Nur geringe Fortschritte bei Nachhaltigkeit in Deutschland
Deutschland erreicht nur knapp ein Drittel der Nachhaltigkeits- und Wohlfahrts-Ziele. Das sind einige der zentralen Ergebnisse einer neuen Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
In den Bereichen wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit sowie bei Staatsfinanzen und Staatstätigkeit wurden danach insgesamt lediglich vier von 13 Zielen erreicht. Dabei zeigen sich laut Forscherteam erhebliche Unterschiede: Während bei den Staatsfinanzen zwei von drei zentralen Anforderungen umgesetzt sind, bleiben die wichtigsten Kennwerte auf den anderen Feldern meist deutlich hinter den Zielen zurück. Das gilt sowohl für die letzte Legislaturperiode als auch für den gesamten Zeitraum zwischen 2008 und 2016, so die Untersuchung, die vor wenigen Tagen in Berlin vorgestellt wurde.
"Der simple Blick aufs Wirtschaftswachstum reicht nicht, wenn wir beurteilen wollen, ob der Wohlstand in unserem Land nachhaltig wächst. Darin sind sich viele Ökonomen und Wirtschaftspolitiker mittlerweile einig", sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der wissenschaftliche Direktor des IMK. Die Untersuchung mache aber deutlich, dass in der praktischen Wirtschaftspolitik nach wie vor viel zu wenig getan werde, um Wohlstand in einem breiteren Sinn zu schaffen. Trotz einiger Anstrengungen und mutiger Reformen wie der Einführung des Mindestlohns hat auch die scheidende Bundesregierung noch erhebliche Lücken gelassen, so Horn.
"Wenn die nächste Bundesregierung die Nachhaltigkeit in Deutschland verbessern wolle, "muss sie besonders bei der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit ansetzen", ergänzt Studienautor Dr. Fabian Lindner. "Diese Ziele müssen durch eine verbindliche Handhabung mit den fiskalischen Zielen auf Augenhöhe gebracht werden. So lassen sich auch unvermeidliche Zielkonflikte konstruktiver auflösen als bisher."
Soziale Nachhaltigkeit: Nur ein sozialer Indikator hat sich zum Besseren entwickelt
Die Quote der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne weiteren Bildungsabschluss ist gesunken und hat den von der Regierung angestrebten Zielwert im Jahr 2016 mit 10,3 Prozent nur um 0,3 Prozent verfehlt. Auf den ersten Blick fielen auch die gestiegenen Bildungsausgaben je Schüler positiv auf, schreiben die IMK-Forscher. Dahinter stecke jedoch nur ein demographische Phänomen: konstante Ausgaben bei sinkender Schülerzahl.
Auch die Armutsrisikoquote lag mit 15,7 Prozent im Jahr 2016 laut IMK-Analyse deutlich über dem Zielwert von 12 Prozent. Selbst, wenn man berücksichtige, dass die leichten Anstiege in den Jahren 2015 und 2016 vor allem auf der starken Zuwanderung von Flüchtlingen beruhten, sei das Ziel klar verfehlt. Besonders bei den Älteren erwarten die Wissenschaftler in Zukunft einen weiteren Anstieg. Der Mindestlohn sei derzeit zu niedrig, um viele Menschen über die statistische Armutsschwelle zu bringen, konstatiert Lindner. Gleichwohl habe er bewirkt, dass viel weniger Erwerbstätige mit extrem niedrigen Stundenlöhnen leben müssen: "Erhielten 2014 noch vier Millionen Menschen einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro, so waren es nach der Einführung 2015 nur noch 1,4 Millionen", schreibt der IMK-Experte mit Verweis auf Zahlen der Mindestlohnkommission.
Die Ungleichheit der Einkommen "stagniert auf hohem Niveau", so das IMK. Das zeigt sich, wenn man jeweils das Fünftel der Haushalte mit den niedrigsten und den höchsten Einkommen miteinander vergleicht. Verfügten die wohlhabendsten 20 Prozent 2008 über das 4,5fache Einkommen, war es 2015 kaum verändert das 4,6fache. Kurzfristige Trends bei den Kapitalerträgen, die beispielsweise über Aktienbesitz vor allem reicheren Haushalten zufließen, führten in den Jahren dazwischen zu einigen Schwankungen.
Hintergrund
Die Untersuchung des IMK stützt sich auf ein Set von Indikatoren, die das Wirtschaftswachstum als Wohlstandsmaßstab ergänzen. Das zugrundeliegende "Neue Magische Viereck der Wirtschaftspolitik" wurde von den Wirtschaftsprofessoren Till van Treeck (Universität Duisburg-Essen und Senior Research Fellow am IMK) und Sebastian Dullien (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin) für die Friedrich-Ebert-Stiftung und das Denkwerk Demokratie entwickelt. Es greift Anforderungen auf, auf die sich die Bundesregierung etwa im Rahmen der Europa-2020-Strategie der Europäischen Union selbst festgelegt hat und erweitert sie um weitere wichtige Nachhaltigkeitsziele. Die Eckpunkte lauten: materieller Wohlstand und ökonomische Stabilität - Nachhaltigkeit der Staatstätigkeit und Staatsfinanzen - soziale Nachhaltigkeit - ökologische Nachhaltigkeit. Hinter jedem der Oberbegriffe steht eine Reihe von Indikatoren, die Fortschritt oder Rückschritt messbar machen.
Fabian Lindner: Wie nachhaltig ist Deutschland? Das Neue Magische Viereck der Wirtschaftspolitik 2008-2016. IMK-Report 131, November 2017 (PDF zum Download)
Mehr Informationen, auch in Grafiken und Tabellen (PDF-Datei)
Videostatement zur Studie von IMK-Forscher Dr. Fabian Lindner (Youtube-Video)
Quelle: Presseinformation der Hans-Böcler-Stiftung vom 28. November 2017