Person sitzt alleine vor Gericht
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„Zugänge für Kinder und Jugendliche müssen verbessert werden"

Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza hat am heutigen Montag in Hannover das bundesweite Vernetzungstreffen "Psychosoziale Prozessbegleitung" eröffnet. Der Fachkongress wird regelmäßig vom Vorstand des Bundesverbandes Psychosoziale Prozessbegleitung e.V. initiiert und findet jährlich in einem anderen Bundesland statt. Das Treffen in Hannover ist das erste seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Und es ist das erste Treffen überhaupt, das von einer Landesjustizverwaltung organisiert wird. Rund 100 Personen nehmen teil.

Justizministerin Havliza sagte zur Eröffnung: "Als der Vorstand des Bundesverbandes Psychosoziale Prozessbegleitung uns gefragt hat, ob wir diese Veranstaltung gemeinsam mit dem Landespräventionsrat Niedersachsen durchführen wollen, haben wir in Niedersachsen nicht lange gezögert und gerne zugesagt. Im Niedersächsischen Justizministerium haben Opferschutz und Prävention einen sehr hohen Stellenwert. Die beiden Themen müssen gemeinsam gedacht werden, um den bestmöglichen Schutz für die Betroffenen zu erzielen. Aus diesem Grund haben wir im vergangenen Jahr das Ministerium neu aufgestellt und eine eigene Referatsgruppe für die Themen Prävention und Opferschutz gebildet."

Die Ministerin bedankte sich bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für den großen Einsatz für die Opfer von Straftaten, insbesondere in den schwierigen vergangen zwei Jahren. Zugleich verband die Ministerin ihren Dank mit einer rechtspolitischen Forderung im Hinblick auf den Zugang von Kindern und Jugendlichen zum Angebot der psychosozialen Prozessbegleitung:

"Wir müssen stetig daran arbeiten, den Zugang zu dem Angebot der psychosozialen Prozessbegleitung zu verbessern", so Havliza. "Dies gilt gerade für diejenigen Verletzten, die allein nicht in der Lage sind, sich diese Hilfestellung selbst zu organisieren. Ich befürworte deshalb die Schaffung einer Regelung, nach der die psychosoziale Prozessbegleitung von Amts wegen beigeordnet werden kann. Zumindest müssen die Staatsanwaltschaften ein entsprechendes Antragsrecht haben. Dies ist insbesondere mit Blick auf die Fälle, in denen Kinder und Jugendliche Opfer von Straftaten geworden sind, zwingend erforderlich. Kinder und Jugendliche, die von Sexualstraftaten oder schweren Gewaltdelikten betroffen sind, sind nicht in der Lage, sich allein geeignete Hilfe zu organisieren. Viele Familien sind vielfach auch dann, wenn der Täter nicht aus dem Familienkreis stammt, überfordert und haben Angst vor Ausgrenzung und einem Kostenrisiko. Nicht selten gelangen die betroffenen Kinder und Jugendlichen trotz aller Bemühungen der Justiz nie in ein geeignetes Unterstützungssystem. Das muss dringend geändert werden!"

Anlässlich der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Jahr 2020 wurde das Bundesjustizministerium aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine Verpflichtung der Gerichte enthält, minderjährigen Verletzten bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von Amts wegen eine psychosoziale Prozessbegleiterin bzw. einen psychosozialen Prozessbegleiter beizuordnen. Niedersachsen hat diesen Vorstoß ausdrücklich unterstützt. Er wurde aber bislang noch nicht umgesetzt.

Zum Hintergrund: Was ist psychosoziale Prozessbegleitung?

Besonders schutzbedürftige Verletzte von Straftaten benötigen häufig professionelle Hilfe, den schwierigen Alltag nach einer Tat zu bewältigen, oder einen aufreibenden Strafprozess durchzustehen. Um diese Unterstützung umfassend gewährleisten zu können, gibt es das Angebot der psychosozialen Prozessbegleitung. Sie kommt insbesondere im Zusammenhang mit Gewalt- und Sexualdelikten zum Einsatz. 

Niedersachsen ist beim Angebot der psychosozialen Prozessbegleitung ein Vorreiter in Deutschland. Denn hier wird diese Begleitung unabhängig vom Alter und unabhängig vom Delikt durch die Arbeit von geschulten Fachkräften geleistet. Das Angebot gibt es bereits seit 2013; die finanzielle Grundlage wird vom Justizministerium sichergestellt.

In Niedersachsen stehen derzeit insgesamt 41 psychosoziale Prozessbegleiterinnen und -begleiter den Opfern von Straftaten helfend zur Seite. Insgesamt wurden im Jahr 2021 598 Fälle gezählt, wobei der Großteil der Betroffenen weiblich und Opfer von Sexual- oder Körperverletzungsdelikten war. Über die Hälfte von ihnen war zum Tatzeitpunkt noch minderjährig, was die Notwendigkeit dieser Unterstützung verdeutlicht.


Quelle: Pressemitteilung des Niedersächsischen Justizministeriums vom 09.05.2022