Ängste. Das Kind muss im Zentrum stehen."

Deshalb wird der Interdisziplinäre Kinderschutzfachtag ab dem Wintersemester 2022/23 kostenfrei als E-Learning-Modul für die Lehre an Hochschulen verfügbar sein. Er wurde in Frankfurt entwickelt und ist dort seit Jahren fest verankert. Für die Studierenden der Frankfurt UAS ist er seit 2014 verpflichtend. Auch andere hessische Hochschulen bieten ihn seit einem Jahr in den Studiengängen Soziale Arbeit an. Dank des Online-Formates wird er nun auch an einigen Hochschulstandorten in ganz Deutschland auf Lernplattformen integriert.

Bereits jetzt gibt es einen öffentlich zugänglichen Teil des Kurses zum Kinderschutz für die Praxis. Er richtet sich an Fachkräfte der Jugendhilfe und andere fallverantwortliche Berufsgruppen im Kinderschutz und kann für die Fort- und Weiterbildung eingesetzt werden. Dieser „Basiskurs Interdisziplinärer Kinderschutz“ steht mit etwa acht Stunden Filmmaterial auf der Homepage der Landesfachstelle Prävention sexualisierte Gewalt Nordrhein-Westfalen (PsG.nrw) zur Verfügung: https://psg.nrw/interdisziplinaerer-kinderschutz/. Gefördert wurde dieses Drittmittelprojekt vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI NRW).

Inhalte und Ziel des E-Learning-Moduls „Interdisziplinärer Kinderschutzfachtag“

Auf der Website sowie im Onlinemodul finden sich Videos und Informationen zu folgenden Punkten: Gefährdungseinschätzung, medizinischer Kinderschutz, Inobhutnahme und Diagnostik, kindzentrierte Elternarbeit, familiengerichtliches Verfahren, langfristige Hilfen sowie Jugendamt. Anhand des anonymisierten Falles der achtjährigen „Mia“ werden alle wichtigen Stationen des Kinderschutzes – Fachdisziplinen und Institutionen – durchlaufen, die gemeinsam zum Wohle des Kindes agieren, bis dieses in Sicherheit ist und langfristig gut versorgt wird. Es wird über den Fall, die Aufgaben und den Berufsalltag gesprochen. Zu Wort kommen Fachkräfte aus Jugendamt, Polizei, Schulpsychologie, Forensik und Kinderschutzmedizin, aus dem Kinderheim, dem Familiengericht und dem Oberlandesgericht. Zudem gibt es ergänzend Lehrvorträge: Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Maud Zitelmann, Frankfurt UAS, geht auf die Situationen ein, in denen sich ein Kind im pädagogischen Alltag öffnet, die Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Carola Berneiser, Frankfurt UAS, führt in verschiedene Rechtsgebiete des Kinderschutzes ein und Dr. Constanze Niess, Fachärztin für Rechtsmedizin, erläutert Aufgaben und Arbeitsweise der Rechtsmedizin im Kinderschutz.

Der Interdisziplinäre Kinderschutzfachtag ist ab dem Wintersemester 2022/23 bundesweit kostenfrei als E-Learning-Modul verfügbar für die Lehre an Hochschulen, die den Kinderschutz in ihr Curriculum aufnehmen möchten. Der Kurs führt multimedial in Grundlagen des Kinderschutzes ein, um Studierende auf ihre Arbeit mit gefährdeten Kindern und ihren Familien vorzubereiten. Das Selbstlernangebot im Umfang von rund zehn Stunden wird mit einem Zertifikat abgeschlossen. Das Konzept wurde in Frankfurt und an anderen Hochschulen in Präsenz erprobt. In Koblenz und Villingen wird der Kurs zum Wintersemester starten; Interesse an einer Integration des Moduls in das Lehrangebot wurde zudem aus Berlin, Esslingen, Hildesheim, Oldenburg, Bremen und Hamburg geäußert. In Kooperation mit dem Hessischen Kultusministerium wird der Kinderschutzfachtag online gegenwärtig um spezifische Ausbildungsinhalte für Lehrkräfte erweitert. Er wird voraussichtlich ab dem Wintersemester 2022/23 in Hessen in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften eingesetzt.

„Die Haltung der für diesen Kurs ausgewählten Gesprächspartnerinnen und -partner spiegelt unser grundlegendes Verständnis des interdisziplinären ,Frankfurter Modells Kinderschutz in der Lehre' wider, in dem das misshandelte Kind mit seinen Erfahrungen und Bedürfnissen im Zentrum von Verfahren und Institutionen des Kindeschutzes stehen soll. Aus der Zielsetzung einer solchen, kindzentrierten Praxis ergab sich die Auswahl der Fachkräfte, die in diesem Kurs zu Wort kommen", erläutert Berneiser. „Ähnlich wie nun die Stadt Hanau und das Land Hessen nach den furchtbaren Morden an den beiden Kindern zur Aufarbeitung gefordert sind, wurden wir vor etwa einem Jahrzehnt an unserer Hochschule mit dem Tod des Babys Siri konfrontiert, das in Fallverantwortung einer unserer Absolventinnen zu Tode kam. Aus den damaligen Defiziten in unserer Lehre im Bereich Kindswohlgefährdung haben wir die Konsequenz gezogen und das ,Frankfurter Modell: Kinderschutz in der Lehre' entwickelt. Wir sehen unsere Online-Kurse, von denen wir aktuell noch weitere entwickeln, als große Chance, dieses bundesweit einzigartige interdisziplinäre Lehrangebot publik zu machen und damit zur Verankerung des Kinderschutzes als Fachgebiet an anderen Hochschulen beizutragen. Interdisziplinäres Fachwissen über den professionellen Umgang mit Vernachlässigung, sexuellem Missbrauch und Kindesmisshandlung ist in Studiengängen, die auf eine Tätigkeit in der Jugendhilfe vorbereiten, leider noch nicht verpflichtend. Für die Kinder aber ist ein sensibles Umfeld und kompetentes Handeln der Fachkräfte unverzichtbar, um Schutz und Hilfe zu erhalten", betont Zitelmann.

Kinderschutzfachtag und „Frankfurter Modell: Kinderschutz in der Lehre“

Prof. Dr. Maud Zitelmann und Prof. Dr. Carola Berneiser organisieren jährlich den „Kinderschutzfachtag“ als Pflichtveranstaltung im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit der Frankfurt UAS und haben gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen anderer Hochschulen eine interdisziplinäre Vorlesungsreihe Kinderschutz initiiert. Das „Frankfurter Modell: Kinderschutz in der Lehre“ gilt mit seiner juristischen, medizinischen, psychologischen und sozialpädagogischen Einführung in verschiedene Formen der Kindeswohlgefährdung bundesweit als Pilotprojekt. Es wurde gemeinsam mit Lehrenden der Goethe-Universität entwickelt und hat den HanseMerkur Kinderschutzpreis 2019 erhalten. Zitelmann erhielt 2013 den Einzelpreis des Hessischen Hochschulpreises für Exzellenz in der Lehre für ihr Engagement in Lehre, Forschung und Praxis gegen die Gewalt gegen Kinder in Familien und Institutionen.


Quelle: Pressemitteilung der Frankfurt University of Applied Sciences vom 03.06.2022