WSI-Bericht: Krankmachender Druck, dünne Personaldecken und wenig Gegenmittel
Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung mahnt an, dass es nur in jedem vierten Betrieb systematische Maßnahmen gegen psychische Belastungen gibt. Dabei sei der psychische Druck in vielen Betrieben hoch. Häufig liege das auch an einer zu dünnen Personaldecke. Besonders drastisch sei die Personalsituation in Erziehungs- und Gesundheitsberufen sowie im öffentlichen Dienstleistungssektor generell.
Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretrer konstatieren als Folge eine Zunahme gesundheitlicher Probleme. Das zeige die neue Studie am WSI. An konkreten Programmen gegen Stress fehle es besonders in kleineren Firmen.
Zeit- und Leistungsdruck, Arbeitsverdichtung, schwer planbare Arbeitszeiten, Angst vor dem Jobverlust: Psychische Strapazen lasten heute oft stärker auf den Beschäftigten als die körperlichen Anforderungen der Arbeitswelt. Das zeigt WSI-Wissenschaftlerin Dr. Elke Ahlers mit ihrer Untersuchung auf. Sie hatte dazu Ergebnisse der jüngsten WSI-Betriebsrätebefragung ausgewertet .
Rund 60 Prozent der gut 2.000 befragten Betriebsräte geben danach an, dass die von ihnen vertretenen Belegschaften massiv unter Zeitdruck und hoher Arbeitsintensität leiden. Von hohem „Verantwortungsdruck“ berichten 44 Prozent, von regelmäßigen störenden Unterbrechungen der Arbeit 27 Prozent und von mangelnder Planbarkeit der Arbeitszeiten 23 Prozent. In einem Fünftel der Firmen grassiert die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Die Befunde sind branchenübergreifend und repräsentativ für Betriebe mit wenigstens 20 Beschäftigten und Arbeitnehmervertretung.
In den meisten Betrieben, 77 Prozent, haben Termindruck und hohe Arbeitsintensität nach Angabe der Betriebsräte in der jüngeren Vergangenheit zu mehr gesundheitlichen Beschwerden bei Beschäftigten geführt, in jedem zweiten ist die Zahl der Überstunden gestiegen. In rund drei Vierteln der Betriebe ist Stress Thema auf Betriebsversammlungen oder Gegenstand von Verhandlungen zwischen Arbeitnehmervertretung und Geschäftsführung.
Dabei komme die Zunahme des Arbeitsdrucks nicht von ungefähr: In jedem zweiten Betrieb gab es in den zwölf Monaten vor der Befragung Umstrukturierungen, über ein Viertel hat mit Personalabbau zu kämpfen. Hier ist der Stresspegel deutlich überdurchschnittlich. Auch in vielen anderen Betrieben ist die Personalausstattung nach Einschätzung der Befragten zu gering. 74 Prozent der Betriebsräte sehen sich mit dem Problem konfrontiert. Besonders drastisch sei dies in Erziehungs- und Gesundheitsberufen sowie im öffentlichen Dienstleistungssektor generell.
Was den Druck auf Beschäftigte zusätzlich erhöhe, seien die neuen Techniken der „Leistungssteuerung“: Zielvereinbarungen und Vertrauensarbeitszeit statt Stechuhr vergrößerten zwar den Spielraum für Selbstbestimmung und Selbstorganisation, aber sie gingen der Untersuchung zufolge auch mit höheren Anforderungen und mehr Stress einher.
Was Management und Betriebsräte tun können
Traditionelle Formen des Arbeitsschutzes – Verbot von Sonntagsarbeit, Sicherheits- und Pausenvorschriften oder Ähnliches – sind notwendig, aber werden im betrieblichen Alltag oft umgangen und in ihrer Umsetzung kaum kontrolliert, so die Forscherin. Neuere Instrumente sind Programme zur betrieblichen Gesundheitsförderung, Eingliederungsmanagement nach längerer Krankheit oder Gefährdungsbeurteilungen, die sichtbar machen, welche Belastungen mit dem einzelnen Arbeitsplatz verbunden sind. Alle drei sind in der Mehrheit der untersuchten Betriebe inzwischen verbreitet, wobei kleinere Firmen deutlich hinter die Großbetriebe zurückfallen.
In Unternehmen ohne Betriebsrat und mit weniger als 20 Beschäftigten dürfte die Quote noch geringer ausfallen, so Ahlers. Aber selbst wenn Instrumente existieren, ist der Forscherin zufolge fraglich, ob sie passend ausgestaltet sind. So seien viele Hochglanzbroschüren, in denen Unternehmen ihre Fitness-, Ernährungs- oder Entspannungsprogramme preisen, irreführend. Hier würden individuelle Bewältigungsstrategien angeboten, aber nicht die eigentlichen Ursachen der Überlastung angegangen. Von den abgeschlossenen Gefährdungsbeurteilungen bezieht außerdem nur ein Viertel psychische Belastungen mit ein – obwohl der Gesetzgeber dies seit langem so fordert.
Gerade für die Gestaltung der zunehmend digitalen Arbeitswelt sei es entscheidend, psychische Belastungen zu erkennen und zu reduzieren, mahnt die Wissenschaftlerin. Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen sind Ahlers zufolge der wichtigste Ansatzpunkt für Arbeitnehmervertreter: In Betrieben mit einem umfassenden Gesundheitsmanagement, das Stress ernst nimmt, stand am Anfang oft eine Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen.
Quelle: WSI-Pressemitteilung vom 20. Januar 2017