Musiknoten
Foto: Pixabay

Kurz und Viel

01.07.2024 | Kinder-/Jugendhilfe

Im Juni hatte ich einige Urlaubstage. Zuerst war ich bei einer Familienfeier, dann bin ich ans Meer gefahren, und zum Abschluss war ich bei der Fete de la Musique in der Großstadt. Danach hätte ich gut noch eine Woche zum Akklimatisieren und zum Ankommen in meiner Arbeitswelt gebrauchen können. Denn während der 10 Tage Urlaub hatte ich mich nicht nur auf Wetterwechsel und Temperaturschwankungen einzustellen, sondern erlebte auch so einige kulturelle Wechselduschen und mich selbst in ganz unterschiedlichen emotionalen Befindlichkeiten.    

Die Familienfeier war in Mitteldeutschland im ländlichen Raum, in einer bergigen Gegend. Das Essen war fleischreich, für mich als Vegetarierin also ungewöhnlich. Alle waren festlich gekleidet, und das bedeutet für mich auch eher unbequem. Ich fiel nicht nur mit meinem eher schlichten und dafür sehr bequemen Outfit leicht aus dem Rahmen. Aber so kennt man mich schon, und schließlich war es der 85-zigste Geburtstag meiner „Ich muss gar nichts-Tante“, die auch etwas ganz Besonderes ist. „Ich muss gar nichts“, sagt sie immer, wenn irgendjemand meint, sie müsse doch … mehr essen oder weniger essen, sich mehr bewegen oder endlich mal wieder sonst etwas tun.      

„Ich muss gar nichts“, das sage ich auch gern. Außer irgendwann sterben, natürlich, aber alles andere ist meine Entscheidung. Ich hatte mich für einen abwechslungsreichen Kurzurlaub entschieden und nehme in Kauf, dass ich eher unruhig als entspannt meine Arbeit wieder aufnehme. Ich muss nicht „mindestens 3 Wochen am Stück“ nehmen, wie meine besorgte Freundin Cornelia behauptet. Nach 2 Tagen war ich okay. Auch im Juli, September, November werde ich Kurzurlaube machen. Das mit der Urlaubskoordination ist schon etwas schwierig mit meinen beiden Jobs, aber es geht.     
Viele der Verwandten hatte ich lange nicht gesehen, einige 5 oder 10 Jahre und die meisten sind mir eher fremd. Ich hatte mich auf meine Tante gefreut, und ich weiß, dass sie sich gern feiern lässt. So war es dann auch. Ihre beiden Töchter, also meine Cousinen, singen in einem Chor, und es gab Volkslieder und Schlager zwischen Mittagessen und Kaffeetafel.

Krasser Gegensatz dazu war die Fete de la Musique. Ich habe mich in eine Brassband verliebt. Zehn junge Menschen mit Sousaphon, Saxophon, Trompeten, Posaunen und Schlagzeug haben mich zum Tanzen gebracht. Nach dem Konzert sprach ich eine der Musikerinnen an und erfuhr, dass sie tatsächlich Schüler und Schülerinnen eines musikbetonten Gymnasiums sind. Es waren viele Schulen beteiligt bei der diesjährigen Fete de la Musique. Von unseren SPFH-Familien kennt nur eine dieses Musikfest. Schade, ich würde gern wieder mehr die SPFH und die kulturelle Arbeit verbinden. Im Moment geht es allerdings eher um existenzielle Themen.

Daniel ist in einer Klinik, er hatte sich einen üblen Drogencocktail eingefahren und sein Kumpel rief zum Glück den Rettungsdienst. Ich hoffe, er geht von der Klinik aus direkt in die Reha und dann in eine betreute Wohnform. Die Mutter möchte das inzwischen auch. Ich weiß, dass sie sich manchmal als Erziehungsversagerin fühlt, weil ihr Sohn kein geordnetes Leben führt. Ich werde nicht müde ihr zu sagen, dass sie verantwortlich handelt, wenn sie ihren Sohn für eine betreute Wohnform motiviert, und nicht mehr bei sich aufnimmt, weil sie ihn nicht ausreichend schützen kann. Der Vater äußert sich gar nicht.    

Frau Berger hatte und hat mit ihrem Bruder vieles rund um die Beerdigung und die Erbschaft zu regeln. Da kam so einiges an alten Konflikten noch einmal hoch, und ich habe ihr eine Trauerbegleitung vorgeschlagen, vielleicht wären auch ein paar Familientherapiesitzungen hilfreich, um alte Themen aufzuarbeiten. Mein Eindruck ist auch, dass sie die Kinder im Moment gar nicht so gut im Blick hat. Ich finde, die Fünfjährige ist sehr still geworden, richtig verschlossen, der Vierjährige will nur noch zu seinem Papa. Ich habe mich zu einer Fachberatung „Kinder in Trauerprozessen begleiten“ angemeldet, und möchte mich auch privat mit dem Thema beschäftigen.

In einem Buch mit Anregungen zum biografischen Schreiben fand ich eine Übung, da soll man beschreiben, wie man sich die eigene Beerdigung vorstellt und den Text für den eigenen Grabstein entwerfen. Ich habe sofort an diese junge Brassband gedacht und mir vorgestellt, wie sie den Trauerzug anführen. Nichts mit „in stiller Trauer“, sondern richtig laut über den Friedhof.

Ihre Katja Änderlich*


*Pseudonym der Autorin