Wahlrechtsausschlüsse sind verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat ein Grundsatzurteil zum Wahlrecht gesprochen. Die Klägerinnen und Kläger mussten fast sechs Jahre warten, doch das Warten hat sich gelohnt. Das Echo der Verbände ist einhellig positiv.
Der entscheidende Satz des Karlsruher Urteils lautet:
"§ 13 Nr. 2 BWahlG schränkt den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ein, ohne dass dieser Eingriff den Schutz gleichwertiger Verfassungsgüter in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen an gesetzliche Typisierungen genügenden Weise bewirkt."
Mit anderen Worten: Kein gleichrangiges Verfassungsgut ist in Gefahr, wenn Menschen, die dauerhaft in allen Angelegenheiten vertreten werden (z.B. durch gesetzliche Betreuer), an Wahlen teilnehmen. Hierfür fehle laut Verfassungsgericht ein hinreichender sachlicher Grund. Kritisiert wurde überdies, dass die Gruppe der in allen Angelegenheiten vertretenen Menschen keinesfalls als homogen anzusehen sei. Denn in der Praxis sei es so, dass bei Menschen, die durch Angehörige vertreten werden, i.d.R. eine Betreuungsvollmacht erstellt werde, also kein gerichtlicher Eingriff erfolge, während bei Menschen, die keine sich kümmernden Angehörigen haben, häufig ein Gericht über die Vertretung in allen Angelegenheiten entscheide, indem es eine rechtliche Betreuung einsetze. Für Menschen mit gleichen Einschränkungen treten somit unterschiedliche Rechtsfolgen ein: Die einen dürfen weiter wählen, während die anderen ausgeschlossen werden.
Ebenfalls dürfen nun auch straffällig gewordene Menschen, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, zukünftig nicht von Wahlen ausgeschlossen werden.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte erklärte nach Verkündung des Urteils: "Die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Bundestagswahl ist mit dem heutigen Tag beendet. Das ist ein wichtiger Schritt für Rechtsstaat und Demokratie." Erforderlich sei nun eine Reform der Wahlgesetze. Absurderweise waren in einigen Bundesländern Menschen zu Landtagswahlen zugelassen, während sie bei Bundestags- und Europawahlen ausgeschlossen blieben.
Mit Blick auf die Unterzeichung der UN-BRK durch die Bundesregierung im Jahr 2009 äußerte sich Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie: "10 Jahre, nachdem Deutschland die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert hat, ist auch diese Ungleichbehandlung endlich beseitigt."
Auch der Paritätische freut sich über das Urteil des Verfassungsgerichts: „Heute ist ein guter Tag für alle Menschen mit Behinderung und ein guter Tag für die Demokratie“, sagt Joachim Hagelskamp, Bereichsleiter der Abteilung Gesundheit, Teilhabe und Dienstleistungen im Paritätischen Gesamtverband. Hagelskamp kritisiert in seiner Stellungnahme jedoch die Bundesregierung sehr deutlich: „Bereits im Koalitionsvertrag wurde angekündigt, dieses Defizit der Demokratie zu beheben. Passiert ist trotz mehrmaliger Mahnungen der Wohlfahrts- und Behindertenverbände sowie der Opposition bisher nichts. Wir freuen uns aber, dass Karlsruhe den Prozess nun beschleunigt.“
Den genauen Urteilstext finden Sie auf der Internetseite des Bundesverfassungsgerichts.