Caritas: Es fehlt an offener Auseinandersetzung mit Erfahrung verdeckter Armut
„Wir dürfen nicht länger in der Analyse von Daten und Fakten steckenbleiben, sondern müssen Armut aktiv bekämpfen, indem frühzeitig und präventiv Hilfen angeboten werden“, fordert Prälat Dr. Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, anlässlich des an die Verbände weitergeleiteten Entwurfs des fünften Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung.
Dringend erforderlich ist aus Sicht der Caritas die Erhöhung der Regelbedarfe, die bessere Nutzung der Fördermöglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe und die Verbesserung von Arbeitsmarktchancen durch den Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung.
Der Bericht enthalte eine umfangreiche Analyse der Armutsrisiken im Lebensverlauf, die Grundlage einer fundierten Debatte werden müsse. Erneut zeige sich der enge Zusammenhang von schlechten Bildungschancen und Armut. Aus dieser seit langem bekannten Tatsache müssen politisch endlich die richtigen Schlüsse gezogen werden. Menschen, die Unterstützung brauchen, müssen frühzeitig erreicht werden. Notwendig sind insbesondere der Ausbau und die bessere Vernetzung niedrigschwelliger präventiver Angebote für Familien und Kinder, die Ausweitung der Schulsozialarbeit und die frühzeitige und flächendeckende Förderung von Schülern, bevor sich am Schuljahresende abzeichnet, dass eine Klasse wiederholt werden muss.
Verhindert werden müsse auch, dass beispielsweise junge Menschen den Anschluss verlieren, weil sie aufgrund harter Sanktionen in Wohnungslosigkeit geraten und den Kontakt zum Jobcenter abbrechen. Die Sondersanktionen für Jugendliche müssen abgeschafft werden, so die Caritas.
Kritisch sieht Neher, dass das Thema der verdeckten Armut nicht ausreichend behandelt wird, obwohl es sich um ein weit verbreitetes Phänomen in Deutschland handele. „Nach wie vor fehlt eine offensive Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass viele tausend Menschen keine Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, obwohl sie ein Anrecht darauf haben.“ Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht davon aus, dass zwischen 34 und 43 Prozent der Menschen keine ergänzende Grundsicherung beantragen, obwohl sie Anspruch darauf hätten. Besonders häufig nehmen ältere Menschen ihnen zustehende Grundsicherungsleistungen nicht in Anspruch, da sie fälschlicherweise die Sorge haben, dass auf das Einkommen der Kinder zugegriffen wird. Nach der Reform der Grundsicherung im Alter ist dies jedoch aufgrund der Freibeträge von 100.000 Euro für die Allermeisten nicht mehr zu befürchten. Hier ist Aufklärung über Leistungsansprüche und Voraussetzungen dringend geboten.
Neher fordert zudem, dass die Erfahrungen der von Armut betroffenen Menschen explizit im Bericht dargestellt werden müssen, was leider nicht geschah. Während der Erarbeitung des Berichts hatten Betroffene in einem Workshop des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Möglichkeit, ihre Perspektiven und Einschätzungen staatlicher Unterstützung darzustellen.
Quelle: Presseerklärung des Deutschen Caritasverbandes am 12. Dezember 2016