Annie Spratt / Unsplash

Starker Anstieg bei Kindeswohlgefährdungen

2019 wurden etwa 10% mehr Kindeswohlgefährdungen festgestellt als im Vorjahr. Der Anstieg ist ein alarmierendes Zeichen, doch scheint sich in der Gesellschaft auch ein sensiblerer Umgang mit dem Thema abzuzeichnen: Die Hemmschwelle, Gefährdungsmomente bei den Jugendämtern zu melden, sinkt offenbar.

Ein Kind kommt regelmäßig mit blauen Flecken an Armen und Beinen in die KiTa. Hierauf angesprochen verweist die Mutter des Kindes darauf, es sei nun mal sehr 'wild' und stürze häufig. Die Erzieher*innen haben ein ungutes Gefühl, aber keine weiteren Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindes. Sie sind sich uneinig: Ist das ein Fall für das Jugenamt oder nicht? 

Wie in der vergangenen Woche erschienenen Statistik des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2019 deutlich wird, scheint sich in der Gesellschaft eine Tendenz abzuzeichnen, in Fällen wie diesem das Jugendamt einzuschalten. Insgesamt prüften die Jugendämter 173.000 eingangene Gefährdungsmeldungen. Die entscheidende Zahl hinsichtlich der Bewertung, ob mehr Kinder gefährdet wurden als im Vorjahr, richtet sich allerdings danach, wie viele Fälle von den Jugendämtern tatsächlich als akute oder latente Kindeswohlgefährdung beurteilt wurden. Dies war bei 55.500 eingegangenen Meldungen der Fall. 

Schaut man auf die konkreten Angaben zur Gefährdung der Kinder - hier können natürlich mehrere Aspekte genannt werden - zeigt sich, dass am häufigsten Vernachlässigungen (58%) festgestellt wurden, gefolgt von psychischer Gewalt (32%) und körperlichen Misshandlungen (27%). Bei 5% gab es Hinweise auf sexuellen Missbrauch eines Kindes. In diesem Feld war der stärkste Anstieg (+ 22%) zu verzeichnen, was auf die starke Präsenz des Themas in den Medien und eine hiermit einhergehende Sensibilisierung zurückzuführen sein könnte. Laut Statistischem Bundesamt setze sich der Trend aus dem Jahr 2018 fort. Auch hier war im Vergleich zum Vorjahr im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch ein starker Anstieg von ca. 20% zu verzeichnen gewesen. Besonders häufig wurden 2019 Verdachtsfälle gemeldet, in denen Jungen als Geschädigte angegeben wurden: Hier zeigt sich ein dramatischer Anstieg von 30%. Insgesamt werden allerdings immer noch deutlich mehr Mädchen als Jungen Opfer sexueller Gewalt.

Welche Konsequenzen sich für die Kinder und Eltern aus der 8a-Statistik ergibt, lässt sich nicht ohne weiteres sagen. Denn längst nicht in allen Fällen werden z.B. die Kinder aus den Familien genommen. Sofern keine dramatische Akutgefährdung der Kinder vorliegt, werden in der Regel zunächst mildere Mittel, z.B. in Form ambulanter Hilfen eingesetzt. Besonders schwierig erscheint hierbei der Umgang mit mutmaßlich sexuell missbrauchten Kindern. Denn reichen die Beweise für einen konkreten Missbrauch nicht aus, entscheiden Familiengerichte häufig, dass die Kinder bei den Eltern verbleiben müssen, was, wie u.a. der Missbrauchsfall im baden-württembergischen Staufen gezeigt hat, schlimmste Konsequenzen für die Kinder zur Folge haben kann.

Erste Reaktionen auf die aktuellen Zahlen fallen erwartungsgemäß aus. So sagte z.B. AWO-Chef Wolfgang Stadler, die weiter steigenden Zahlen seien der Beleg dafür, dass Präventionsangebote aufrechterhalten bleiben müssten. Auch sei wichtig, dass genügend Ressourcen für angemessene und kurzfristige Interventionen zur Verfügung stehen müssten - ein Verweis auf die nicht immer ausreichend zügige Bearbeitung von 8a-Meldungen durch die Jugendämter.